Der machtlose Prophet - Trotzkis Warnungen vor dem Nationalsozialismus

 

"Neulich ein "Porträt des Nationalsozialismus", das ist wirklich eine Meisterleistung. Da stand alles, aber auch alles drin. Unbegreiflich, wie das einer schreiben kann, der nicht in Deutschland lebt", lobte Kurt Tucholsky die Faschismusanalyse Trotzkis vom Juni 1933. Aufmerksam hatte der russische Revolutionär Leo Trotzki die deutschen Ereignisse von seinem Exil im türkischen Prinkipo beobachtet, wohin ihn Stalin verbannt hatte.

Deutschland stellte für Trotzki den Schlüssel zur internationalen Lage da. Entsprechend große Verantwortung gab der Politik der deutschen Kommunisten. Die kampflose Niederlage der deutschen Arbeiterklasse vor der faschistischen Machtübernahme am 30.Januar 1933 war für ihn der "4.August" der Kommunistischen Internationale. Für seine Anhänger bedeutete dies, sich nicht mehr als "Linke Opposition" von KPD und Komintern zu verstehen, sondern eigenständig an den Aufbau neuer kommunistischer Parteien und einer IV.Internationale zu gehen.

Die KPD hätte nach Trotzkis Auffassung die Macht gehabt, eine tatsächliche antifaschistische Einheitsfront zu schaffen: "Den subjektiven Faktor stellt für uns die Kommunistische Partei dar, denn die Sozialdemokratie ist ein objektives Hindernis, das man hinwegräumen muß." Doch das Thälmannsche Zentralkomitee brandmarkte die SPD als "sozialfaschistisch" und bekämpfte sie als den Hauptfeind. Stalin hatte die Losung ausgegeben: "Sozialdemokratie und Faschismus - das sind keine Antipoden, sondern Zwillinge".

Wenn die KPD-Führung von Einheitsfront sprach, wendete sie sich nur an die sozialdemokratische Arbeiterbasis, nicht aber an deren Führung und verschreckte auch diese Arbeiter mit ultra-linker Phrasiologie als Eintrittshürde in Organisationen wie der Antifaschistische Aktion. Trotzki kritisierte diese "Einheitsfront von unten", da sie nur Arbeiter erreichte, die schon mit einem Bein bei den Kommunisten stehen. "Getrennt marschieren, vereint schlagen! Sich nur darüber verständigen, wie zu schlagen, wen zu schlagen und wann zu schlagen. Darüber kann man mit dem Teufel selbst sich verständigen, mit seiner Großmutter und sogar mit Noske und Grzesinski. Unter der einen Bedingung sich nicht die eigenen Hände zu binden!", dies war Trotzkis Vorschlag für die kommunistischen Arbeiter in Deutschland.

Den sozialdemokratischen Führern, so reaktionär sie auch waren, mußte man die Einheitsfront aufzuzwingen. Denn eine faschistische Diktatur würde auch die sozialdemokratischen Organisationen vernichten. "Die Kommunistische Partei muß zur Verteidigung jener materiellen und geistigen Positionen aufrufen, die das Proletariat in Deutschland bereits errungen hat. ... Der kommunistische Arbeiter muß zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: "Die Politik unserer Parteien ist unversöhnliche; doch wenn die Faschisten heute Nacht kommen werden, um die Räume deiner Organisation zu zerstören, so werde ich mir der Waffe in der Hand dir zu Hilfe kommen. Versprichst du, dass du, wenn die Gefahr meine Organisation bedrohen wird, ebenfalls zu Hilfe kommen wirst?""

Aber das Aufrechterhalten der Sozialfaschismus-These ermöglichte es den sozialdemokratischen Führern, sich weiterhin vor einer Einheitsfront zu drücken, obwohl diese an der Basis vielerorts aus praktischer Notwendigkeit zustande kam. Erst nach Errichtung der NS-Diktatur korrigierte die Komintern ihren Kurs. In einem Aufruf "An die Arbeiter aller Länder" vom 5.März 1933 forderte das EKKI die Einheitsfront auf allen Ebenen und in allen Ländern. Mit der Brüsseler Konferenz 1935 verurteilte die Führung der KPD endgültig jegliches Sektierertum gegenüber Sozialdemokraten.

Neben Georgi Dimitroff und August Thalheimer zählen Trotzkis Analysen zu den Grundlagen marxistischer Faschismus-Theorien. Daß der Faschismus an der Macht die Diktatur der reaktionärsten Kreise des Finanzkapitals bedeutet, teilt er mit Dimitroff. Für den Aufstieg der faschistischen Bewegung steht für Trotzki dagegen dessen kleinbürgerlicher Charakter im Vordergrund: "Der Faschismus ist ein besonderes Mittel, das Kleinbürgertum im sozialen Interesse des Finanzkapitals politisch zu mobilisieren und zu organisieren." Diese kleinbürgerliche Massenbasis des Faschismus ist für Trotzki auch der entscheidende Unterschied zu einer Militärdiktatur. Daher lehnte er es ab, die Präsidialregimes unter Brüning, Papen und Schleicher schon faschistisch zu nennen, wie es die KPD tat. So wurde vor den echten Faschisten abgelenkt. Und nur der Hitlerfaschismus verfügte über eine ausreichende militante Massenbasis, die über die tatsächliche Macht verfügten, die Organisationen der Arbeiterklasse physisch zu vernichten und zu atomisieren. Voraussetzung hierfür war allerdings die falsche Politik der Führungen von KPD und SPD, die die Arbeiterklasse im entscheidenden Moment gespalten und verwirrt ließ. Dies, und nicht ein eliminatorischer Antisemitismus des deutschen Volkes wie es Daniel Goldhagen, Jürgen Elsässer und andere gerne behaupten, war die Ursache für den Sieg des Faschismus in Deutschland.

 

Nick Brauns

 

Leo Trotzki: Porträt des Nationalsozialismus

Arbeiterpresseverlag Essen 1999

397 Seiten, broschiert, DM 32,-

ISBN 3-88634-073-2