Aus: junge Welt Ausgabe vom 10.09.2016, Seite 15 / Geschichte

Falsche Verbündete

Vor 55 Jahren begann der kurdische Aufstand im Irak. Er endete 1975 mit dem Verrat der USA

Von Nick Brauns

Im Juli 1958 stürzte eine Gruppe fortschrittlicher Offiziere unter Führung von General Abd Al-Karim Qasim die Monarchie im Irak. Der Umsturz ließ unter der kurdischen Minderheit des mehrheitlich arabischen Landes die Hoffnung auf Gleichberechtigung aufkommen. So erklärte eine neue Verfassung Kurden und Araber zu Partnern. Die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) wurde legalisiert und deren Führer Mulla Mustafa Barsani durfte aus dem Moskauer Exil zurückkehren. Zusammen mit der kommunistischen Partei wurde die KDP zur wichtigsten Stütze der republikanischen Regierung unter Qasim.

Doch der unter dem Druck der Panarabisten stehende Qasim zögerte ein versprochenes Autonomiestatut für die kurdischen Siedlungsgebiete heraus. Insbesondere wollte Qasim die Stadt Kirkuk mit ihren riesigen Ölfeldern nicht den Kurden überlassen. Vor diesem Hintergrund setzte sich innerhalb der KDP 1959 ein rechter Flügel durch, der einer weiteren Kooperation mit Qasim ablehnend gegenüberstand und sozialistische Elemente aus dem Parteiprogramm strich.

Als kurdische Großgrundbesitzer einen Aufstand gegen die von der Regierung beschlossene Landreform begannen, lehnte die KDP diese Revolte zunächst ab. Doch als am 11. September 1961 kurdische Gebiete, darunter ein Dorf des Barsani-Stammes, von der irakischen Luftwaffe bombardiert wurden, rief Barsani zu den Waffen. Ein Großteil der kurdischen Stämme stellte sich hinter ihn, und seine in den Bergen kämpfende Partisanentruppe wuchs insbesondere durch kurdische Deserteure der irakischen Armee bis Anfang 1963 auf 15.000 Peschmerga (»die den Tod nicht fürchten«) an.

Strategischer Fehler

Im Februar 1963 wurde Qasim von Panarabisten und der Arabischen Sozialistischen Partei der Wiedererweckung (Baath-Partei) gestürzt und hingerichtet. Tausende Kommunisten fielen nun dem baathistischen Terror zum Opfer. Zwar setzte sich Barsani persönlich dafür ein, verfolgten Kommunisten Schutz zu gewähren. Doch gleichzeitig unterstützte die KDP den Umsturz. Dieser Versuch, abgekoppelt von der Gesamtentwicklung im Land und auf Kosten der fortschrittlichen Kräfte zu einer Absprache mit den neuen Machthabern zu kommen, erwies sich als strategischer Fehler für die Kurden im Irak.

Ein im Februar 1964 unterzeichnetes Waffenstillstandsabkommen stärkte lediglich Barsanis persönliche Macht gegenüber seinen innerkurdischen Rivalen um Dschalal Talabani, der die KDP 1965 im Streit verlassen hatte. Nach einer vernichtenden Niederlage der Regierungstruppen und der mit ihnen verbündeten Einheiten Talabanis im Frühjahr 1966 erklärte sich die Regierung zwar zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Doch kurz darauf gingen die Militärs erneut in die Offensive.

Die Baath-Partei, die sich 1968 mit einem neuerlichen Putsch endgültig in Bagdad durchgesetzt hatte, versuchte nun, die städtischen Kurden unter Talabanis Führung durch Zugeständnisse wie die Einführung von kurdischem Schulunterricht einzubinden. Doch gleichzeitig setzte das Regime auf eine neue Militäroffensive, die Barsani mit Angriffen auf die Ölförderanlagen bei Kirkuk konterte.

Der Kurdenkrieg kostete die Zentralregierung rund ein Drittel ihres Staatsbudgets. Aufgrund von Spannungen mit Iran sahen die Baathisten zudem die Notwendigkeit, die innere Front zu beruhigen, um Truppen an die Grenzen verlegen zu können. Dies war der Hintergrund für ein im März 1970 von Barsani und dem irakischen Vizepräsidenten Saddam Hussein unterzeichnetes Abkommen, das den Kurden faktische Autonomie zusicherte und als »Wiedererlangung der Einheit zwischen den Brudervölkern Kurden und Arabern« gefeiert wurde. Doch die Regierung sabotierte seine Umsetzung durch Anschläge auf KDP-Funktionäre und die Aussetzung der zugesagten Selbstverwaltung.

Abhängigkeit

So rief Barsani seine 40.000 Krieger 1974 mit den markigen Worten »Kurdistan wird ein See von Blut, in dem der Feind ertrinkt« zum nunmehr sechsten Aufstand innerhalb von zehn Jahren. Die Baathisten beschuldigten Barsani, die »fünfte Kolonne der Imperialisten und Zionisten« zu führen. Tatsächlich hatte sich Barsani aufgrund geänderter geopolitischer Koordinaten nun in gänzliche Abhängigkeit vom imperialistischen Lager gebracht. So sah US-Außenminister Henry Kissinger nach einem 1972 geschlossenen irakisch-sowjetischen Freundschaftsabkommen in den Kurden das geeignete Mittel zur Destabilisierung des Irak. Über ihren Verbündeten, den Schah von Persien, ließen die USA und Israel den Peschmerga Waffen und Geld zukommen. Doch den Strategen in Washington war nicht an einem Sieg der Kurden gelegen. Entsprechend wurde ihnen gerade so viel militärische Unterstützung gewährt, dass sie die mit sowjetischer Technik modernisierte irakische Armee in Schach halten konnten.

Niederlage

Bald hatte der kurdische Bauer seine Schuldigkeit für Washington getan. Denn vor dem Hintergrund der Ölkrise schien Kissinger eine Annäherung des Iran an die arabischen Staaten geboten. So einigten sich der Schah und der irakische Vizepräsident Saddam Hussein im März 1975 am Rande der OPEC-Konferenz von Algier auf die Beilegung von Grenzstreitigkeiten. Im Gegenzug stellte der Iran seine Unterstützung der Peschmerga ein. Iranische Soldaten räumten deren Munitionsdepots, holten Artilleriegeschütze zurück und schlossen die Grenze. Man dürfe »verdeckte Operationen nicht mit Wohltätigkeitsveranstaltungen verwechseln«, kommentierte Kissinger Barsanis unbeantwortet gebliebene Hilferufe an die USA. Die von ihren Verbündeten fallengelassenen Peschmerga erlitten ihre bis dahin größte Niederlage, mehr als 100.000 irakische Kurden flohen in den Iran.

»Der Grund für unser Scheitern liegt, wie sich jeder überzeugen konnte, keineswegs im militärischen Bereich«, erklärte Barsani vor seiner Flucht Ende März gegenüber einem Journalisten der Tageszeitung Die Welt. »Nein, die Entscheidung gegen uns ist auf dem politischen Feld gefallen. In der Interessenpolitik der großen Staaten sind wir auf der Strecke geblieben. Und das politische Denken des Westens ist zur Zeit vom Öl vernebelt Auf die Frage des Journalisten Günther Deschner nach eigenen Fehlern gestand der 72jährige Peschmerga-General: »Der größte Fehler meines Lebens war, den USA vertraut zu haben

 

Mulla Mustafa Barsani – der »Löwe der Berge«

Das Gefängnis lernte der am 14. März 1903 geborene Mustafa aus dem einflussreichen Barsan-Stamm bereits als Fünfjähriger kennen. Mit dem osmanischen Sultan verbündete Hamidye-Reiter überfielen sein Heimatdorf im heutigen Irak und verschleppten seine Familie nach Diyarbakir. Als Jugendlicher beteiligte sich Barsani 1919 am Aufstand des »Königs von Kurdistan«, Scheich Mehmud Bersinci, gegen die Briten. 1943 erhob er sich, nun Führer seines Stammes, erstmals gegen die irakische Zentralregierung. 1946 wurde er zum Präsidenten der neugegründeten Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) gewählt. Auf der Flucht vor der irakischen Armee zog sich Barsani 1946 in den Iran zurück, um dort die unter dem Schutz der Roten Armee ausgerufene kurdische Republik von Mahabad zu unterstützen. Nach deren Niederschlagung flüchtete Barsani 1947 mit 500 Gefolgsleuten auf einem »langen Marsch« in die Sowjetunion, wo er elf Jahre im Exil lebte. Nach dem Sturz der Monarchie kehrte er 1958 in den Irak zurück. Nachdem sich Barsanis Hoffnungen auf eine kurdische Autonomie nicht erfüllten, führte er ab 1961 seine Peschmerga in einen Krieg gegen die Zentralregierung. Als USA und Iran ihre militärische Unterstützung für die Kurden einstellten, brach der Aufstand 1975 zusammen. Barsani, bei dem Lungenkrebs diagnostiziert wurde, zog sich nun aus der Politik zurück. Der »Löwe der Berge« starb am 3. März 1979 in Washington. Sein Sohn Masud ist heute Vorsitzender der KDP und Präsident der Autonomieregion Kurdistan-Irak.