Aus: junge Welt vom 06.02.2015, Seite 7 / Ausland

Feindliche Übernahme

Türkei: Staat kontrolliert Bank Asya der Gülen-Bewegung. Pass des Predigers für »ungültig« erklärt

Von Nick Brauns

In der Nacht zum Mittwoch durchsuchte die Polizei die Zentrale der Bank Asya in Istanbul. Zuvor hatte eine Regierungsbehörde schon deren Kontrolle übernommen. Das ist die jüngste Eskalation im seit 14 Monaten tobenden Machtkampf zwischen zwei Fraktionen des »grünen« – also religiösen Netzwerken zuzurechnenden – Kapitals in der Türkei. Am Dienstag hatte die Bankenaufsicht (BDDK) erklärt, das zur Bewegung des pensionierten Imam Fethullah Gülen, er lebt in den USA, gehörende Geldhaus hätte »keine partnerschaftliche Struktur, die transparent und offen genug für effektive Regulierungen ist«.

Der staatliche Einlagensicherungsfonds übernahm 63 Prozent der Bankeinlagen, und der BDDK wechselte die Mitglieder des Verwaltungsrats gegen regierungsnahe Bürokraten aus. Es handele sich weder um eine politische Entscheidung noch um eine Beschlagnahme, sondern »lediglich um einen technischen Prozess zum Schutze der Investoren«, wies Vizeministerpräsident Numan Kurtulmuş am Mittwoch diesbezügliche Vorwürfe der nationalistischen und sozialdemokratischen Opposition zurück.

Dagegen sprach der entlassene Generaldirektor der Bank, Ahmet Beyaz, von einer »Lynchkampagne« gegen das 1996 gegründete Finanzinstitut. Bereits seit einem Jahr versucht die islamisch-konservative AKP-Regierung, die Bank Asya in den Ruin zu treiben. Staatliche Großunternehmen wie die Luftfahrtgesellschaft Turkish Airlines zogen ihre Einlagen zurück. Zudem übte die Regierung Druck auf Privatkunden aus, ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Haus zu beenden.

Allein im ersten Halbjahr 2014 verlor die Bank so ein Drittel ihrer Spareinlagen, und der Nettogewinn brach um 65 Prozent ein. Im August entzog die Regierung dem Institut unter anderem das Recht, Sozialleistungen auszuzahlen. Im November 2014 meldete die Bank erstmals seit Aufnahme ihres Geschäfts einen Verlust von 133 Millionen US-Dollar für das dritte Quartal. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte sie daraufhin für bankrott, während Gülen-nahe Unternehmer mit neuen Einlagen die Verluste auszugleichen suchten.
Der aus der Tradition der islamischen Millî-Görüş-Bewegung (Nationale Sicht) kommende Erdoğan hatte jahrelang eng mit der in der gleichfalls islamischen, aber stärker türkisch-nationalistisch ausgerichteten Nurculuk-Bruderschaft wurzelnden Gülen-Bewegung kooperiert. Doch nach der gemeinsam betriebenen Ausschaltung ihrer säkularen Konkurrenten in der Staatsbürokratie durch fingierte Schauprozesse war es 2013 zum Zerwürfnis über die Verteilung von Pfründen und Posten gekommen.

Im Dezember 2013 starteten Gülen-nahe Staatsanwälte ein Korruptionsermittlungsverfahren gegen führende AKP-Politiker. Erdoğan sprach vom Putschversuch eines »Parallelstaates« und ließ Tausende als Gülen-Anhänger verdächtigtePolizeioffiziere und Juristen versetzen. Gegen Dutzende hohe Beamte sowie Journalisten Gülen-naher Medien wurden Verfahren wegen Bildung einer staatsfeindlichen Vereinigung eingeleitet.

Die Türkei fordert von den USA die Auslieferung des mit einer Green Card in Pennsylvania lebenden Gülen. Das Gouverneursamt von dessen Geburtsstadt Erzurum erklärte Ende Januar dessen Pass aufgrund von »Falschaussagen« für ungültig. Damit sei Gülen zum illegalen Ausländer in den USA geworden, meinte die AKP-nahe Tageszeitung Sabah.
Die AKP führe die Türkei in den »Totalitarismus«, warnte Gülen in einem am Dienstag in der New York Times veröffentlichten Beitrag. Die Vorwürfe Erdoğans gegen seine Bewegung seien lediglich ein Vorwand, »seinen eigenen Autoritarismus zu rechtfertigen«. Tatsächlich vergeht kein Tag, an dem nicht AKP-Politiker und ihnen nahestehende Medien an der weiteren Dämonisierung Gülens arbeiten: Er habe geplant, so wie Ajatollah Khomeini in den Iran, in die Türkei zurückzukehren, um einen Gottesstaat zu errichten. Und die Gülen-Bewegung vereinige jetzt ihre Kräfte mit dem israelischen Geheimdienst Mossad. So lauten Schlagzeilen der vergangenen Tage.

In der kommenden Woche soll das türkische Parlament über neue Sicherheitsgesetze beraten, die mit der Bekämpfung des »Parallelstaates« gerechtfertigt werden. Nach Meinung der Opposition würde die Türkei damit zu einem Polizeistaat von Erdoğans Gnaden.