junge Welt 09.06.2007 / Geschichte / Seite 15
Die Anregung zur Folgekonferenz ging bereits 1904 von US-Präsident
Theodore Roosevelt aus. Auf Wunsch Rußlands wurde die
Konferenz aber erst nach Beendigung des russisch-japanischen Krieges
einberufen. Diesmal wollten die USA und Großbritannien die
Frage der Abrüstung thematisieren. »Wenn einer seine
Rüstung einschränken kann, ist es nur England! Da es eine
so kolossale Übermacht hat! Aber weil es dieselbe hat, will es
dieselbe in aeternum (bis in alle Ewigkeit – d. Red.) behalten,
daher dürfen die anderen nicht ihre Rüstungen id est (das
heißt – d. Red.) Flottenbauten weiterentwickeln!
Besonders wir nicht!«, kommentierte Kaiser Wilhelm II. den
britischen Wunsch in einer Randnotiz. Die Reichsregierung machte in
einer Denkschrift deutlich, daß sie eine Beteiligung an der
Konferenz ablehne, falls dort über Abrüstung verhandelt
würde.
Die Konferenz begann am 15. Juni 1907 im
Rittersaal des Haager Binnenhofs und dauerte bis zum 18. Oktober.
Vertreten waren durch 239 Delegierte aus 44 Ländern fast alle
souveränen Staaten der damaligen Zeit, darunter sämtliche
Teilnehmer der Vorgängerkonferenz, das mittlerweile von Schweden
unabhängige Norwegen sowie 17 mittel- und südamerikanische
Länder. Dazu kamen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen
wie die Pazifistin Bertha von Suttner. Die deutsche Delegation wurde
vom Botschafter in Konstantinopel, Adolf Freiherr Marschall von
Bieberstein, angeführt. Ihr gehörten noch der Geheime
Legationsrat Johannes Kriege vom Auswärtigen Amt, der
Generalmajor im Großen Generalstaab Erich von Gündell und
der Pariser Marineattaché Admiral Siegel an.
Wissenschaftlicher Delegierter war der Bonner Völkerrechtler
Professor Philipp Zorn.
Die von der russischen Regierung
aufgestellte Agenda beinhaltete die Verbesserung und Ergänzung
der auf der ersten Haager Konferenz getroffenen Abkommen über
eine internationale Schiedssprechung, das Landkriegsrecht, der
Anwendung der Genfer Konvention auf den Seekrieg und die Ausarbeitung
eines Abkommens zu Fragen des Seekriegsrechts. Verabschiedet wurden
13 neue Konventionen über die Rechte und Pflichten der Neutralen
im Landkrieg sowie zur Seekriegsführung. Ferner nahm die
Konferenz eine Deklaration über das Verbot des Abwurfs von
Bomben aus Luftfahrzeugen an, deren Unterzeichnung allerdings von
deutscher Seite verweigert wurde.
Explizit am deutschen
Widerstand scheiterte die Einführung eines obligatorischen
Schiedsgerichts zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. In
einer 45minütigen Rede begründete Marschall am 5. Oktober
die deutsche Ablehnung. Durch einen Weltschiedsgerichtsvertrag würden
die Machtverhältnisse in Rechtsverhältnisse umgewandelt und
eine Art internationales Spinngewebe geschaffen, in welchem sich auch
die kleinsten Staaten als Spinnen fühlten. Dagegen würden
die Großmächte möglicherweise zu den Fliegen, die
sich in dem Spinngewebe fangen ließen. Unverhohlen ließ
der deutsche Delegierte anklingen, daß das Kaiserreich auf das
Recht des Stärkeren setzte. »Man sollte sich eben auf
nichts als auf sein gutes Schwert verlassen!« vermerkte der
deutsche Militärdelegierte General von Gündell in seinem
Tagebuch.
Am 7. Oktober stimmten neben
Deutschland auch Österreich, Belgien, Bulgarien,
Griechenland, Montenegro, Rumänien, die Schweiz und die Türkei
gegen den Entwurf für das obligatorische Schiedsgericht. Da
Einstimmigkeit notwendig gewesen wäre, beschloß die
Konferenz lediglich, die Angelegenheit »eifrig zu studieren«.
»Das obligatorische Schiedsgericht ist und bleibt ein
Schwindel; aber diplomatisch klug ist unser Benehmen nicht«,
wertete General Erich von Gündell das deutsche Veto letztlich
als »Pyrrhussieg«. Vor aller Welt hatte sich das Reich
mit dem Stigma der Aggression behaftet. »In der unangenehmsten
Stimmung trennte sich die Konferenz, und die deutsche Delegation,
deren Botschafter wie ein Fürst zur Konferenz gekommen war und
dort anfänglich einen vielbesuchten Hof hielt, schied unbeachtet
und ungegrüßt –außer von einigen Türken«,
schrieb der Völkerrechtler Zorn.
Deutsche
Nachkriegspolitiker sahen in der Reichspolitik auf der Haager
Konferenz gar eine wesentliche Kriegsursache. So erklärte der
Direktor im Auswärtigen Amt Walter Simons im Januar 1919: »Es
hat die Welt mit Mißtrauen erfüllt, daß Deutschland
die Entscheidung seiner Streitfragen nicht auf dem Wege der
Gerechtigkeit, sondern auf der Spitze des Schwertes suchte und so die
Atmosphäre geschaffen hat, die sich in immer neuen
Kriegserklärungen entlud.« Und Außenminister Ulrich
Graf Brockdorff-Rantzau verkündete am 14. Februar 1919 vor der
Weimarer Nationalversammlung: »Wir erkennen an, daß die
Stellung, die Deutschland bei den beiden Haager Friedenskonferenzen
in den beiden grundlegenden Fragen der Schiedsgerichts- und
Rüstungsfrage eingenommen hat, eine historische Schuld in sich
schloß.«
In Wirklichkeit waren die gewaltigen
Gegensätze unter den imperialistischen Mächten, die auf
eine Neuaufteilung der Welt hinarbeiteten, 1907 bereits zu groß
geworden, als daß sie durch Vereinbarungen oder Schiedsgerichte
hätten ausgeglichen werden können. Alle Großmächte
bereiten sich auf den kommenden Weltkrieg vor. Dessen Ausbruch 1914
verhinderte das Zustandekommen einer von den Befürwortern der
Schiedsgerichtsbarkeit für 1915 geplanten dritten
Friedenskonferenz.
Quellentext * Rosa Luxemburg: »Friedensutopien«
Die bürgerlichen Friedensfreunde sind bemüht – und
das ist von ihrem Standpunkte ganz logisch und erklärlich
–,allerlei »praktische« Projekte zur allmählichen
Eindämmung des Militarismus zu ersinnen, sowie sie naturgemäß
geneigt sind, jedes äußere, scheinbare Anzeichen einer
Tendenz zum Frieden für bare Münze zu nehmen, jede Äußerung
der herrschenden Diplomatie nach dieser Richtung beim Wort zu fassen
und zum Ausgangspunkt einer ernsten Aktion aufzubauschen. Die
Sozialdemokratie kann umgekehrt hier, wie in allen Stücken der
sozialen Kritik, ihren Beruf nur darin erblicken, die bürgerlichen
Anläufe zur Eindämmung des Militarismus als jämmerliche
Halbheiten, die Äußerungen in diesem Sinne, namentlich aus
Regierungskreisen, als diplomatisches Schattenspiel zu entlarven und
dem bürgerlichen Wort und Schein die rücksichtslose Analyse
der kapitalistischen Wirklichkeit entgegenzustellen. Dies war z. B.
das Verhalten unserer Partei auch der Haager Konferenz gegenüber.
Während sie von Opportunisten verschiedener Länder mit dem
üblichen kleinbürgerlichen Optimismus als ein segensreicher
Ansatz zum Weltfrieden gepriesen wurde (...), hat die deutsche
Sozialdemokratie für die holde Schöpfung des Blutzaren und
seiner europäischen Kollegen nur den verdienten Hohn als für
ein dreistes Possenspiel übriggehabt. (...)
Damit wäre
klar zum Ausdruck gebracht, was den Kern der sozialdemokratischen
Auffassung bildet: daß der Militarismus in seinen beiden Formen
–als Krieg wie als bewaffneter Friede –ein legitimes
Kind, ein logisches Ergebnis des Kapitalismus ist, das nur mit dem
Kapitalismus überwunden werden kann, daß also, wer
aufrichtig den Weltfrieden und die Befreiung von der furchtbaren Last
der Rüstungen wolle, auch den Sozialismus wollen müsse. Nur
auf diesem Wege läßt sich aus Anlaß der
Abrüstungsdebatte wirklich sozialdemokratische Aufklärung
und Werbearbeit leisten.
aus: Leipziger Volkszeitung, 6. Mai 1911 (zit. n. Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke Bd. 2, Berlin/DDR 1972, S. 493 f.)