Junge Welt 12.07.2004 Feuilleton

 

GgF lebt  

Zigarre, Salz und die Revolution: Eine Ausstellung in München würdigt Giangiacomo Feltrinelli  

 

Mit Büchern die Welt zu verändern war das Ziel von Giangiacomo Feltrinelli. Eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus erinnert gegenwärtig an den italienischen Verleger, der unter dem Kürzel GgF eine Art revolutionäres Markenzeichen wurde. 1961 sah beispielsweise die Welt den Mann »mit dem Peppone-Bart« kraft seines Temperaments »auf imaginäre Barrikaden getrieben«.

 
1926 als Kind einer der reichsten Familien Italiens geboren, trat GgF 1945 der Kommunistischen Partei (PCI) bei. Mit seinem Citroen jagte er quer durch das Nachkriegseuropa auf der Suche nach wichtigen Dokumenten der internationalen Arbeiterbewegung. Bis heute beherbergt die Feltrinelli-Stiftung eines der wichtigsten Archive zur Sozial- und Arbeitergeschichte unter anderem mit Originalhandschriften von Marx und Bakunin.


Konsequenter Antifaschismus und Antikolonialismus waren Leitlinie des 1955 gegründeten Verlages Giangiacomo Feltrinelli Editore. Als erste Bücher erschienen Lord Russels Geschichte der Nazikriegsverbrechen und die Autobiographie des indischen Nationalrevolutionärs Jawaharlal Nehru. Als Feltrinelli-Reprints ließ GgF aus seinem Archiv unter anderem die Protokolle der Komintern-Weltkongresse oder komplette Jahrgänge der Inprekorr auch auf deutsch nachdrucken.


1957 erschien bei Feltrinelli Editore die Erstveröffentlichung von Boris Pasternaks Roman »Doktor Schiwago«. Die Sowjetunion hatte vergeblich versucht, über die PCI die Veröffentlichung dieses teilweise sowjetkritischen Romans zu verhindern. Trotz einer drohenden Prozeßwelle veröffentlichte GgF auch Henry Millers Skandalbuch »Wendekreis des Krebses«. Ein Welterfolg wurde Giuseppe Tomasi di Lampedusas Gesellschaftsgemälde »Il Gattopardo«. Zu GgFs Autoren gehörten auch Theodor W. Adorno, Max Frisch, Doris Lessing und Jorge Luis Borges.


Wenige Wochen nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1958 reiste GgF zusammen mit seiner dritten Frau, der Fotografin Inge Schoenthal, auf die Karibikinsel. Er freundete sich mit Che Guevara an und wurde von Fidel Castro mit der Herausgabe von dessen – allerdings nie fertiggestellten – Memoiren beauftragt. Die Unterstützung der Revolution in Lateinamerika wurde zunehmend zum Schwerpunkt von GgFs verlegerischer und politischer Tätigkeit. Der Feltrinelli-Verlag gab die in Kuba hergestellte Zeitung Tricontinental heraus, der Yassir Arafat sein erstes Interview überhaupt gab. Als GgF 1967 nach Bolivien reiste, um seinen dort verhafteten Autor Régis Debray freizubekommen, wurde er selber mehrere Tage vom CIA verhört. Folgerichtig betrachtete der italienische Geheimdienst Feltrinelli als ein subversives Individuum »mit dem fanatischen Charakter eines Einpeitschers«. Neofaschisten überfielen die Buchhandlungen des »Agitpropmillionärs«.

Am 12. Dezember 1968 riß eine Bombe der Faschisten vor der Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana 16 Menschen in den Tod. Doch die Ermittlungen der Polizei konzentrierten sich auf linke Kreise. Als GgF ins Fadenkreuz der Ermittler geriet, beschloß er, abzutauchen. Die folgenden zwei Jahre bewegte er sich – ohne den verräterischen Bart – unerkannt zwischen Italien, der Schweiz und Österreich. Da er mit der Errichtung einer faschistischen Diktatur in Italien rechnete, wurde GgF unter dem Decknamen Oswaldo führendes Mitglied der Gruppi die azione partigiana (GAP), die sich in Tradition der Resistenza stehend begriffen und den bewaffneten antifaschistischen Kampf propagierten. GgF lernte Autos zu knacken und Pässe zu fälschen.

 
In seinem Partisanenrucksack führte GgF immer einen Beutel Salz und eine Zigarre mit. Che Guevara habe die Zigarre als besten Freund des Guerillero in einsamen Stunden bezeichnet, erklärte er. Und Salz sei in Lateinamerika ein wertvolles Gut. »Salz gehört zur Tradition der Guerilla. Es muß dabei sein«, wies GfF den Einwand von Freunden zurück, Salz sei in Italien in jedem Supermark erhältlich. Darüberhinaus ließ GgF verschiedenen Guerillaorganisationen wie den Roten Brigaden oder der griechischen Resistanza finanzielle Unterstützung angedeihen. Als der bolivianische Konsul 1971 in Hamburg erschossen wurde, trug die Attentäterin Monika Ertl eine Waffe aus dem Besitz von GgF bei sich. Für den CIA war Feltrinelli der wichtigste Agent des Castrismus in Europa.


Am 14. März 1972 wurde GgF mit fünfzehn Stangen Dynamit am Fuß eines Hochspannungsmastes in Segrate bei Mailand tot aufgefunden. Die genauen Todesumstände sind bis heute ungeklärt. Freunde des Verlegers mutmaßten, der Timer der Sprengladung sei manipuliert worden. GgFs Autor Nanni Balestrini hat die Diskussionen, die der Tod des Verlegers innerhalb der Linken auslöste, später in seinem Roman »L’Editore« literarisch verarbeitet.


Die Münchner Ausstellung zeigt unter anderem Korrespondenzen des Verlegers mit Günter Grass, Hermann Kesten und Ingeborg Bachmann sowie seltene Dokumente der Arbeiterbewegung aus der Feltrinelli-Stiftung. Auch das vom kubanischen Fotographen Alberto Korda aufgenommene Originalfoto von Che Guevara ist zu sehen. Als die bolivianische Regierung zum fünften Mal den Tod des Commandante meldete, ließ GgF das Bild mit dem Aufdruck »Che lebt« tausendfach drucken. Auf der Frankfurter Buchmesse mußte damals klargestellt werden, daß das heute weltberühmte Porträt kein Mitglied der Familie Feltrinelli

zeigte.


Gezeigt werden in München außerdem Filme, in denen GgF beim Berliner Vietnam-Kongreß 1968 Grußworte spricht oder auf der Frankfurter Buchmesse auf Deutsch ein Interview gibt. Zu hören ist auch ein Aufruf GgFs zur Verhinderung einer bevorstehenden faschistischen Demonstration, mit dem die GAP mittels eines Piratensenders die Abendnachrichten überblendeten.


Leider wurden viele italienischsprachige Exponate der Ausstellung nicht ins Deutsche übersetzt oder näher erläutert.

 

Nick Brauns  

* Bis zum 23. Juli 2004, Mo.– Sa. 11–19 Uhr, Literaturhaus München, Salvatorplatz 1