Junge Welt 20.11.2010
/ Geschichte / Seite 15
Dem Volk die Schlösser
Vor 85 Jahren leitete die KPD eine Kampagne zur
entschädigungslosen Enteignung der Fürstenhäuser ein
Von Nick
Brauns
Ermutigt durch die Wahl des
ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg zum
Reichspräsidenten im April 1925 (siehe jW-Thema vom
26.4.2010) witterten die deutschen Fürstenhäuser wieder Morgenluft. Obwohl der
mit der Novemberrevolution 1918 entmachtete Adel einschließlich des im holländischen
Exil lebenden Kaisers Wilhelms II. hohe Zuwendungen von der Republik erhielt,
stellten die Fürsten immer unverschämtere Entschädigungsforderungen in Höhe von
zusammen 2,5 Milliarden Reichsmark für ihre enteigneten Ländereien und
Besitztümer. Vor Gericht gaben im monarchistischen Geist erzogene Richter
diesen Forderungen regelmäßig statt. Im Oktober ließ sich auch die preußische
Regierung von Ministerpräsident Otto Braun (SPD) auf einen Vergleich ein, der
dem ehemaligen preußischen Königshaus der Hohenzollern weitere 185 Millionen
Reichsmark zusicherte. Große Teile der noch unter Reparationslasten leidenden
Werktätigen empörten sich über solche Geschenke an die ehemaligen
Herrscherhäuser, die schließlich die politische Verantwortung für die
Entfesselung des Weltkrieges getragen hatten.
Breites Bündnis
Am 25. November legte der Fraktionsvorsitzende der Kommunistischen Partei
Deutschlands (KPD), Walter Stoecker, im Reichstag
einen Gesetzentwurf vor, dessen erster Artikel lautet: »Das gesamte Vermögen der
ehemals regierenden Fürsten sowie aller ihrer Familienangehörigen mit allen
seinen unbeweglichen, beweglichen und sonstigen Bestandteilen wird ohne
Entschädigung enteignet.« Die Vermögen sollten unter
anderem zur Betreuung von Kranken und der Unterstützung von Kriegsinvaliden und
Kriegshinterbliebenen verwendet werden, Ländereien an Kleinbauern und Pächter
aufgeteilt und aus Schlössern und Herrenhäusern Kinderheime und Genesungsheime
für Kriegsbeschädigte werden. Das Gesetz sollte rückwirkend zum 8. November
1918 gültig sein, so daß die Fürsten alle bisherigen
Ansprüche verlieren würden, und seine Durchführung von einem aus den
Gewerkschaften gewählten und öffentlich tagenden Gremium überwacht werden.
Am 2. Dezember, als im Reichstag über diesen Gesetzentwurf und einen wesentlich
gemäßigteren Entwurf der liberalen DDP debattiert wurde und diese Inititativen anschließend in den Rechtsausschuß
abgeschoben wurden, richtete der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann im Namen des
Zentralkomitees einen offenen Brief an die Vorstände der SPD, des Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), der Angestelltengewerkschaften sowie der
proletarischen Wehrorganisationen Reichsbanner und Roter Frontkämpferbund.
Thälmann schlug eine gemeinsame Kampagne für einen laut Weimarer Verfassung
möglichen Volksentscheid zur entschädigungslosen Fürstenenteignung vor. Zu
dessen Durchführung bildete sich am 6. Januar 1926 auf Anregung der KPD ein
überparteilicher Ausschuß unter Leitung des
Wirtschaftswissenschaftlers Robert René Kuczynski. Erst nachdem sich ihre
Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung nicht erfüllt hatten und der Druck
ihrer Parteibasis massiv angewachsen war, beschloß am
19. Januar endlich auch die Führung der SPD die Unterstützung der Kampagne. Ein
vom Kuczynski-Ausschuß ausgearbeiteter Gesetzesantrag
zur Fürstenenteignung wurde vom SPD-Vorsitzenden Otto Wels gemeinsam mit
Thälmann und Kuczynski unterzeichnet.
Am 27. Januar 1926 demonstrierten 200000 Menschen in Berlin unter Losungen wie
»Dem Volke die Schlösser, den Fürsten die Asyle«. Vielerorts bildeten sich
Einheitskomitees aus Kommunisten, Sozialdemokaten, Parteilosen und
Gewerkschaftern, aber auch pazifistischen Organisationen. Prominente Künstler
und Wissenschaftler wie Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Kurt Tucholsky
warben für die Fürstenenteignung, und die Maler Otto Dix, George Grosz und John
Heartfield unterstützten die Kampagne mit beißenden Karikaturen.
Trotz massiver Sabotage durch die Rechtsparteien vor allem in ländlichen
Gebieten zeichneten sich 12,5 Millionen Wähler zwischen dem 12. und 17. März in
die Listen zum Volksbegehren ein. Nachdem die bürgerliche Reichstagsmehrheit am
6. Mai 1926 den Gesetzentwurf ablehnte, wurde der Volksentscheid eingeleitet.
Ein aus völkischen und deutschnationalen Verbänden und Parteien gebildeter
»Reichsbürgerrat« gegen den Volksentscheid wurde nicht nur vom
Reichspräsidenten unter Verstoß gegen die Verfassung mit einem zustimmenden
Brief unterstützt, sondern auch von katholischen Bischöfen mit einem
Hirtenbrief. Dennoch stimmten 14455184 Bürger oder 36,4 Prozent der
Wahlberechtigten am 20. Juni für die Enteignung der Fürsten – das waren rund
3,5 Millionen mehr, als bei den letzten Reichstagswahlen ihre Stimme den beiden
Arbeiterparteien gegeben hatten. In Berlin, Hamburg
und Leipzig hatten jeweils mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten für die
Enteignung gestimmt.
In die Offensive
Für eine Annahme des Gesetzes wären allerdings 20 Millionen Stimmen notwendig
gewesen, da jede nicht abgegebene Stimme automatisch als Gegenstimme gezählt
wurde. Als eine »starke, republikanische Demonstration, aber ohne jeden
praktischen Erfolg, und darob ein getreues
Spiegelbild jener Zeit« wertete der marxistische Historiker Arthur Rosenberg,
der 1925 als Anhänger des ultralinken Flügels der KPD die mit dem offenen Brief
eingeleitete Einheitsfronttaktik abgelehnt hatte, später die Kampagne zur
Fürstenenteignung. Doch für die KPD ging es nicht allein um die
Fürstenenteignung. Thälmann hatte bereits am 24. Februar 1926 vor dem
Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale eine positive Zwischenbilanz
vorgenommen, die auch nach dem Volksentscheid ihre Gültigkeit behielt. So sei
es der KPD gelungen, »die Offensive zu ergreifen, die Führung zu behalten und
die SPD und den ADGB zu zwingen«, sich der Kampagne anzuschließen. Dadurch sei
»eine gewisse Lockerung des Verhältnisses zwischen den bürgerlichen und der
Sozialdemokratischen Partei eingetreten« und die Klassengrundlage des
Proletariats insgesamt gestärkt worden. Die Kampagne mit der Bildung von
Einheitskomitees in vielen Orten Deutschlands habe der KPD erst die Möglichkeit
gegeben, neben sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern auch Teile der
Bauernschaft oder hinter der bürgerlichen Zentrumspartei stehende katholische
Arbeiter anzusprechen. Während Thälmann dafür plädierte, dieses Bündnis durch
eine gemeinsame Kampagne gegen die kapitalistischen Rationalisierungsmaßnahmen
und ihre Folgen zu festigen, verweigerte der SPD-Vorstand bereits am Tag nach
der Abstimmung wieder jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten, um sich erneut
den bürgerlichen Parteien anzudienen.
Quellentext. Aus dem offenen Brief des ZK der KPD vom
2. Dezember 1925
Nach der Revolution, als die
Arbeiter und Soldaten die Macht dazu hatten, ist die sofortige entschädigungslose
Enteignung in unverzeihlicher Weise mit Rücksicht auf die bürgerlichen Parteien
versäumt worden. (…) Es wäre eine Schande für die Arbeiterschaft, wenn sie
diesem Plünderungszug gegen die werktätige Bevölkerung tatenlos zusieht. Wir
halten es für notwendig, daß alle Kräfte der
organisierten Arbeiterbewegung mit größtem Nachdruck eingesetzt werden, um der
Ausraubung Deutschlands durch die Hohenzollern, Wittelsbacher,
Wettiner, Coburger und
ähnliches Gelichter entgegenzutreten. Zu diesem Zweck müssen unseres Erachtens
selbst die geringen Handhaben ausgenutzt werden, die die Weimarer
Reichsverfassung bietet. (…) Die Frage der entschädigungslosen Enteignung würde
bei der Volksabstimmung von Millionen und Abermillionen mit einem entschiedenen
Ja beantwortet werden. Der siegreiche Ausgang des Volksentscheides wäre umso
mehr gesichert, wenn die gesamte Kraft der freien Gewerkschaften, des
Reichsbanners und aller übrigen proletarischen und republikanischen
Organisationen dafür eingesetzt würde. Die Zeit drängt, da eine Reihe wichtiger
Abfindungsverträge gegenwärtig in der Schwebe sind. Ihr Abschluß
muß unter allen Umständen verhindert werden, damit
Millionenwerte den Dynastien entrissen und den sozialen Interessen der
werktätigen Massen dienstbar gemacht werden. (…)
aus: Dokumente und Materialien zur Geschichte der
deutschen Arbeiterbewegung Bd. VIII, Berlin/DDR 1975, S. 281 ff.