junge Welt 12.05.2007 / Geschichte / Seite 15
Die beiden Hardliner rächten sich, indem sie dem
Starjournalisten Maximilian Harden belastendes Material über
Eulenburgs angebliche Homosexualität zuspielten. Harden, der
Herausgeber der Wochenzeitschrift Die Zukunft und nach Meinung Kurt
Tucholskys »einer der wenigen deutschen Journalisten, die eine
Macht bedeuteten«, war ein glühender Verehrer des 1890 von
Wilhelm II. gestürzten Reichskanzlers Otto von Bismarck. Er
pflegte zudem gute Kontakte zu führenden Vertretern des
deutschen Großkapitals wie Walther Rathenau, dem
Großreeder Albert Ballin und dem Bankier Max Warburg, die auf
eine aggressive Kolonialpolitik des Reiches drängten.
Ende
1906 und Anfang 1907 veröffentlichte Harden drei Artikel, in
denen er einen geheimen »Orden« anklagte, dessen
Verbindungen vom Hof, der Armee und Marine bis zu den Landratsämtern
und Polizeipräsidien reichten und der Postenschacher betriebe.
»Die träumten nicht von Weltbränden; haben’s
schon warm genug«, spielte Harden auf homoerotische Bindungen
an und suggerierte so, das Reich werde von einem Klüngel
verweichlichter schwuler Franzosenfreunde regiert. Am 27. April
outete Harden eine zuvor veröffentlichte Karikatur eines
Harfespielers und dessen »Schätzchen« als Eulenburg
und dessen Intimus, den Berliner Stadtkommandanten Kuno von
Moltke.
Eine Selbstanzeige Eulenburgs –immerhin Vater
von acht Kindern –wegen angeblicher Verstöße gegen
das Verbot homosexueller Handlungen nach Paragraph 175 wurde aus
Mangel an Beweisen eingestellt.
Nachdem Harden ein Duell mit
Moltke ausgeschlagen hatte, leitete dieser im Juni 1907 vor dem
Moabiter Schöffengericht einen Verleumdungsprozeß ein.
Harden wurde von seinem rhetorisch gewandten Münchner Anwalt Max
Bernstein vertreten. Seine Kronzeugin war die geschiedene Ehefrau
Moltkes, die mit Details aus dem Eheleben versuchte, ihren Exmann als
pervers erscheinen zu lassen. Der als Gutachter geladene
Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld unterstellte Moltke, gestützt
auf diese Aussagen, eine »ihm selbst nicht bewußte
homosexuelle Veranlagung«. Harden erläuterte, wie die
Atmosphäre bei Hofe vom Liebenberger Kreis durch
»Süßholzraspelei«, Spiritismus und eine
»ungesunde, ihren Zwecken erspießliche Romatik«
vergiftet werde und so »eine verhängnisvolle Täuschung
über die Realitäten ermöglichte«.
Der
Prozeß endete mit dem Freispruch Hardens. Moltke und Eulenburg
fielen als angebliche Homosexuelle beim Kaiser in Ungnade. »Die
Justizbehörde hat total versagt und die Krone schwer
geschädigt«, vermerkte Wilhelm II. In der antisemitischen
Presse wurde die jüdische Herkunft Hardens und seines
Verteidigers explizit hervorgehoben.
Ein von Moltke
angestrengtes, wegen »Gefährdung der Sittlichkeit«
nichtöffentliches Berufungsverfahren führte zum Jahresende
1907 zum gegenteiligen Ergebnis. Nachdem die Belastungszeugin der
Hysterie überführt wurde, zog Hirschfeld seine frühere
Aussage zurück, und Eulenburg sagte unter Eid aus, niemals
»Schmutzereien« betrieben zu haben.
Der
wegen Verleumdung zu vier Monaten Gefängnis verurteilte Harden
griff nun zu einer Intrige. Er animierte eine Münchner Zeitung
zu der Behauptung, er habe von Eulenburg Schweigegeld erhalten. Im
anschließenden Verleumdungsprozeß fern des Einflusses der
Kamarilla in München führte Harden die beiden bayerischen
Fischer Georg Riedel und Jacob Ernst als Zeugen an, die angaben, vor
vielen Jahren »Lumpereien« mit Eulenburg während
dessen Aufenthalt am Starnberger See getrieben zu haben.
Harden
gewann die Verleumdungsklage gegen die Münchner Zeitung und
erstattete dem verurteilten Redakteur die Strafe. Ob Eulenburg
tatsächlich homosexuell veranlagt war und welcher Art sein
Verhältnis zu seinem Jugendfreund Moltke war, wurde nie wirklich
geklärt. »Wir leben in einer Zeit, da Presse, Judentum,
Geld die öffentliche Meinung beherrschen«, klagte der
ruinierte Exgünstling des Kaisers. Ein gegen Eulenburg
angestrengter Prozeß wegen Meineids konnte nie beendet werden,
da er im Gerichtssaal den schwerkranken Mann mimte und diese Rolle
bis zu seinem Tod 1921 zurückgezogen in seinem Schloß
weiterspielte.
Die Eulenburg-Affäre gilt
heute als der größte Skandal im deutschen Kaiserreich. Der
Einfluß der Hofkamarilla war gebrochen und die Monarchie
angeschlagen »Dieser komplette Affentanz umeinander,
gegeneinander, ohne einander – das soll Weltpolitik sein?«,
staunte dagegen der Publizist Kurt Tucholsky. »Krisen... wenn
Eulenburg von Kanzlerkrisen spricht, denkt man an Nervenkrisen einer
Romanfrau aus dem Jahr 1900, mit zerknautschten Taschentüchern
und unbeherrschtem Geweine ... Das ist Politik? Das ist ein frecher
Mißbrauch von Staatsgeldern und Menschenkräften.«
Um
seine politischen Ziele zu erreichen hatte Harden, der persönlich
eine liberale Auffassung zur Frage der Homosexualität vertrat,
nicht davor zurückgescheut, niedere Instinkte der Öffentlichkeit
anzustacheln und so die Homophobie im kaiserlichen Deutschland weiter
anzuheizen.
Harden, der unter dem Einfluß des
Weltkrieges zum radikalen Pazifisten geworden war, nannte kurz vor
seinem Tod im Jahr 1927 sein früheres Vorgehen einen schweren
Fehler. Mit Eulenburg sei einer der wenigen Männer gestürzt
worden, die noch einen mäßigenden Einfluß auf den
Kaiser gehabt hatten.
Die widernatürliche Unzucht,
welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von
Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu
bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
erkannt werden.« So lautete der Paragraph 175 im
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Die Mindeststrafe für
sexuelle Handlungen zwischen Männern betrug einen Tag Haft.
Eine Petition des Wissenschaftlich-humanitäre Komitees
(WhK) unter Leitung des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld zur
Abschaffung des Paragraphen 175 wurde im Jahr 1897 von 6 000
Menschen unterzeichnet und im folgenden Jahr vom Vorsitzenden der
Sozialdemokratischen Partei August Bebel in den Reichstag
eingebracht.
Immer wieder wurden im Kaiserreich homosexuelle
Offiziere nach Erpressungen in den Selbstmord getrieben. Im November
1902 berichtete der sozialdemokratische Vorwärts über
Orgien des Rüstungsindustriellen Friedrich Alfred Krupp mit
jungen Männern auf der Insel Capri. »Herr Krupp hatte sich
nicht Capri gewählt, um die Insel mit Straßen zu
beglücken, sondern weil das italienische Strafgesetzbuch keinen
besonderen Paragrafen 175 kennt.« Eine Woche nach der
Veröffentlichung des Artikels am 22. November wurde der Tod
Krupps bekannt. Offiziell starb der Kanonenkönig an einem
Gehirnschlag, Zeitgenossen vermuteten dagegen Selbstmord des
Geouteten. Während Kaiser Wilhelm II. auf dem Staatsbegräbnis
in Essen die Sozialdemokraten beschuldigte, einen »kerndeutschen
Mann« in den Tod getrieben zu haben, nannten diese den Tod
Krupps eine Folge des unmenschlichen Paragraphen 175. Magnus
Hirschfeld und andere Aktivisten des WhK lehnten einen solchen »Weg
über Leichen« allerdings ab und sprachen sich für
eine Befreiung der Homosexuellen durch Agitation statt Outing aus.
Der Paragraph 175 existierte im deutschen Strafgesetzbuch in
verschiedenen Fassungen vom 15. Mai 1871 bis zum 10. März 1994.
Insgesamt wurden etwa 140 000 Männer auf dieser Grundlage
verurteilt.