Junge Welt 30.04.2011
/ Geschichte / Seite 15
Aufruhr in Jaffa
Im Mai 1921 kam es in Palästina zu schweren Unruhen
Von Nick
Brauns
Vom Beginn des zionistischen
Kolonialprojektes in Palästina 1880 bis nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich
die jüdischen Siedlungen weitgehend ungestört entfalten können. Doch Anfang Mai
1921 kam es zu massiven Unruhen in dem unter britischer Herrschaft stehenden
Land, das die Balfour-Deklaration (benannt nach dem damaligen britischen
Außenminister, Arthur James Balfour) von 1917 der zionistischen Bewegung als »nationale
Heimstätte des jüdischen Volkes« versprochen hatte. 1919 lebten in Palästina
58000 Juden und 642000 Araber. Es existierten rund 50 zionistische Siedlungen
und Wehrdörfer, wobei der jüdische Anteil am Grundbesitz 2,48 Prozent des
Landes entsprach. Durch die dritte Alija (Einwanderungswelle) kamen bis 1923
weitere 35000 russische Juden nach Palästina.
Auslöser der Unruhen am 1. Mai 1921 war eine illegale Demonstration der damals
nur aus Juden bestehenden kommunistischen »Partei der sozialistischen Arbeiter«
(M.P.S) in der Hafenstadt Jaffa. Nach einem
Zusammenstoß mit Gewerkschaftern der zionistischen Histadrut
mußte die M.P.S in das gemischt jüdisch-arabische Manishiyya-Viertel ausweichen. »Die eingeborene
Bevölkerung, deren Pogromstimmung von den englischen und französischen
Provokateuren und von ihren eigenen Nationalisten schon lange geschürt wurde,
und die den Sinn der Demonstration nicht begriff, stürzte sich auf die
Demonstranten und ging dann zu einem allgemeinen Pogrom gegen die Juden über«,
hieß es im Komintern-Nachrichtenorgan Inprekorr.
Arabische Einwohner attackierten zuerst ein als Hort der Unmoral angesehenes
gemischt-geschlechtliches Einwandererheim und
anschließend jüdische Läden und Einrichtungen in der ganzen Stadt. Ohne Befehl
ihrer Kommandeure griffen nun bewaffnete Einheiten der in britischen Diensten
stehenden jüdischen Brigade in die Kämpfe ein. Der britische Hochkommissar
verhängte ab dem 3.Mai den Ausnahmezustand, doch ab dem 5. Mai griffen Bauern
und Beduinen zionistische Landwirtschaftssiedlungen in Hadera
und Petach-Tikwah sowie jüdische Einwohner der Orte Tulkaram und Qalqilya an. Bis zum
Ende der Unruhen am 7. Mai 1921 waren nach offiziellen Angaben 48 Araber und 47
Juden getötet worden, darunter der bekannte zionistische Schriftsteller Joseph
Chaim Brenner.
Politische Ursachen
Ruhig war es ausgerechnet in Jerusalem geblieben, wo es noch im April des
Vorjahres anläßlich eines muslimischen Pilgerzuges im
jüdischen Viertel zu blutigen Unruhen mit neun Toten auf beiden Seiten gekommen
war. Dies war offenbar das Verdienst des von den Briten als Gegengewicht zu den
Zionisten zum Mufti von Jerusalem gekürten 26jährigen Amin Al-Husseini. Noch im
Jahr zuvor war der religiöse Fanatiker und reaktionäre Nationalist aus dem
mächtigen Husseini-Clan als Rädelsführer der Unruhen zu 15 Jahren Arbeitslager
verurteilt worden. Für seine Einsetzung als Mufti gegen den ausdrücklichen
Widerspruch des Hohen Muslimischen Rates hatte der spätere Hitler-Kollaborateur
den Briten einen Verzicht auf politische Agitation zugesichert.
Die britische und zionistische Seite machten unmittelbar nach den Unruhen die
kommunistische M.P.S. verantwortlich, deren Rolle stark übertrieben wurde. Die
Partei wurde unterdrückt und 15 ihrer Leitungskader deportiert. Den feudalen
arabischen Führern waren die Mitglieder M.P.S. als Kommunisten und Juden
doppelt verhaßt: »Das Blutvergießen, das in Jaffa geschah, und die bolschewistischen Prinzipien, welche
die jüdischen Einwanderer in Palästina verbreiten, sind nichts als die
natürliche Folge der Balfour-Deklaration«, hieß es in der in Jerusalemer
Zeitung Bayt al-Maqdis.
Die vom britischen Hochkommissar über Palästina, Sir Herbert Samuel, einem der
Väter der Balfour-Deklaration, eingesetzte Untersuchungskommission unter dem
Obersten Richter Sir Thomas Haycraft machte zwar die
arabische Seite für den Ausbruch der Gewalttätigkeiten verantwortlich. Doch
dahinter verortete die Kommission keine religiösen, sondern politische und
ökonomische Ursachen wie die Angst der Araber vor dem Verlust des Landes durch
die zionistische Einwanderung. So brachen die Mai-Unruhen kurz nach dem Verkauf
riesiger Landgüter durch den in Beirut lebenden Sursuk-Clan
an die zionistische Bewegung aus, wodurch rund 8000 palästinensische
Halbpächter vertrieben wurden. Die Araber »entdeckten überdies in den jungen
Neuankömmlingen eine Anmaßung, die zu verstehen zu geben schien, daß sie sich als Angehörige einer höheren Rasse fühlten,
seit langem dazu ausersehen, die Herren zu sein in diesem Land«, heißt es weiter
im Haycraft-Bericht.
Forcierte Kolonialpolitik
Die britische Mandatsverwaltung reagierte auf die Unruhen mit
Einwanderungsbeschränkungen für die zionistische Bewegung. Hierauf reagierte
der im September 1921 in Karlsbad tagende 12. Zionistenkongreß
mit einer »Resolution zur arabischen Frage«, in der er seinen »Willen, mit dem
arabischen Volk in einem Verhältnis der Eintracht und gegenseitigen Achtung zu
leben«, ausdrückte und sich dafür aussprach, beiden Völkern »eine ungestörte
nationale Entwicklung« zu sichern. Was auf den ersten Blick versöhnlich klang,
ging in Wahrheit einher mit der Forcierung der Kolonialpolitik. So schuf der Kongreß ein Kolonisationsamt zur planmäßigen
Siedlungstätigkeit. Stand bis dahin der Landerwerb im Vordergrund, so sollte
nun parallel dazu der Aufbau einer eigenen Ökonomie in Form wirtschaftlicher
Apartheid und eigener politischer Institutionen vorangetrieben werden. So wuchs
das direkt neben Jaffa als jüdische Stadt neu
gegründete Tel Aviv von 3600 Einwohnern im Jahr 1921 auf 40000 im Jahr 1925 an.
Mit dem infolge des Haycraft-Berichts
veröffentlichten Churchill-Weißbuch von 1922, das die Handschrift Sir Samuels
trug, sicherte die britische Regierung der zionistischen Bewegung eine weitere
Zuwanderung im Rahmen »der ökonomischen Absorptionskraft des Landes« zu. Als
Zugeständnis an die arabische Seite machte die Regierung ihr Bestreben
deutlich, daß Palästina nicht so »jüdisch werde, wie
England englisch sei«. Nicht Palästina solle in eine jüdische nationale
Heimstätte umgewandelt werden, sondern eine solche dort »auf der Basis des
Rechts und nicht der Toleranz« unter internationalem Schutz entstehen, wurde
nun die Balfour-Deklaration in für die Zionisten ungünstiger Weise
interpretiert.
Die britische Palästinapolitik verlief so weiter nach dem Schema: Unterstützung
der Zionisten – arabischer Widerstand – Beschränkung der Zuwanderung. Dabei
diente der Zionismus den britischen Behörden ebenso wie den feudalistischen
arabischen Führer als willkommener Sündenbock, um das antiimperialistische Bewußtsein der arabischen Massen auf einen innenpolitischen
Konflikt zwischen Juden und Arabern abzulenken.
Quelle: Der deutsche Zionist Georg Landauer schreibt
über »Die Lehren von Jaffa«
Einer der
verhängnisvollsten Fehler der bisherigen zionistischen Arbeit war die verfehlte
Araberpolitik. Weder hat man das arabische Problem in seiner Schärfe begriffen,
noch hat man eine sinnvolle Verständigungspolitik getrieben. Man glaubt, über
den Araber und die arabische Bevölkerung einfach zur Tagesordnung übergehen zu
können. Und man begreift nicht, daß keine Majorität
in keinem Lande jemals ohne Widerstand zusehen kann, wie eine planmäßige
Einwanderung in das Land sich vollzieht mit der Tendenz, die Einwanderer zur
Majorität, zu den Herren des Landes zu machen. […] Innerhalb der jüdischen
Kolonisation muß mit den bisherigen verkehrten
Prinzipien der Schaffung eines jüdischen Händlerkolonialistenstaates
mit arabischen Arbeitern gebrochen werden. Nach dem Überfall auf Petach-Tikwah sollen die dortigen Kolonisten versichert
haben, nun keine Araber mehr zu beschäftigen. […] Und der arabische Boykott in Jaffa hat dort auch jedem Denkenden gezeigt, daß die Juden im Lande endlich wirtschaftlich selbständig
werden müssen. […] Die Jaffaer Ereignisse haben gelehrt,
daß sich die zionistische Exekutive wie der Jischuw [die jüdische Bevölkerung Palästinas] energischer
um eine Verständigung mit den Arabern zu bemühen hat, eine Politik, die
allerdings – wie schon betont – nur von Erfolg begleitet sein kann, wenn sie durch
die Einwanderung vollwertiger, produktiver Elemente ergänzt wird. Diese zu
erzielen und auszubilden ist unsere vornehmste Aufgabe.
Jüdische Rundschau, XXVI. Jg., Nr. 45, 7.Juni 1921, S.322-323