junge Welt vom 17.10.2005

 

Ausland

Zwischen Revolution und Konterrevolution

Erik Eberhard hat ein Standardwerk zur Geschichte der griechischen Arbeiterbewegung in den vergangenen 100 Jahren geschrieben

Nick Brauns

 

Mit »Revolution und Konterrevolution in Griechenland« hat Erik Eberhard in der Buchreihe der österreichischen Arbeitsgruppe Marxismus das erste deutschsprachige Übersichtswerk zur Entwicklung der Arbeiterbewegung in Griechenland während der letzten 100 Jahre vorgelegt.

Während unter radikalen Linken bis heute darüber gestritten wird, ob die sozialistische Revolution während des Spanischen Bürgerkriegs 1936/37 möglich war oder von Stalin verraten wurde, bleibt das griechische Beispiel erstaunlich unterbelichtet. Dabei befand sich Griechenland im Herbst 1944 nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht weitgehend unter Kontrolle der kommunistisch geführten Partisanenarmee ELAS.

Doch Churchill und Stalin einigten sich im Oktober 1944 in einem Geheimabkommen auf die Abgrenzung der britisch-sowjetischen Einflußsphären in Südosteuropa. Auf einem halben Blatt Papier notierte Churchill: »Rumänien: Rußland 90 Prozent, die anderen zehn Prozent; Griechenland: Großbritannien (in Übereinstimmung mit den USA) 90 Prozent, Rußland zehn Prozent; Jugoslawien: 50 Prozent, 50 Prozent; Ungarn 50 Prozent, 50 Prozent; Bulgarien: Rußland 75 Prozent, die anderen 25 Prozent«. Nach kurzer Bedenkpause hakte Stalin ab. Am grünen Tisch in Moskau war die griechische Revolution geopfert worden.

Bürgerkrieg

Anstatt die Macht zu ergreifen, unterwarfen die Führer der Kommunistischen Partei Griechenlands KKE ihre Partisanenarmee im Vertrag von Ceserta einem britischen General und gaben grünes Licht für eine militärische Intervention britischer Landungstruppen. Während in Mitteleuropa noch erbittert gegen den deutschen Faschismus gekämpft wurde, flogen im Dezember 1944 Bomber der Royal Air Force Luftangriffe gegen kommunistische Partisanen in Athen, und britische Panzer trieben die Kämpfer der ELAS aus der Stadt. »Stalin hielt sich getreu an unsere Oktober-Vereinbarung, und in all den Wochen, die die Straßenkämpfe in Athen andauerten, kam kein Wort des Vorwurfs von der Prawda und der Iswestija«, bezeugte Churchill.

Obwohl die ELAS mit über 40000 Partisanen noch rund die Hälfte des griechischen Territoriums kontrollierte, erklärte sie sich am 12. Februar 1945 im Vertrag von Varkiza zur Abgabe ihrer Waffen bereit. Im Gegenzug wurde die Kommunistische Partei KKE legalisiert. Nun begannen rechte Verbände eine Terrorkampagne gegen die sich selbst entwaffnende Linke, die 1946 in den offenen Bürgerkrieg mündete, der 1949 mit 80 000 Toten endete. Die einstmals mächtige KKE existierte nur noch im Exil.

Auch unter der blutigen Obristendiktatur ab 1967 wurde die griechische Arbeiterbewegung von angeblichen Freunden in Ost und West verraten. Daß der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß unmittelbar nach dem Putsch die »Stabilität« in Griechenland lobte, kann ebensowenig verwundern, wie die unter der Diktatur zu neuen Höhepunkten gelangten deutsch-griechischen Wirtschaftsbeziehungen. Doch auch die Bundesregierung unter Willy Brand lieferte noch kurz vor dem Massaker an den Besetzern des Athener Polytechnikums im November 1973 umfangreiche Waffen an das Obristenregime. Während die Führung der KKE in der DDR Asyl fand, bauten die RGW-Staaten unter Berufung auf die Politik der »friedlichen Koexistenz« ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit Griechenland aus. Das trug zur Abspaltung der eurokommunistischen KKE-Inland von der Exilleitung bei.

Nach dem Ende der Obristendiktatur dominierte die neu entstandene Panhellenistische Sozialistische Bewegung (PASOK) die griechische Linke. Die PASOK sah sich als nationale Befreiungsbewegung. Doch an die Regierung gelangt zeigt, sich, daß ihre Schwüre gegen NATO und EU ebensolche Festtagssreden waren, wie das anfängliches Bekenntnis zum Marxismus. »Insgesamt bedeuteten die acht Jahre PASOK-Regierung eine Modernisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des griechischen Kapitalismus und tatsächlich einen Bruch mit der jahrzehntelangen rechts-autoritären Tradition«, meint Eberhard.

Schlußpunkt

Nach einer Darstellung der trotzkistischen, maoistischen und linksozialistischen Linken in Griechenland nach 1989 endet das Buch mit dem Prozeß gegen die Militanten der Stadtguerilla 17. November. In den 25 Jahren seiner Existenz hatte der nach dem Datum der Besetzung des Athener Polytechnikums benannte 17N 106 bewaffnete Aktionen durchgeführt und 23 meist schwer bewachte Personen getötet. Nach einem Sprengstoffunfall bei einem Ikonenmaler gelang es der griechischen Polizei im Sommer 2002, den N17 aufzurollen. »Die Zerschlagung des 17N steht – gemeinsam mit dem griechischen Sieg bei der Fußball-EM und den Olympischen Spielen in Athen 2004 – auf symbolische Art für das Ende einer Ära in Griechenland, als symbolischer Schlußpunkt einer Normalisierung«, schließt Eberhard.

Trotz einer Unmenge an Fakten ist das Buch so spannend geschrieben, daß es als Strandlektüre für den nächsten Griechenlandurlaub geeignet ist. Wünschenswert wäre allerdings ein Abkürzungsverzeichnis, da der Leser bei der Vielzahl von Organisationskürzeln leicht den Überblick verliert. Lieber hätte die Redaktion dafür auf die offensichtlich aus dem Internet gesaugten Bilder in schlechter Auflösung verzichten sollen. Und leider ist das mit 590 Seite recht umfangreiche Buch so schlecht geheftet, daß es nach einmaligem Lesen bereits in seine Bestandteile zerfällt. Einem solchen Standardwerk ist eine zweite Auflage in gebundener Form zu wünschen.

* Erik Eberhard: Revolution und Konterrevolution in Griechenland. Entwicklung von Klassengesellschaft und Arbeiter/innen/bewegung in den letzten 100 Jahren. Griechische Linke zwischen Repression, Revolte und europäischer »Normalisierung«. AGM, Wien 2005, 590 Seiten, 18 Euro (plus Versandkosten: 2,75 Euro in Österreich, sieben Euro Europa), ISBN 3-901831-21-5. Bezug: AGM, Postfach 62, A-1152 Wien. E-Mail: agm@agmarxismus.net

 

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