Die Kurden - Bauernopfer der Weltpolitik?
Seit 100 Jahren scheint es das Schicksal der Kurden zu sein, zwischen den
Hegemonial-Interessen imperialistischer Großmächte und regionaler Vormächte
zerrieben zu werden.
NICK BRAUNSTelegram
Unter dem Schutz der sowjetischen Armee wurde im Januar 1946 im
persischen Teil Kurdistans die Republik Mahabad unter Präsident Ghazi Muhammad
ausgerufen. Doch die Sowjetdiplomaten spielten ein doppeltes Spiel. Während sie
die Kurden zur Unabhängigkeit ermutigten, verhandelten sie mit dem Schah von
Persien über Ölkonzessionen. Als sich die Sowjetarmee nach einer Einigung mit
dem Schah zurückzog, bedeutete dies nach einem Jahr den Todesstoß für diese
erste kurdische Republik. Iranische Truppen marschierten in Mahabad ein, Ghazi
Muhammad wurde hingerichtet. Nicht das Leninsche
Prinzip des proletarischen Internationalismus, sondern russische Großmachtinteressen
hatten damals die Politik der unter Stalin von ihrer sozialistischen
Orientierung in der Außenpolitik abgekommenen Sowjetunion gegenüber den Kurden
bestimmt.
Türkei soll als Knüppel benutzt werden
Die Geschichte von Mahabad scheint sich heute zu wiederholen. Auf der
einen Seite macht sich Moskau für eine Teilnahme der Kurden an den
Syrien-Friedensverhandlungen stark – in der Hoffnung, so die Kurden aus ihrer
taktischen Militärallianz mit den USA herauszubrechen. Doch auf der anderen
Seite gab Russland mit dem Abzug seiner Militärbeobachter und der Öffnung des
Luftraums der Türkei grünes Licht für den Krieg gegen den
Selbstverwaltungskanton Afrin in Nordsyrien. Die Absicht der Kreml-Herren ist
klar. Die Türkei soll als Knüppel benutzt werden, um die Kurden zurück in die
Arme des mit Moskau verbündeten syrischen Regimes zu treiben.
„Verdeckte Operationen sind keine Wohltätigkeitsveranstaltung“
Ehrliche Freunde haben die Kurden auch in Washington nicht. 1974 hatte
sich der Schwerpunkt des kurdischen Freiheitskampfes in den Irak verlagert.
Schutzmacht der Kurden waren die USA, die über den verbündeten Iran den
Peschmerga von Mollah Mustafa Barzani Waffen und
logistische Hilfe zukommen ließen, um die Bagdader Zentralregierung zu
schwächen. Doch nach einem Abkommen zwischen Iran und Irak wurde die
Unterstützung der Peschmerga über Nacht beendet. Verdeckte Operationen seien
keine Wohltätigkeitsveranstaltung, entgegnete US-Außenminister Henry Kissinger
auf Barzanis Hilferufe. Die von ihren Verbündeten fallengelassenen Peschmerga
erlitten ihre bis dahin größte Niederlage, mehr als 100.000 irakische Kurden
flohen in den Iran.
Aus Fehlern nichts gelernt
„Der größte Fehler meines Lebens war es, den USA zu vertraut zu haben“,
vertraute Mollah Mustafa Barzani damals einem
Journalisten an. Sein Sohn Massud hat aus diesem Fehler nichts gelernt.
Fassungslos schaute der kurdische Präsident im vergangenen Herbst zu, wie die
USA als bis dato engste Verbündete der irakischen Kurden keinen Finger
krümmten, als die irakische Armee und pro-iranische Milizen nach dem
Unabhängigkeitsreferendum in die Erdölstadt Kirkuk einmarschierten.
Zumindest hatte die US-Regierung immer ehrlich kundgetan, dass ihre
Kooperation mit den kurdischen YPG/YPJ in Syrien lediglich
militärisch-taktischer Art im Rahmen des Kampfes gegen den IS sei und keine
politische Unterstützung des politischen Projektes in Rojava
beinhalte. So kann das Schweigen Washingtons zum Angriff des NATO-Partners
Türkei auf Afrin zwar nicht erstaunen, muss aber dennoch als Verrat an den
kurdischen Verbündeten verstanden werden.
„Bauern“ schreiben Weltgeschichte
Die Kurden werden oft als Bauernopfer der Großmachtpolitik auf dem
Schachbrett des Mittleren Ostens bezeichnet. Denn beim Schachspiel sind die
Bauern die niedrigsten Figuren, die für das Überleben der Könige und Damen
geopfert werden Doch die Bauern – hier einmal verstanden als Sinnbild des
einfachen Mannes und der einfachen Frau aus dem Volk – haben bewiesen, dass sie
Weltgeschichte schreiben können.
In der russischen Revolution 1917 beendeten die Bauern – im Bündnis mit
den Arbeitern – unter Lenins Führung das Völkerschlachten des Weltkrieges. Sie
stürzten die kapitalistische Ausbeuterordnung, um eine neue Gesellschaft zu
erbauen.
In der chinesischen Revolution besiegten die Bauern im jahrzehntelangen
Kampf unter Mao Tse Tungs Führung die
imperialistischen Ausbeuter des Landes ebenso wie die einheimischen Unterdrückter.
In Vietnam erkämpften die Bauern unter Ho Tschi
Mins Führung im opferreichen Volkskrieg die nationale
Befreiung zuerst gegen die französischen Kolonialisten und dann gegen den
US-Imperialismus.
Die Bauern und Arbeiter in Russland, in China, in Vietnam siegten gegen
scheinbar übermächtige Gegner. Denn sie hatten nichts zu verlieren, als ihre
Ketten, aber eine Welt zu gewinnen.
Sie siegten, weil sie geschickt die Widersprüche ihrer imperialistischen
Gegner ausnutzen, ohne kurzfristige taktische Allianzen mit strategischen
Bündnissen zu verwechseln.
Sie siegten, weil sie sich in erster Linie auf ihre eigene Kraft, auf die
Kraft des werktätigen Volkes und der unterdrückten Nationen stützten und nur
dieser Kraft vertrauten.
Beseelt von der Freiheitsphilosophie Abdullah Öcalans
Mit diesem historischen Wissen und beseelt von der Freiheitsphilosophie
Abdullah Öcalans führen heute die kurdischen Bauern und Werktätigen in Afrin,
in Rojava, in Nordsyrien einen revolutionären
Volkskrieg für ein selbstbestimmtes, freies und würdiges Leben - im Bündnis mit
den anderen Völkern der Region, den Arabern, Assyrern und Turkmenen.
Sie werden siegen! Denn das Schachbrett des Mittleren Ostens wird nicht
mehr länger von den Spielern in Washington und Moskau, in Ankara, Damaskus oder
Teheran bestimmt, wenn die Bauern die Regeln des Spiels ändern und sich gegen
die Könige vereinigen.
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YENIÖZGÜRPOLITIKA Freitag, 26 Jan 2018, 08:05