Aus: junge Welt vom 17.07.2017,
Seite 11 / Feuilleton
Sprache als Waffe und Heimat
Zwei Ausstellungen in München erinnern an die
Revolutionäre Kurt Eisner und Oskar Maria Graf
Von Nick
Brauns
Während im
tiefschwarzen Bayern von höchster Stelle in gewohnter Weise gegen Flüchtlinge
und Homoehe gehetzt wird, erinnern derzeit zwei
Ausstellungen an ein anderes, rebellisches Bayern. Anlass dafür sind der 150.
Geburtstag des Revolutionärs und ersten Ministerpräsidenten des Freistaates,
Kurt Eisner, sowie der 50. Todestag des antifaschistischen Schriftstellers
Oskar Maria Graf.
Im Stile
einer raumgreifenden Wandzeitung haben die Historiker Ingrid Scherf und Günther
Gerstenberg die Exposition »Revolutionär und Ministerpräsident – Kurt Eisner
1867–1919« im Münchner Stadtmuseum gestaltet. Collageartig
werden unter Überschriften wie »Kriegsgewinnler«, »das Antlitz der herrschenden
Klasse«, »Spekulanten und Verlierer« Zitate, Bilder, Artikel und Grafiken
präsentiert. Dazu kommen Ton- und Filmdokumente unter anderem von der
Friedenskundgebung am 7. November 1918, die zum Auftakt der von Eisner
angeführten Revolution wurde. Den Ausstellungsmachern geht es darum, das bis
heute vorherrschende Bild von Eisner als einem weltfremden Utopisten zu
korrigieren.
Mittelstands-Antisemitismus
Deutlich
erkannte der am 14. Mai 1867 in einer Berliner bürgerlich-jüdischen
Kaufmannsfamilie geborene Eisner, der als Journalist ab 1907 erst in Nürnberg
und dann in München wohnte, die ökonomischen Grundlagen des aufziehenden
Antisemitismus. »Der Mittelstand wird von der steten Furcht verfolgt, zu
verlieren. Jede leise Veränderung der umgebenden Verhältnisse macht ihn
zittern. Jedwedes Geschehnis ist ihm eine
Teilerscheinung jener großen Verschwörung, die auf seinen Untergang abzielt.
Daher auch die rührend-felsenfeste Überzeugung von der Wahrheit semitischer Weltbündelei
auf talmudischer Grundlage«. Dieser Artikel von 1894 könnte auch die heutige AfD- oder Pegida-Gefolgschaft
charakterisieren, nur dass an die Stelle des Juden der Moslem getreten ist.
Innerhalb
der Sozialdemokratie lag Eisner als Neukantianer, der den in seinen Augen zu ökonomistischen Marxismus durch eine eigene Ethik ergänzen
wollte, mit den pragmatischen Realos und den Parteilinken gleichermaßen
überkreuz. Sein Ziel war eine »Revolutionierung der Köpfe«: das Proletariat
durch Bildungsarbeit zur Befreiung zu befähigen. Mit der Organisation eines
Massenstreiks der Münchner Rüstungsarbeiter im Januar 1918 erwies sich Eisner,
der während des Weltkrieges die Antikriegsopposition in München angeführt
hatte, als politischer Praktiker ersten Ranges. Nach der Novemberrevolution
wurde Eisner zum ersten Ministerpräsidenten des von ihm ausgerufenen
Freistaates. Seine Ermordung durch den antisemitischen Eiferer Anton Graf von Arco auf Valley läutete am 21. Februar 1919 die nächste
radikalere Phase der Revolution ein, die in der Ausrufung der kurzlebigen
Räterepublik gipfeln sollte. Auch hierauf geht die Ausstellung noch ein.
In den
stürmischen Tagen am Ende des Weltkrieges kreuzten sich die Wege Eisners und
des aus der bayerischen Provinz für die erhoffte Dichterkarriere nach München
gezogenen Bäckersohns Oskar Maria Graf, der in seiner Autobiographie »Wir sind
Gefangene« den Verlauf der Revolution aus eigener Anschauung schilderte. Im
Mittelpunkt der Ausstellung »Rebell, Weltbürger, Erzähler« im Münchner
Literaturhaus steht allerdings die Zeit des Exils von Graf und seiner Frau
Mirjam Sachs, die auf der Flucht vor den Nazis ab 1933 in Wien, dann im
tschechischen Brünn (Brno) und ab 1938 in New York
lebten.
Goethe, Lincoln, Lenin, Mama
In New York
engagierte sich der parteipolitisch nie gebundene Gefühlssozialist Graf, der
vor 1933 in der Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe aktiv war, nicht nur
literarisch gegen den Faschismus. Er verschaffte auch zahlreichen verfolgten
Schriftstellerkollegen US-Visa und sammelte Hilfsgelder für die
Neuangekommenen. Sein 1940 veröffentlichtes Hauptwerk »Das Leben meiner Mutter«
entwirft ein humanistisches Gegenbild zum Mutterkult der Nazis.
Die durch
Film- und Tondokumente ergänzten Exponate der Ausstellung werden auf alten
Schreibtischen präsentiert. Grafs Arbeitstisch aus seiner New Yorker Wohnung,
den ihm ein kommunistischer Mitemigrant geschreinert
hatte, ist nicht darunter. »Was ich im Lauf der Zeit liebgewann, das hängt
verstreut an meinen Zimmerwänden: Tolstoi und Goethe, Lincoln und Lenin, ein
Bild von Marx, von Masaryk und Thomas Mann, drei Aquarelle (Wiesen, Berge,
Wolken drüberhin), dazwischen, werktäglich und ohne
Drum und Dran und dennoch wie das Krönende schlechthin, hängt meine alte
Mutter, und mit ihr vollenden sich gleichsam nach geheimnisvollem Sinn
Zusammenhänge, die mir erst nach schweren Jahren und wie durch einen Zufall offenbar
geworden sind«, beschrieb Graf sein New Yorker Zimmer. Dessen Einrichtung
einschließlich des Originaltisches kann in der Dauerausstellung im Münchner
Literaturarchiv Monacensia besichtigt werden.
Lederhosen-PR
Dafür hängt
im Literaturhaus eine von Graf getragene Lederhose von imposantem Ausmaß. »Mein
Auftreten in Lederhosen macht mich überall rasch populär, und geschäftlich ist
das ungemein vorteilhaft« – mit dem speckigen Kleidungsstück, das er auch 1934
bei einer Reise zum Schriftstellerkongress in Moskau trug, erzielte Graf
durchaus einen PR-Effekt.
Nach einem
München-Besuch 1958 drückte er seine Abscheu darüber aus, wie sich die Eliten
der Nazizeit weiterhin halten konnten. »Hierbleiben? Auf keinen Fall. Ich
könnte hier nicht atmen, wo die Mehrheit so satt und selbstzufrieden dahinlebt.
Die Situation hier erinnert mich geradezu unheimlich an die Jahre vor 1933.« Mit seinem autobiographisch geprägten Roman »Flucht ins
Mittelmäßige« entwirft er ein neues, nicht mehr an eine Nation, sondern an die
Erinnerung, Freunde und die Sprache gebundenes Konzept von Heimat.
»Ich merke,
wie unsagbar ich in der deutschen Sprache gefangen bin, ich kann doch wirklich
die Deutschen nicht leiden, vielleicht ertrage ich nur die Bayern und die
Juden, die deutsch sprechen – aber die Sprache ist geradezu mein Schicksal,
mein Segen und mein Fluch!« bekannte der Dichter 1960. Beharrlich weigerte sich
Graf auch nach zwei Jahrzehnten in den USA, Englisch zu lernen. Schließlich
bewegte sich der auch zwischen Wolkenkratzern Lederhose tragende Bayer, der vom
FBI als »Kommunist« überwacht wurde, in New York fast ausschließlich unter
deutschen Emigranten. »Jeden Donnerstag habe ich eben meinen Pfundsrausch und
bummle mich aus«, schrieb Graf, der sich in Wirtshäusern mit Namen wie Café Vienna
oder Restaurant Blaue Donau mit anderen antifaschistischen Emigranten wie Bert
Brecht zum Stammtisch einfand. Heute würde man von einer Parallelgesellschaft
extremistischer Integrationsverweigerer sprechen.
Eisner-Ausstellung
im Münchner Stadtmuseum bis zum 8. Oktober 2017
Graf-Ausstellung
im Literaturhaus München bis zum 5. November 2017