Von Fis nach Imrali

Vor 25 Jahren wurde die kurdische Arbeiterpartei PKK gegründet

 

Unter wachsamen Blicken des Militärs versammelten sich Anfang November rund 1000 Menschen im kleinen Dorf Fis in der osttürkischen Provinz Diyarbakir. Vor einigen Jahren war dieser Ort wie rund 4000 weitere von der türkischen Armee zwangsgeräumt worden. Ehemalige Dorfbewohner pflanzten Friedensbäume zwischen den zerstörten Häusern. Mit dieser symbolischen Rückkehr an den Ort, wo vor 25 Jahren die Arbeiterpartei Kurdistans PKK gegründet wurde, drückten sie ihre Hoffnung auf eine politische Lösung der kurdischen Frage aus.

 

Die Geschichte der PKK ist eng mit der Person ihres Vorsitzenden Abdullah „Apo“ Öcalan verbunden. Der 1949 im Dorf Ömerli bei Urfa als ältester Sohn einer armen Bauernfamilie geborene Öcalan begann 1971 ein Politologiestudium in Ankara. Zusammen mit anderen Revolutionären gründete er 1974 den Demokratischen Hochschulverein. Wegen Differenzen über die nationale Frage trennten sich Öcalan und seine Freude bald von diesem in linkskemalistischer Tradition stehenden Verein. „Kurdistan ist eine Kolonie“, erklärten die Revolutionäre Kurdistans, wie sich die Gruppe ab 1975 nannte. Sie kritisierten die türkische Linke wegen ihrer vom Kemalismus geprägten chauvinistischen Haltung und erklärten den bewaffneten Kampf wurde zur Hauptkampfform. In Kurdistan griffen die Apocular (Anhänger Apos), wie sie von ihren Gegnern genannt wurden, in mehreren Städten faschistische „Grauen Wölfe“, aber auch konkurrierende linke Organisationen an.

 

Im November 1978 trafen sich die Führungskader der Revolutionäre Kurdistans im Dorf Fis nahe der Stadt Lice, um die mittlerweile ideologisch gefestigte Bewegung in eine Partei umzuwandeln. Der 27. November gilt seither als Gründungstag der Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistan). Abdullah Öcalan wurde zum Generalsekretär gewählt. Die Partei bezog sich auf den Marxismus-Leninismus und sah im lang andauernden Volkskrieg die Strategie zur nationalen Befreiung. Neben der nationalen Unterdrückung wurde der antifeudale Kampf in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. „So, wie die Revolution Vietnams unter der Führung des Proletariats eine Schlüsselrolle für die Revolution Indochinas gespielt hat, so wird auch die Revolution Kurdistans ... für die Volksrevolutionen des Mittleren Ostens eine Schlüsselrolle spielen“, hieß es im Manifest der PKK.

 

In ihrer sozialen Zusammensetzung unterschied sich die PKK, deren Einfluss nach Aktionen gegen feudale Großgrundbesitzer und Kollaborateure im Gebiet Siverek rapide anwuchs, von fast allen kurdischen Parteien. Während andere Organisationen bäuerlich oder intellektuell geprägt waren, stützte sich die PKK auf das ländliche und städtische Subproletariat. Dieser plebejische Charakter ist die Erklärung für Erscheinungen und Verhaltensweisen, die in Europa immer wieder auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Der extreme Personenkult um „Serok Apo“ und eine quasireligiöse Märtyrerverehrung ergänzen sich mit einer hohen Bereitschaft zur Selbstaufopferung und physischen Militanz, die sich auch gegen Kritiker in den eigenen Reihen richtete.

 

Nach dem türkischen Militärputsch vom 12. September 1980 wurden zahlreiche PKK-Mitglieder inhaftiert und ermordet. Im Militärgefängnis von Diyarbakir erhängte sich das ZK-Mitglied Mazlum Dogan am Newroztag 1982, um nicht vor seinen Folterern zu kapitulieren. Seitdem gilt er in Anlehnung an den kurdischen Nationalmythos als „Schmied Kawa unserer Tage“.

 

Eigentlicher Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK ist der 15. August 1984. Bewaffnete Propagandaeinheiten unter ihrem legendären Kommandanten „Agit“ überfielen Militärstationen in den Kreisstädte Eruh und Semdinli, und verkündeten die Gründung einer Guerilla zum Kampf gegen den „Kolonialfaschismus“.

 

Den politischen Durchbruch für die PKK brachte das Jahr 1990. Nachdem Soldaten während einer Trauerfeier für einen gefallenen Guerillero ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichten, brachen Aufstände aus. „Der Volksaufstand von Nusaybin ist eine Wende, denn der nationale Befreiungskampf in Kurdistan wird nicht mehr nur in den Bergen sondern mit den Bewohnern in den Städten geführt“, verkündete die PKK den Beginn einer kurdischen Intifada. Die PKK wuchs zu einer  Massenbewegung an, die Angehörige einstmals miteinander verfeindeter Stämme ebenso vereinigte, wie die verschiedenen Religionen Kurdistans. Für viele Frauen bot die Teilnahme am Befreiungskampf eine Alternative zu häuslicher Unterdrückung und Zwangsehe.

 

Die türkische Konterguerilla reagierte mit Dorfentvölkerungen, einem paramilitärischen Dorfwächtersystem, Folter, Vergewaltigungen und „Verschwindenlassen“ von Oppositionellen. Dieser „Spezialkrieg“ fand seine Ergänzung in Deutschland. Im November 1993 erließ Bundesinnenminister Kanther ein bis heute bestehendes Betätigungsverbot für die PKK, das Tausende Strafverfahren und Festnahmen zur Folge hatte. Als Vorwand dienten Brandanschläge auf türkische Einrichtungen, mit denen Kurden gegen die Bombardierung ihrer Städte protestierten.

 

Mitte der 90er Jahre kontrollierte die auf rund 15.000 Kämpferinnen und Kämpfer angewachsene Guerilla mehrere befreite Gebiete. Doch die systematische Entvölkerung des ländlichen Rückzugsraums der Guerilla und der Einsatz von Nachtsichtgeräten veränderte das militärische Gleichgewicht wieder zu Gunsten der Armee.

 

Schließlich gelang dem türkischen Staat der entscheidende politische Coup. Am 15. Februar 1999 konnte der türkischen Geheimdienst in Zusammenarbeit mit CIA und Mossad Öcalan nach einer Odyssee von Syrien über Italien, Griechenland und Russland in der kenianischen Hauptstadt Nairobi kidnappen. Der PKK-Vorsitzende wurde zum Tode verurteilt, das Urteil später mit Rücksicht auf die EU in lebenslange Haft umgewandelt. Als einziger Gefangener der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer setzt sich Öcalan seitdem für ein friedliches Zusammenleben von Kurden und Türken in einer „Demokratischen Republik“ ein.

 

Im Januar 2000 erklärte die PKK die Einstellung des bewaffneten Kampfes. Zur Bekräftigung ihrer Wandlung in eine politische Bewegung benannte sich die Partei 2002 in Kongress für Freiheit und Demokratie Kurdistans (KADEK) um. War die Forderung nach einem kurdischen Staat bereits 1993 zugunsten einer föderativen Lösung fallen gelassen worden, so forderte der KADEK nur noch Minderheitenrechte für die kurdische Bevölkerung innerhalb der Türkei und eine Generalamnestie als Voraussetzung für eine Waffenabgabe der Guerilla. Bis jetzt hat der türkische Staat keinerlei positive Schritte ergriffen. Stattdessen kommt es immer häufiger zu bewaffneten Auseinandersetzungen in den kurdischen Landesteilen der Türkei. Trotz mehrfacher Kooperationsangebote des KADEK an die USA machte auch die US-Besatzungsmacht deutlich, dass sie längerfristig nicht bereit ist, die in den Nordirak zurückgezogenen Guerillakräfte zu dulden.

 

In dieser Situation beschloss der KADEK vor zwei Wochen seine Selbstauflösung, „um den Weg für eine neue, demokratische Organisationsstruktur freizumachen, die eine breitere Beteiligung erlaubt und eine friedliche Einigung der Kurden mit den herrschenden Nationalstaaten anstrebt. Durch die Kontinuität der Führungskader wäre der KADEK als bloße Fortsetzung der PKK wahrgenommen worden. „Reste des leninistischen Parteimodels sowie traditionelle dogmatische Denkstrukturen des Mittleren Ostens“ hätten „eine eingeengte und hierarchische Struktur“ geschaffen, „der das Einbeziehen neuer sozialer Gruppen und demokratischer Elemente nicht gelang“ wurde dieser Schritt begründet.

 

Dass heute Millionen Kurden in der Türkei und der europäischen Diaspora selbstbewusst die Anerkennung ihrer Identität und ihrer Rechte einfordern, ist dies der bleibende Erfolg der PKK. Zivilorganisationen wie die viele kurdische Kommunen regierende Demokratische Volkspartei, Menschenrechts-, Frauen- und Kulturvereinigungen, der Kurdische Nationalkongress im Exil, Presse und Satellitenfernsehen garantieren dafür, dass die Existenz des kurdischen Volkes nicht mehr geleugnet werden kann.

 

Nick Brauns

 

 

Buchtips: