Linke Legendenbildung

Klaus Kinners Monographie zur KPD-Geschichte

 

Von Nick Brauns

 

 

Den Mythen des deutschen Kommunismus nimmt sich der Leipziger Professor Klaus Kinner in seiner neuen Monographie zur KPD an. "Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus" heißt die vielversprechende Reihe im Berliner Karl Dietz Verlag, deren erster Band sich "Selbstverständnis und Realität" des deutschen Kommunismus in der Weimarer Republik widmet. "Die vorliegende Darstellung versteht sich als Versuch, Konturen eines Bildes des deutschen Kommunismus zu umreißen, die geeignet sind, jenseits von Hosianna und Verdammnis ein Maß zu finden für die Bewertung dieser epochalen Erscheinung, die dieses Jahrhundert so maßgeblich mitgeprägt hat und in deren Tradition - in Distanz und Nähe - die heutige entschiedene Linke auch steht" umreißt Kinner sein Vorhaben.

Die Zentralkomitees der SED sahen sich in der direkten Traditionslinie des "Thälmannschen ZK" der KPD. Die Interpretationen der Geschichte der KPD unterlagen somit der Deutungshoheit der SED, die Elemente der KPD-Historie für ihre eigene Legitimation benötigte. Selbstkritisch erkennt auch Klaus Kinner an, daß er vor 1989 zu sehr in den Schranken der SED-offiziellen Geschichtsdeutung geschrieben habe Er polemisiert vor allem gegen das "letzte Wort der DDR Geschichtsschreibung", den nicht mehr erschienen Band 2 der "Geschichte der SED" von 1990.

Die Stärke von Kinners Untersuchungen liegen in seinem reichhaltigen Gebrauch von Quellenmaterial aus der Stiftung der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin. Die internen Auseinandersetzungen zwischen "Rechten", "Linken", "Versöhnlern" etc. während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre werden durch ihre Korrespondenzen plastisch beleuchtet. Die Schwäche des von der Luxemburg-Stiftung geförderten Buches liegt dagegen in seinen politischen Wertungen. Man wird den Eindruck nicht los, daß der Autor einfach den Herren gewechselt hat - bzw. der Herr seinen Namen von SED in PDS geändert hat.

So baut er einen in der Form nicht vorhandenen "Gegensatz zwischen dem bolschewistisch-avantgardistsichen Revolutions- und Parteikonzept und dem linkssozialistisch-demokratischen Politikverständnis [Paul] Levis" im Jahr 1921 auf. Durch den Parteiausschluß von Paul Levi wäre die Chance auf eine "einheitliche, demokratische, linkssozialistisch-kommunistische Organisation" jedoch vertan worden. Die Kritik Levis richtete sich allerdings gegen den Putschismus der KPD im Mitteldeutschen Aufstand 1921 und nicht gegen den demokratischen Zentralismus der Partei oder den Anschluß an die Komintern. Vertan wurde 1921 eher die Chance, die KPD als Legitimationsgrundlage für die heutige PDS zu schaffen...

Das "Gedankendogma" der Weltrevolution hätte den "nüchternen Blick auf die Realität" verstellt, beklagt Kinner für das Jahr 1923.  Er kann allerdings keine Beweise für seine These anführen, daß im Sommer und Herbst 1923 "das Proletariat radikalisiert war durch die materielle Not, aber in der deutschen Tradition mehrheitlich deren Behebung eher von der Sozialdemokratie als von den Kommunisten erwartete." Schließlich wird selbst von einigen linksbürgerlichen Historikern anerkannt, daß im Sommer 1923 die KPD tatsächlich eine Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse hinter sich hatte.

Zurecht kritisch nimmt sich Kinner der "Thälmann-Legende" an. Die "Geschichte der SED" von 1990 rühmt noch die "Bildung des von Ernst Thälmann geleiteten stabilen revolutionären Führungskollektivs" als "wichtigsten Einschnitt in der Entwicklung der Partei seit Gründung der KPD." Anhand zahlreicher Quellen weist Kinner nach, daß dieses ZK unter Thälmann keineswegs "stabil" war, sondern weiterhin von inneren Fraktionskämpfen zerrissen. Der charismatische Arbeiterkommunist Thälmann stellte für die Moskauer Komintern-Zentrale nur ein geeignetes Werkzeug da, um weitgehend in die inneren Angelegenheiten der deutschen Partei einzuwirken.

"Die KPD war insgesamt seit dem Ende der zwanziger Jahre in ihrer damaligen Verfaßtheit strukturell erneuerungsunfähig geworden. Veränderungen waren nunmehr nur im Bruch mit dem vorherrschenden kommunistischen Parteimodell möglich", behauptet Kinner. Die Gegner der ultralinken KPD-Politik der "Dritten Periode" sahen das allerdings anders. Die rechte KPD-Opposition um Brandler und die Trotzkisten der "Linken Opposition" orientierten ihre Politik bis zur Machtübernahme des Faschismus auf die KPD, als deren externe Fraktionen sie sich verstanden. Ihre Kritik galt nicht der Form der Parteiorganistion, sondern dem Inhalt der KPD-Politik. Und daß die KPD - wenn auch spät -in der Lage war, ihre Fehler selbstkritisch einzugestehen, beweist die Brüssler Konferenz von 1935.

"Es gehört zu den gutgepflegten Legenden linker Folklore, zu behaupten, die Aktionseinheit der Arbeiterbewegung hätte den Faschismus verhindern können. Alle Daten sprechen dafür, daß dies schon rein numerisch angesichts der rechtskonservativen und faschistischen Dominanz nicht möglich war", behauptet Kinner. Aber marxistische Dialektik ist eben mehr wie bloße Addition parlamentarischer Mehrheiten. Eine rechtzeitig formierte Einheitsfront der Arbeiterparteien hätte auch große Teile des schwankenden Kleinbürgertums mitziehen können. Die Stärke einer solchen Front wäre nicht im Reichstag sondern in den Betrieben und auf der Straße zu finden gewesen. Aber vor einer solchen Denkweise scheute sich die damalige SPD-Führung ebenso, wie große Teile des heutigen PDS-Vorstandes.

 

Klaus Kinner: Der deutsche Kommunismus - Selbstverständnis und Realität

Band 1 Die Weimarer Zeit

Dietz Berlin 1999

239 S.