"Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wachsam!"

 

Über die Neuauflage von Julius Fucíks "Reportage unter dem Strang geschrieben"

 

Von Nick Brauns

 

"Auch mein Spiel geht dem Ende zu. Das Ende habe ich nicht mehr beschrieben. Das kenne ich noch nicht. Das mit kein Spiel mehr. Das ist das Leben. Und im Leben gibt es keine Zuschauer. Der Vorhang hebt sich. Menschen, ich hatte euch lieb. Seid Wachsam!" Mit diesen Zeilen beendete der tschechische Journalist Julius Fucík am 9.Juni 1943 im Prager Gestapogefängnis seine Aufzeichnungen. Nach einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wird der 40jährige Widerstandskämpfer am 8.September in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Fucíks Vermächtnis ist die "Reportage unter dem Strang geschrieben", die während der Gestapo-Haft entstand. Ende 1945 wurde in Prag die erste Ausgabe des Buches veröffentlicht. Inzwischen ist es in 89 Sprachen und rund 300 Auflagen auf allen Kontinenten verbreitet. In der Bibliothek des Widerstands hat der Pahl-Rugenstein-Verlag nun eine ergänzte und erstmals in deutsche Sprache vollständige Neuausgabe vorgelegt.

1903 als Sohn einer Arbeiterfamilie in Pilsen geboren, schloss sich der Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker Julius Fucík 1921 der kommunistischen Partei an, für deren Presse er fortan arbeitete. 1930 und 1934 bereiste er mehrere Monate lang die UdSSR. Hiervon zeugen eindrucksvolle Reportagen über den sozialistischen Aufbau. Nach dem Überfall der Hitlerfaschisten auf tschechisches Gebiet und die Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren ging Fucík in den Untergrund. Getarnt als Professor Horák gehörte er der illegalen Reichsleitung der KPTsch an. Er war für die Herausgabe der Zeitung "Rudé právo" und illegaler Flugschriften verantwortlich. Im April 1942 gelang es der Gestapo zufällig, ihn bei einer Razzia zu verhaften. Um unter der Gestapo-Folter seinen Verstand und seine Würde zu wahren, tut der Journalist Fucík das, was er gelernt hat: er schreibt. Der tschechische Gefängniswärter Kolinsky, der sich als Deutscher ausgab, um die tschechischen Gefangenen zu bewachen, schmuggeln ihm Schreibmaterial in die Zelle und bringen die Dossiers in Sicherheit. "Ich werde ihnen das Tschechentum austreiben", bedrohte einmal ein deutscher Gefängnisdirektor Kolinsky. Fucík schreibt: "Es ist nicht das Tschechentum. Er müsste ihm den Menschen austreiben. Den Menschen, der bewusst und freiwillig seinen richtigen Platz einnahm, um zu kämpfen und im Kampfe helfen zu können, den die ständige Gefahr nur stählte".

Fucíks Reportagen handeln von seiner Haft, seinen Mitgefangenen, anderen Widerstandskämpfer - "Nur Beispiele, nur Beispiele. Größere oder kleinere Gestalten. Aber immer Gestalten. Niemals Figuren." Aber er schreibt auch über seine Nazi-Peiniger und den Verrat der tschechischen Kollaborateure. "Es ist ein Buch über den einfachen Heldenmut ohne großes Geschrei und Getrommel. Fucík hat einmal gesagt, es gibt keine namenlosen Helden. Daher stellt er viele dieser Leute vor, die im Widerstand ihren Namen hatte, aber für die breite Öffentlichkeit unbekannt blieben", erläutert die ehemalige tschechische Widerstandskämpferin Vera Pickova bei der Buchvorstellung in München.

Vera Pickova ist Mitbegründerin der Julius-Fucík-Gesellschaft, die von einer Gruppe tschechischer Journalisten 1991 gegründet wurde. "Nach 1989 wurde das Andenken an Fucík besudelt. Präsident Vaclav Havel hat behauptet, die Kommunisten hätten Fucík als Widerstandskämpfer für ihre Mythenbildung erfunden. Es wurde sogar behauptet, Fucík habe mit der Gestapo gearbeitet und seine Reportagen seinen eine spätere Fälschung der Kommunisten." Auch in Deutschland wurden die Verleumdungen verbreitet. Schulen und Straßen der ehemaligen DDR, die Fucíks Namen trugen, wurden nach 1990 umbenannt.

Eine kriminaltechnische Expertise durch das Historische Institut der tschechoslowakischen Armee-Widerstands-Gedenkstätte bewies allerdings die Echtheit der Fucík-Manuskripte. Durch die Untersuchung war auch die Vervollständigung der Reportage möglich. Gegenüber früheren deutschsprachigen Ausgaben des Dietz-Verlages oder in den 70er Jahren bei Suhrkamp konnten in der Neuauflage von Pahl-Rugenstein Auslassungen ergänzt und anonymisierte Namen korrigiert werden.

Bisher gestrichene Abschnitte über Fucíks Verhalten bei Gestapo-Verhören wurden wieder eingefügt. Diese Abschnitte hatten in der Vergangenheit für das Gerücht gesorgt, Fucík habe bei der Gestapo als Verräter gewirkt. Aus den nun veröffentlichten Passagen geht hervor, wie Fucík mittels Teilaussagen, die niemanden belasteten, die Aufmerksamkeit der Gestapo in eine falsche Richtung lenken und führende tschechische Intellektuelle, deren Verhaftung unmittelbar drohte, schützten konnte. "Sie jagten einige Monate lang einem Trugbild nach, das - wie jedes Trugbild - größer und verführerischer war als die Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit draußen konnte unterdessen arbeiten und zu einer Größe heranwachsen, die alle Trugbilder übertrifft" schildert Fucík die Erfolge seiner gezielten Irreführung der Gestapo.

Ergänzt wurden die "Reportagen" in der Neuauflage durch einige Artikel und Flugblätter aus der Feder Fucíks. Mit dem 1939 verfassten Artikel "Die Juden in der tschechischen Literatur" kritisiert Fucík indirekt die Bereitschaft reaktionärer tschechischer Kreise, sich dem faschistischen Antisemitismus zuzuwenden. In einem Nachwort geht der VVN-Vorsitzende Ulrich Schneider auf die Lebensgeschichte Fucíks und die Rezeptionsgeschichte des Buches ein.

"Kürzlich betreute ich in Prag eine Gruppe bayerischer Schüler. Als ich ihnen das ehemalige Gestapogefängnis zeigte, habe ich von Fucík erzählt. Abends in der Jugendherberge fanden die Schüler eine Ausgabe der "Reportagen". Das Buch ging von Hand zu Hand und die Schüler haben die ganze Nacht mit Begeisterung daraus vorgelesen. Ich hoffe, dass die Neuauflage des Buches in Deutschland viele Jungendliche erreicht. Wenn Ihr es gelesen habt, gebt es an Freunde weiter, so, wie wir es mit der ersten Auflage 1945 gemacht haben", wünscht sich Vera Picova.

 

Julius Fucík: Reportage unter dem Strang geschrieben

159 Seiten

Pahl-Rugenstein Verlag 2000-07-14 DM 24,90