Nikolaus Brauns

 

Organisator der Arbeiterbewegung und der Roten Hilfe:  Eugen Schönhaar

 

In die Annalen der SED-offiziellen Geschichtsschreibung ist Eugen Schönhaar vor allem als Opfer des Nationalsozialismus eingegangen, nachdem er zusammen mit Thälmanns Stellvertreter John Schehr zwei weiteren Kommunisten im Februar 1934 von der Gestapo ermordet wurde. Seine Rolle in der kommunistischen Jugendbewegung sowie als leitender Funktionär der Internationalen Roten Hilfe ist dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten.

 

Eugen Schönhaar kam am 29.Oktober 1998 in Esslingen am Neckar als fünftes von 16 Kindern des Weißgerbers Karl Wilhelm Schönhaar und  seiner Frau Maria-Pauline zur Welt. Nach dem Besuch der Volksschule zwischen 1904 und 1912 absolvierte Schönhaar von 1912 bis 1914 eine Feinflaschnerlehre und 1914/15 eine Lehre als Kernmacher in einer Gießerei. Anschließend fand er Arbeit in der Maschinenfabrik Esslingen ME. [1]

Geprägt durch das sozialistische Elternhaus - sein Vater gehörte der SPD an - organisierte sich Schönhaar im bereits als 14-jähriger April 1912 in der Sozialistischen Jugend, deren Ortsausschuss er bis Ende 1913 angehörte. [2]

1914 wurde er zum Vorsitzenden der Esslinger Industriegruppe der unter dem Einfluss der revolutionären Parteilinken stehenden oppositionellen Jugendgruppen, die er bis 1917 auch im Württemberger Landesausschuss der von der Zentralstelle der arbeitenden Jugend Deutschlands abgespaltenen oppositionellen Jugendgruppen vertrat. [3]

 

Agitation gegen den Krieg

 

In einem Ende März 1923 verfassten „Politischen Lebenslauf“ für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Russlands gab Eugen Schönhaar an, „von Beginn der Spartacusbund Bewegung an (Ende 1914) aktives Mitglied derselben“ gewesen zu sein.[4]

1916 wurde Schönhaar zusammen mit drei weiteren Genossen nach der Teilnahme an einer Versammlung revolutionärer Arbeiterjugendlicher anlässlich des Internationalen Jugendtages verhaftet. Die Anklage lautete auf Landesverrat. Wegen der Verbreitung verbotener Schriften musste er am 12. Oktober 1916 für drei Monate ins Gefängnis.

Schönhaar vertrat die Freie Sozialistische Jugend Württembergs auf der Ostern 1917 in Berlin abgehaltenen illegalen II. Reichskonferenz revolutionärer Arbeiterjugendorganisationen.[5]

Bei einer erneute Anklage wegen Landesverrats am Anfang 1917  konnte ihm lediglich die Leitung verbotener Versammlung nachgewiesen werden und er muss für vier Wochen ins Gefängnis.[6] Anschließend wurde Schönhaar „sträflich“ zum Militärdienst eingezogen und – wie er angibt -  „daselbst sofort wegen Dienstpflichtentziehung und antimilitaristischer Propaganda verhaftet“.[7] Zuvor scheint er an der Front verwundet worden zu sein. Denn der spätere Theaterregisseur Alfred Dreifuß gibt in seiner Autobiographie an, im Lazarettflügel des israelitischen Waisenheims „Wilhelmspflege“ in Esslingen, in dem er 1917 als Postbote tätig war, die Bekanntschaft Schönhaars gemacht zu haben. Als der kriegsbegeisterte Jugendliche Dreifuß den verwundeten Frontsoldaten über den Krieg ausfragt, antwortete ihm dieser lediglich: „Hör zu und merke dir das, der Krieg da draußen ist die scheußlichste Sache der Welt.“[8] Dreifuß, der wenig später Kontaktverbot mit Schönhaar bekam,  betonte: „Es war die erste Antikriegsäußerung, die ich vernahm, in Esslingen, in der `Wilhelmspflege´.“[9]

Nach dreimonatlicher Untersuchungshaft im Untersuchungsgefängnis Gmünd wurde Schönhaar am 16.Januar 1918 von einem Kriegsgericht wegen „Fahnenflucht“ zu neun Monaten Festungshaft verurteilt und erst durch den Ausbruch der Novemberrevolution befreit. [10] Kurz darauf wurde er in die Propaganda-Abteilung des Zentralen Soldatenrates in Stuttgart gewählt.[11]

 

Betriebskader in der Maschinenfabrik Esslingen

 

Nach seiner offiziellen Entlassung aus dem Militärdienst fand Schönhaar wieder eine Anstellung als Former in der Maschinenfabrik Esslingen, die zu diesem Zeitpunkt 12.000 Beschäftige zählte. Er trat der Kommunistischen Partei Deutschlands bei und wurde zum Vorsitzenden der Esslinger Ortsgruppe der KPD-Jugendorganisation Freie Sozialistische Jugend Deutschlands.[12]

 

Als sich Anfang April 1919 ausgehend von Stuttgart ein Generalstreik über fast alle wichtigen Industrieorte Württembergs ausdehnte, gehörte Eugen Schönhaar als Vertreter der KPD einem Aktionskomitee in der Maschinenfabrik Esslingen an. Die KPD forderte die Freilassung der proletarischen politischen Gefangenen und die Wiedereinstellung der nach den Januarunruhen Gemaßregelten, die Wiederherstellung eines unbeschränkten Versammlungsrechts sowie die Neuwahl der Arbeiter- und Soldatenräte.[13] Als die Stadt Esslingen nach Verhängung des verschärften Belagerungszustandes durch „weiße Truppen“ besetzt wurde, floh Schönhaar nach München, wo er an den letzten Kämpfen um die Räterepublik teilnahm.[14] Nach deren Niederschlagung wurde er im Juni 1919 in Augsburg verhaftet und nach drei Monaten Untersuchungshaft an die Württembergische Justiz ausgeliefert, das ihn am 9.März 1920 „wegen aktiver und leitender Teilnahme am Aprilgeneralstreik“  zu zehn Monaten Gefängnis verurteilte. Aufgrund der Untersuchungshaft galt die Strafe als weitgehend verbüßt und Schönhaar kam frei.[15]

 

Während des reichsweiten Generalstreiks zur Niederringung des Kapp-Putsches im März 1920 wurde der erst 21jährige Schönhaar zum Vorsitzenden des Aktionsausschusses der Maschinenfabrik Esslingen gewählt und gehört auch dem Aktionsausschuss für das gesamte Esslinger Industriegebiet an. Im Sommer 1920 wurde er Leiter der kommunistischen Betriebsgruppe in der ME.[16]

Als  die Württemberger Arbeiter am 28.August 1920 erneut in einen Generalstreik traten, um ein Ende der militärischen Bewachung einer Reihe von Betrieben, die Wiedereröffnung geschlossener Betriebe, die Bezahlung der Löhne für die ausgefallene Arbeitszeit und Verhandlungen mit der Regierung wegen des Steuerabzugs zu fordern, gehörte Schönhaar dem Esslinger Streikbezirksausschuss an. Hierfür wurde er nach Beendigung des Streiks von der Unternehmensleitung der ME „gemaßregelt“.[17]

 

Funktionär der kommunistischen Jugendbewegung

 

Nun begann Eugen Schönhaars Aufstieg in der internationalen kommunistischen Bewegung. So vertrat vom 28. bis 30. Dezember 1920 die württembergische Kommunistische Jugend Deutschland (KJD) auf dem 5. Reichskongress der KJD. Er wurde in die Reichsführung der KJD gewählt und arbeitete bis Juni 1921 als Redakteur des Zentralorgans „Die Junge Garde“.[18]

Als Delegierter der KJD hielt Schönhaar auf der zweiten Konferenz der Kommunistischen Jugendinternationale, die vom 9. bis 24. Juli 1921 in Moskau tagte, das Referat über die organisatorischen Aufgaben der Landesverbände. Ausgehend von der Notwendigkeit, breitere Massen für die kommunistischen Jugendverbände zu erfassen, schlug er eine Rückkehr zur „Zellenorganisation“ vor. Aus dem Gesagten geht jedoch hervor, dass Schönhaar mit Zellen eigentlich kommunistische Fraktionen innerhalb verschiedener Arbeiterorganisationen meinte, die ihre Fühler überall dorthin ausstrecken, wo größere Massen jugendlicher Arbeiter vereinigt waren. „Die Ortsgruppen sind die feste Form des Verbandes, während die Zellen einer losere Form darstellen, in denen der Verband das Vertrauen der Jugendlichen erobert und sie dann in den kommunistischen Jugendverband selbst hinüberleitet“[19], hieß es in Schönhaars Referat. Zusammen mit den deutschen Delegierten Willi Münzenberg, Leo Flieg und Unger wurde Schönhaar in das 11-köpfige Exekutivkomitee der KJI gewählt.[20] Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Exekutivkomitee auf dem dritten KJI-Kongress im Dezember 1922 arbeitete Schönhaar im Berliner Büro der Jugendinternationale.

 

Vertreter der Internationalen Roten Hilfe

 

Da der III. und IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale zeitlich kurz vor den Kongressen der Jugendinternationale stattfanden, konnte Eugen Schönhaar deren Beratungen als Gast beiwohnen. So wurde er auch Zeuge, wie die Kommunistische Internationale im November 1922 auf Vorschlag der „Gesellschaft der Alten Bolschewiki“ die Gründung der Internationalen Roten Hilfe beschloss. Nach einigen Monaten Arbeit in einem Moskauer Betrieb wurde Schönhaar Ende 1923 zum Mitarbeiter des Exekutivkomitees der IRH berufen.[21] Da Schönhaar sein außergewöhnliches Organisationstalent bereits als Betriebskader und Jugendfunktionär unter Beweis gestellt hatte, ernannte ihn das ZK der IRH am 18.Dezember 1923 zum Leiter eines neugeschaffenen Mitteleuropäischen Büro (MEB) der IRH in Berlin.[22]  Die IRH-Vertretung, deren offizielle Eröffnung im April 1924 erfolgte, sollte aus einem Büro mit  je einem Vertreter der Komintern, der Profintern, der KJI, der IRH sowie der KPD bestehen.[23] Regionale Leitungsstellen wie das MEB dienten zur besseren Koordination der Solidaritätsarbeit und zum Aufbau neuer Sektionen der Roten und betreuten jeweils eine Ländergruppe. Schönhaar, dessen Verantwortungsbereich sich über Deutschland, Dänemark, Holland, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei, Ungarn und ab 1925 über Teile des Balkan erstreckte, war als Leiter des MEB offizieller Vertreter des EK der IRH.

Bis zum Frühjahr 1925 leitete das MEB den Aufbau nationaler Komitees und Sektionen der Roten Hilfe an. Dann bestanden in allen Ländern seines Zuständigkeitsbereichs arbeitsfähige Rote-Hilfe-Gremien. Hauptaufgaben des MEB waren die internationaler Kampagnen gegen den „weißen Terror“ sowie internationale Propaganda-, Presse- und Verlagstätigkeit.

 

Eugen Schönhaar koordinierte die internationalen Hilfskampagnen der IRH gegen den „weißen Terror“ in Rumänien und Bulgarien und war federführend an der Kampagne gegen die Hinrichtung der in den USA unschuldig zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti beteiligt.[24] „Die Kampagne für die Rettung Saccos und Vanzettis vom elektrischen Stuhl war eine der – oder besser die populärste Kampagne, die je vom MEB der IRH geführt wurde“[25], hieß es in einem Bericht des MEB aus dem Jahr 1926.[26]

 

Die IRH-Pressestelle „Justitia“, die Redakteure in den verschiedenen Landessprachen beschäftigte, versorgte von Berlin aus die internationale Presse sowie die europäischen Sektionen der IRH und kommunistische Parteien mit mehrsprachigen Informations- und Propagandamaterialien über Kerkergräuel, Justizskandale, die Verfolgung von Arbeiterorganisationen und die Tätigkeit der Roten Hilfe.[27]

Daneben übernahm das MEB zwischen Mai 1924 und September 1926 „fast die gesamte Verlagstätigkeit der Exekutive der IRH für die außerrussischen Sektionen“.[28] Unterstützung bei der Redaktionsarbeit fand Eugen Schönhaar durch den ungarischen Journalisten Andor Gabor. Die Künstler John Heartfield und Alfred Beyer wirkten an der Gestaltung einzelner Broschüren mit. Käthe Duncker, Ehefrau des bekannten KPD-Propagandisten, half als Übersetzerin unter anderem aus dem Norwegischen mit.[29] Als Drucker hatte Schönhaar 1925 seinen Esslinger Genossen Fritz Rieckert gewonnen, dessen Berliner Wohnung auch als Deckadresse des MEB diente.[30] Schönhaars aus der Schweiz stammende Frau Odette arbeitete zeitweilig als Sekretärin für das MEB.[31]

 

Schönhaar reiste mehrfach zur Anleitung der Sektionen nach Österreich, in die Schweiz und in die Tschechoslowakei. Insbesondere die länderübergreifende Regelung des Politemigrantenwesens durch die Rote Hilfe fiel in seinen Zuständigkeitsbereich. Zur verbesserten Koordination und Zentralisation der Emigrationsfrage organisierte er daher im Anschluss an die Reichstagung der RHD am 17. Mai 1925 eine Besprechung von Vertretern der Roten Hilfe aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei und den Balkanstaaten sowie der IRH-Zentrale.[32] Dabei wurde beklagt, dass andere notwendige Aufgaben durch die massiv angestiegene Emigrantenhilfe in den Hintergrund gedrängt würden. In Österreich, Deutschland und Frankreich würde die legale Arbeit der Roten Hilfe durch die Unterstützung von illegalen in- und ausländischen Flüchtlingen zunehmend gefährdet. Um die Rote Hilfe materiell wie auch politisch zu entlasten, wurde beschlossen, äußerlich von der RH getrennte Politemigranten-Unterstützungskomitees zu schaffen.[33]

 

Zur verbesserten Koordination zwischen der IRH und ihrer deutschen Sektion wurde Schönhaar 1924 auch in das Zentralkomitee der deutschen Rote Hilfe berufen, dem er bis zur Gründung der Rote Hilfe Deutschlands als zentralisierter Mitgliederorganisation im September 1924 angehörte.[34] Regelmäßig versorgte danach auch der Zentralvorstand der RHD den „Genossen Eugen“ mit aktuellen Tätigkeitsberichten bis hin zu Kassenübersichten.[35]

 

Die Tätigkeit des MEB endete schlagartig, als gegen Schönhaar ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Aufgrund einer Denunziation war eine der Büro-Deckadressen aufgeflogen und am 8.Juli 1927 entdeckte die politische Polizei Schönhaars illegales Quartier in Berlin-Neukölln. Bei der Durchsuchung wurden offensichtlich weite Teile der Registratur des MEB beschlagnahmt. Weitere Razzien folgten am 3.August in der offiziellen Wohnung Schönhaars sowie in der Pressestelle Justitia.[36]

Schönhaar verbrachte gerade mit seiner Frau Odette und seinem Sohn Carlo den Urlaub auf Rügen.[37] Nachdem sein Steckbrief im Fahndungsblatt des Berliner Polizeipräsidiums Abteilung IA erschienen war, entzog er sich der drohenden Verhaftung durch Flucht nach Moskau. „Dissident, 28 Jahre alt, 1,72 groß, Haare blond, Stirn gewöhnlich, Augenbrauchen blond mittelstark, Augen blau, Nase und Mund gewöhnlich, ohne Bart, Kinn gewöhnlich, Gesichtsbildung oval, gebräunte Gesichtsfarbe, untersetzte Gestalt“[38] – so lautete die polizeiliche Beschreibung des Gesuchten. Wie eine aufgrund des beschlagnahmten Materials angefertigte Denkschrift des Württembergischen Landeskriminalpolizeiamtes zur IRH zeigt, wurde gegen den Leiter des MEB in erster Linie wegen des Verdachts der Fluchthilfe für polizeilich gesuchte politische Straftäter ermittelt.[39]

 

In Moskau wurde Schönhaar erneut eine Arbeit beim Exekutivkomitee der IRH zugewiesen, das ihn vom Juli 1928 bis März 1929 zur Unterstützung der International Labor Defense in die USA schickte.[40] Zur US-Sektion der IRH und ihrem Leiter James P. Cannon hatte Schönhaar bereits während der Kampagne um Sacco und Vanzetti Kontakt gehabt.[41]

 

Illegalität 

 

Als Schönhaar im März 1929 nach Deutschland zurückkehrte, um für das ZK der KPD zu arbeiten, war der gegen ihn verhängte Haftbefehl wegen Hochverrats durch ein unter Reichkanzler Müller (SPD) im Juli 1928 verabschiedetes Amnestiegesetz aufgehoben worden.[42]  Wieder war sein Organisationstalent ausschlaggebend, als er im August 1932 mit der Vorbereitung illegaler Druckmöglichkeiten für den Fall eines KPD-Verbotes beauftragt wurde. Unter den Decknamen „Eugen“ und „Ewald Reckwitz“ schuf Schönhaar nach Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur als einer der Leiter des technischen Apparates des ZK der KPD ein Netz von Verbindungen zu illegalen Druckereien, in denen teilweise bis 1935 Hunderttausende antifaschistische Flugschriften produziert wurden.[43]

 

Im November 1933 wurde Eugen Schönhaar in Berlin aufgrund einer Denunziation Alfed Kattnes verhaftet. Der ehemalige technischer Sekretär Thälmanns Alfred Kattner hatte sich nach grausamen Misshandlungen im KZ Sonnenburg von der Gestapo als Spitzel anwerben lassen und eine Reihe führender KPD-Funktionäre, darunter Thälmanns Stellvertreter John Schehr, an die Nationalsozialisten ausgeliefert.[44] Um weitere Denunziationen Kattners zu verhindern, ließ der Nachrichtendienst der KPD ihn am Morgen des 1.Februar 1934 in seiner Wohnung ermorden. Hitler soll über den Tod seines wichtigsten Kronzeugen gegen Thälmann so erbost gewesen sein, dass er die Erschießung von 1000 kommunistischen Geiseln forderte.[45] Tatsächlich folgte die Rache der Gestapo nur wenige Stunden später: In der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1934 ermordete die Gestapo die KPD-Funktionäre Eugen Schönhaar, John Schehr Rudolf Schwarz und Erich Steinfurth.[46] Die offizielle Version lautete, die vier Kommunisten seien beim Rücktransport von der Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Strasse zum Columbia-Haus am Kilometerberg in Berlin-Wannsee „auf der Flucht“ erschossen worden. Doch der Kilometerberg befindet sich weitab des Weges zwischen der Prinz-Albrecht-Strasse und dem Columbia-Haus befand.[47]

Durch eine gründliche Untersuchung des von der Gestapo genannten Tatortes, die Befragung von Familienangehörigen, die die Leichen identifizieren mussten sowie durch geheime Kontakte zur Polizei konnte der Nachrichtendienst der KPD eindeutig nachweisen, dass die vier Kommunisten kaltblütig ermordet worden waren.[48]

 

Unter der Überschrift „Hoch die Sache der Revolution, für die Genossen Schehr, Steinfurth, Schönhaar und Schwarz bis zum letzten Atemzug heldenhaft kämpften“, gab Otto Ville Kuusinen im Namen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale „den schweren Verlust bekannt, den die KPD und das ganze deutsche Proletariat durch den Meuchelmord der faschistischen Regierung“ erlitten habe und bekundete „den Angehörigen dieser auf Kampfposten gemordeten Genossen sein Beileid“.[49]

 

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Odette Schönhaar war im September 1933 mit ihrem Sohn Carlo in die Schweiz geflohen. Da ihnen nach der Ermordung Eugen Schönhaars die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wurde und die Abschiebung nach Deutschland drohte, flohen sie weiter nach Paris, wo sie illegal lebten. Carlo Schönhaar schloss sich als 17 jähriger den Jugendbataillonen  der Résistance an. Am 5.März 1942 verhaftet und von einem Wehrmachtsgericht in Paris zum Tode verurteilt wurde Carlo Schönhaar am 17.April 1942 zusammen mit 14 französischen Jugendgenossen der Résistance auf dem Mont Valérien in Paris hingerichtet. Odette Schönhaar wurde von 1942 bis 1945 im KZ Ravensbrück inhaftiert. Sie arbeitete nach dem Krieg für die „Humanité“, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Frankreichs.[50]

 

Am 3.Februar 1954 erfolgte in Anwesenheit von Walter Ulbricht eine feierliche Umbettung der sterblichen Überreste von Eugen Schönhaar, Rudolf Schwarz, Erich Steinfurth und John Schehr vom Friedhof Mariendorfer Weg in Berlin-Neukölln in ein Urnengrab mit Gedenktafel in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin Friedrichsfelde. Während vor 1989 eine Oberschule und eine Einheit der Nationalen Volksarmee in Prenzlau den Ehrennamen „Eugen Schönhaar“ trugen, erinnert heute nur noch eine Straße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg an den im Alter von nur 35 Jahren ermordeten Kriegsgegner, Jungkommunisten, Funktionär der Roten Hilfe und Aktivist der illegalen KPD.

 

Aus: Sabine Hering / Kurt Schilde (Hg.) Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen “Wohlfahrtsorganisatio n” und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941), Leske + Budrich, Opladen 2003,

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] Vgl. Katja Haferkorn, s.v. Schönhaar, Eugen, in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, Berlin 1970, 407.

[2] Vgl. Eugen Schönhaar, An das ZK der KPR, Politischer Lebenslauf anlässlich eines Gesuchs um Übernahme von der KP Deutschlands in die KP Rußlands, Moskau 29.März 1923, Archiv der VVN-BdA Baden-Württemberg, veröffentlicht in: Friedrich Pospiech: Eugen Schönhaar und Sohn Carlo. Kommunisten – Widerstandskämpfer. 1934/1942 vom Naziregime ermordet. Zwei Leben für die Freiheit Deutschlands und Frankreichs, 2. erw. Auflage Esslingen 2001.

[3] Die Arbeiterjugendorganisation in Württemberg stand bereits vor dem Krieg unter dem starken Einfluss der revolutionären Linken, die bei Kriegsausbruch endgültig die Führung im Württemberger Bezirk eroberte. Als eine im September 1914 in Esslingen stattfindende Landeskonferenz der Kriegsgegner innerhalb der Württemberger Sozialdemokratie den Bruch mit der SPD vollzog, solidarisierte sich der Württemberger Bezirk der Arbeiterjugendvereine vollständig mit der abgespaltenen Opposition. Vgl. Richard Schüller: Geschichte der Kommunistischen Jugendinternationale Band I. Von den Anfängen der proletarischen Jugendbewegung bis zur Gründung der KJI, Berlin 1929 ff, 82.

[4] Schönhaar, Lebenslauf. Die Spartacusgruppe um Hermann und Käthe Duncker, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Julian Marchlewski, Wilhelm Pieck, Clara Zetkin und andere revolutionäre Marxisten konstituierte sich erst auf einer Reichskonferenz am 5.März 1915 offiziell.

[5] Vgl. ebda.

[6] Während Schönhaar in seinem Lebenslauf als Zeitpunkt der Verhaftung „Anfang 1917“ angibt, spricht Pospiech vom 25.Oktober 1916; Pospiech, Schönhaar, 11.

[7] Schönhaar, Lebenslauf.

[8] Alfred Dreifuß: Ensemblespiel des Lebens. Erinnerungen eines Theatermannes, Berlin 1985, 35.

[9] Ebda.

[10] Vgl. Pospiech, Schönhaar, 12.

[11] Vgl. Schönhaar, Lebenslauf.

[12] Vgl. ebda.

[13] Vgl. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil II. Von 1917 bis 1945, Berlin 1966, 61.

[14] Vgl. Schönhaar, Lebenslauf. Katja Haferkorn schreibt dagegen, Schönhaar sei schon im Laufe des Generalstreiks in Esslingen festgenommen worden, vgl. Haferkorn, Schönhaar, 408.

[15] Schönhaar, Lebenslauf. Pospiech spricht dagegen von lediglich acht Monaten, von denen fünf durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt waren, vgl. Pospiech, Schönhaar, 12.

[16] Vgl. Schönhaar, Lebenslauf.

[17] Vgl. Schönhaar, Lebenslauf; Die Streikenden konnten zumindest die Aufhebung der militärischen Bewachung der Betriebe durchsetzen; IML ZK SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil II., 95.

[18] Vgl. Schönhaar, Lebenslauf.

[19] Alfred Kurella: Geschichte der Kommunistischen Jugendinternationale Band II. Gründung und Aufbau der KJI, Berlin 1929 ff, 186.

[20] Ebda. 189.

[21] Vgl. Haferkorn, Schönhaar, 408. Ob Schönhaar zwischenzeitlich der Kommunistischen Partei Russlands angehörte, in die er Ende März 1923 übernommen zu werden beantragte, konnte nicht geklärt werden, Vgl. Schönhaar, Lebenslauf.

[22] Manchmal wurde das MEB auch als Mitteleuropäische Vertretung (MEV) bezeichnet.

Eugen Schönhaar an das EK IRH, Bericht vom 30.April 1925, BA R 3003/ORA/RG/Sammlung Rote Hilfe/ 1 Bl.131. Diese Unterlagen stammen aus dem Ermittlungsverfahren gegen MEB Eugen Schönhaar.

[23] Eugen Schönhaar an die Exekutive der Profintern, 3.April; BA R 3003 / ORA / RG / Sammlung Rote Hilfe / 7 Bl.42.

[24] Siehe z.B. die Druckplatten für Flugschriften, BA R 3003/ORA/RG/Sammlung Rote Hilfe/32.

[25] Zentralsekretariat der RHD, Berlin 12.Juni 1926, Bericht des MEB der IRH über die Kampagne für die Rettung Saccos und Vanzettis, BA R 3003/ORA/RG/Sammlung Rote Hilfe/10, Bl. 10.

[26] Zur Kampagne für Sacco und Vanzetti siehe auch: Johannes Zelt: Proletarischer Internationalismus im Kampf um Sacco und Vanzetti. Unter besonderer Berücksichtigung der Solidaritätskampagne in Deutschland und der Tätigkeit der Internationalen Roten Hilfe, Berlin 1958.

[27] Vgl. Grahn, Schönhaar, 650.

[28] Bericht über die Verlagsarbeit des MEB des EK der IRH vom 1.Mai 1924 bis zum 30.September 1926, SAPMO RY1/I6/6/2.

[29] Vgl. Grahn, Schönhaar, 651.

[30] Vgl. Pospiech, Schönhaar, 14.

[31] Vgl. Pospiech, Schönhaar, 5.

[32] Die französische und die holländische Sektion fehlten. Ähnliche Konferenzen fanden in den folgenden Jahren in Österreich, Luxemburg und Frankreich statt.

[33] Pol.Präs. Stuttgart, Denkschrift IRH 1928, 50-51, StA Bremen 4,65-475 Bl.179.

[34] Halbjahresbericht der Roten Hilfe März - September 1924, BA R 3003/ORA/RG/Sammlung Rote Hilfe/ 14 Bl.13. Johannes Zelt gibt an, Schönhaar sei auch Mitglied im Zentralvorstand der RHD gewesen. Bei der Wahl der Vorstandsmitglieder auf dem I. Reichskongress wird sein Name allerdings nicht genannt. Johannes Zelt: Proletarischer Internationalismus im Kampf um Sacco und Vanzetti. Unter besonderer Berücksichtigung der Solidaritätskampagne in Deutschland und der Tätigkeit der Internationalen Roten Hilfe, Berlin 1958, 33.

[35] Siehe BA R 3003/ORA/RG/Sammlung Rote Hilfe.

[36] Vgl. Gerlinde Grahn: Eugen Schönhaar und die IRH 1924 bis 1930. Informationen über Quellen im Zentralen Staatsarchiv Potsdam, in: BzG 5 /1986, 647.

[37] Karl „Carlo“ Schönhaar wurde am 20.November 1924 geboren.

[38] zit. nach Pospiech, Schönhaar, 5.

[39] Pol. Präs. Stuttgart, Denkschrift IRH, September 1928, StA Bremen 4,65-475 Bl.179.

[40] Vgl. Haferkorn, Schönhaar, 408.

[41] Bericht des MEB der IRH über die Kampagne zur Rettung Saccos und Vanzettis, SAPMO RY1/I6/6/2.

[42] Vgl. Ulli Küpper / Eberhard Kempf / Wolfgang Coutandin: Mit Amnestie gegen politische Justiz?, in: Rote Robe 29. Oktober 1982, 193.

[43] IML ZPA ZK KPD: Deutsche Widerstandskämpfer. Biographien und Briefe, Berlin 1970, 197.

[44] Vgl. Bernd Kaufmann u.a.: Der Nachrichtendienst der KPD 1919-1937, Berlin 1993, 286.

[45] Vgl. Horst Duhnke: Die KPD von 1933 bis 1945, Wien 1974, 110.

[46] John Schehr (geb. 9.Februar 1898 in Altona) war langjähriger Aktivist der Hamburger Arbeiterbewegung. 1932 wurde er in den Preußischen Landtag und den Reichstag gewählt. Im Mai 1932 wurde er in das Sekretariat des ZK der KPD sowie das Politbüro gewählt und gehörte seit Mai 1933 der Leitung der KPD innerhalb Deutschlands an. Aufgrund einer Denunziation Kattnes wurde er im November 1933 in Berlin verhaftet. Vgl. IML Widerstandskämpfer, 147 ff. Rudolf Schwarz (geb. 3.März 1904 in Berlin) war langjähriger Funktionär der kommunistischen Jugendbewegung. Vor seiner Verhaftung Ende 1933 arbeitete er für das ZK der KPD. Vgl. IML Widerstandskämpfer, 252 f. Erich Steinfurth (geb. 10.August 1896 in Mittenwalde/Mark) gehörte seit 1927 dem Zentralvorstand der RHD und seit Oktober 1929 dem Preußischen Landtag an. Er wurde am 25.März 1933 verhaftet. Vgl. IML, Widerstandskämpfer 300 f.

[47] Vgl. Kurt Schilde / Johannes Tuchel: Columbia-Haus. Berliner Konzentrationslager 1933-1936, Berlin 1990, 32.

[48] Vgl. Kaufmann, Nachrichtendienst, 304. Tribunal April 1934.

[49] Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut beim Zentralkomitee der SED (Hg.): Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands. Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914-1946, 2.durchges. Auslage Berlin 1955, 372.

[50] Vgl. IML, Widerstandskämpfer, 198; Pospiech, Schönhaar, 18.