Ein sozialdemokratischer Karl May

August Bebel: Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode

 

Von Nick Brauns

 

In ihrem Verlagsprogramm kündigte die edition ost "Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode" eines gewissen August Bebel an. Der Autor dieser Kulturgeschichte ist tatsächlich identisch mit dem Führer der Vorkriegs-SPD, dem Mitkämpfer Wilhelm Liebknechts. Daß der Verfasser der glänzenden Autobiographie "Aus meinem Leben" und  seines wohl meistgelesenen Werkes "Die Frau und der Sozialismus" sich auch mit christlicher Religionsgeschichte beschäftigt hat, zeigt seine Broschüre "Christentum und Sozialismus". Im Deutschen Reichstag bekämpfte der Atheist Bebel das katholische Zentrum und das protestantische Junkertum.gleichermaßen und plädierte für die Trennung von Staat und Kirche.

Daß sich Bebel neben dem Christentum auch der anderen großen Weltreligion, dem Islam, zuwendet, war kein Zufall. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts trat die sogenannte orientalische Frage in den Mittelpunkt der Großmachtdiplomatie. Während England, Frankreich und Rußland schon länger um Einfluß beim "Kranken Mannes am Bosporus" rangen, beteiligte sich das Deutsche Reich erst in den 1890er Jahren aktiv mit der Bagdadbahnstrategie an Rennen um Einfluß im Orient. Doch schon lange vorher wurde auch Deutschland von einer Welle von Orientliteratur überschwemmt. Reiseberichte, mehr oder weniger wissenschaftliche Werke und kolonialistische Hirngespinste diverser Journalisten, Militärs und Politiker, die häufig niemals die Länder ihrer Träume betreten hatten,  spiegelten eine romantisch verbrämte Orientsehnsucht wieder, die späteren imperialistischen Eroberungen den Boden bereiten sollte. Auch beim jungen Sozialdemokraten Bebel, der sich in Arbeiterbildungsvereinen mit iHilHilfe Wilhelm Liebknechts in Leipzig historisches Wissen, Sprachkenntnis und eine marxistische Ausbildung aneignet, wird das Interesse geweckt.

Unter Bismarcks Sozialistengesetz wird auch Bebel inhaftiert. Während einer halbjährigen Haft 1877 bis 1878 schreibt er die Broschüre "Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode". Ziel Bebels ist es, zu zeigen, woher die christlichen Völker ihre Kulturmittel bekamen, nachdem sie das dunkle, wissenschaftsfeindliche Mittelalter hinter sich gelassen hatten. Weiterhin versucht Bebel auf populäre Weise die marxistische Erkenntnis zu vermitteln, daß jede Religion bloß ein vorübergehendes Produkt einer jeweiligen Kulturperiode ist. Seine Untersuchung gipfelt in dem Resultat: "Die mohammedanisch-arabische Kulturperiode ist das Verbindungsglied zwischen der untergegangenen griechisch-römischen und der alten Kultur überhaupt und der seit dem Renaissancezeitalter aufgeblühten europäischen Kultur. Die letztere hätte ohne dieses Bindeglied schwerlich so bald ihre heutige Höhe erreicht. Das Christentum stand dieser ganzen Kultur-Entwicklung feindlich gegenüber. Und so kann man denn mit Fug und Recht sagen: Die moderne Kultur ist eine antichristliche Kultur." In den Augen des protestantischen Junkertums, daß seinen Herrschaftsanspruch gerade auch aus dem Christentum ableitete, mußte dies als reinste Ketzerei erscheinen.

Bebels Schilderung der Geschichte des Islam und der Araber ist nicht frei von den damals wie heute verbreiteten romantischen Klischees. Der Versuch Bebels, diese auch noch vulgärmaterialistisch zu deuten, läßt uns heute schmunzeln. So schreibt er: "Die Empfänglichkeit des Arabers für sinnliche Eindrücke ist eine sehr große und eine Folge der hellen, heiteren Natur, in der er lebt. Am Tage genießt er die fast stetig strahlende Sonne mit ihrem Lichtmeer, die Reinheit der Luft, die dem Blick in die weite Ferne zu schweifen gestattet, die Abwechslung in der Szenerie des Landes; in der Nacht wird seine Phantasie durch den glänzenden Sternenhimmel erregt und genährt."

Der bekannte ostdeutsche Orientalist Wolfgang Schwanitz hat dieses im 19. Jahrhundert in nur zwei Auflagen 1884 und 1888 erschienene Buch für die Neuauflage in der Reihe Congnoscere der edition ost anläßlich von Bebels 85. Todestag herausgegeben. In seiner Einleitung ordnet er Bebels Orientbuch sowohl in die Zeitumstände seiner Entstehung, als auch in den aktuellen orient- und kulturwissenschaftlichen Diskurs ein.

In der Einleitung zieht Schwanitz den Vergleich zwischen August Bebel und Karl May. Beiden ist gemeinsam, daß sie - in Sachsen wohnend - niemals den Orient betreten haben und ihre Wissen gänzlich aus Sekundärliteratur und Reiseschilderungen beziehen. Schwanitz sieht einen entscheidenden Unterschied: "Während August seine Leser rational nachvollziehbare Wege gehen läßt, möchte Karl Gleichnisse und Märchen erzählen, in denen die Wahrheit tief verborgen liege. Dem einen geht es um den Verstand, dem anderen um die Seele. Der Sozialdemokrat zielt auf die reformerische Verbesserung seiner Gegenwart ab, der Seelenhirte sucht sich und andere zunächst in geistigen Welten zu befreien."

In einer Zeit, in der das Schlagwort vom Kampf der Kulturen die Runde macht, lohnt es sich, den zutiefst humanistischen und materialistischen Standpunkt August Bebels gegenüber fremden Kulturen und Religionen wieder zu beleben, um Ängste abzubauen und neue Brücken zwischen den Völkern entstehen zu lassen.

 

Augsut Bebel: Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode

Herausgegeben und eingeleitet von Wolfgang Schwanitz

Edition ost, Berlin 1999

236 S., DM 39.80