Hans-Litten-Archiv unterliegt gegen
Verfassungsschutz
Das in Göttingen ansässige Hans-Litten-Archiv zog gegen den Verfassungsschutz
vor Gericht – und unterlag. Hintergrund war die Nennung des Archivvereins im
Verfassungsschutzbericht des Landes Schleswig-Holstein für das Jahr 2013. Dort
wurde das Archiv zwei Mal erwähnt: Einmal im Kapitel über die Rote Hilfe, wo es
zum Archivverein heißt: „Die RH ist am Hans-Litten-Archiv beteiligt; benannt
nach dem für sie in den 1920er Jahren aktiven Rechtsanwalt Hans Litten. Das
Archiv befasst sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung.“ Außerdem in einer
Auflistung „linksextremistischer Bestrebungen“.
Gegen diese Nennung erhob das Archiv Einspruch. Denn durch so eine Klassifizierung
könnten Spender und Kooperationspartner für den wissenschaftlich und
archivierend tätigen Verein abgeschreckt werden. Zudem könnte damit zukünftig
die Gemeinnützigkeit des Archivs gefährdet sein. So gab es von Seiten der
Bundesregierung bereits 2012 Pläne, Vereinigungen die Gemeinnützigkeit zu
entziehen, wenn diese „extremistisch“ seien oder auch nur mit „Extremisten“
kooperieren.
Auf unseren Einspruch hin wurde in der Online-Fassung des
Verfassungsschutzberichtes tatsächlich die Nennung unter „linksextremistische
Bestrebungen“ gelöscht, die Erwähnung im Zusammenhang mit der Roten Hilfe blieb
aber bestehen. Verbindungen des Archivs zu „extremistischen Bestrebungen –
namentlich dem RH e.V.“ ergäben sich schon durch die Satzung. In der
Gesamtschau müsse sich der Archivverein“ eine „besondere politische Näher zu
einer linksextremistischen Bestrebung“ anrechnen lassen.
Daraufhin erhob das Hans-Litten-Archiv am 28. Oktober 2014 Klage auf
Unterlassung der Verbreitung des Verfassungsschutzberichtes von 2013
beziehungsweise Streichung seiner Erwähnung. Verfahrensgegner war das
Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein
als Dienstherr des Verfassungsschutzes. Nach der Logik des
Landesverfassungsschutzgesetzes dürften im Zusammenhang mit der Roten Hilfe nur
solche Aktivitäten berichtet werden, die den gegen sie erhobenen Vorwurf der
Verfassungsfeindlichkeit nach den Gesetzesbestimmungen belegen würden,
argumentierte Rechtsanwalt Peer Stolle. Dafür aber gäbe es bei der Beteiligung
der Roten Hilfe am Hans-Litten-Archiv, das sich der Geschichte der
Arbeiterbewegung verschrieben habe, überhaupt keine Anhaltspunkte, so dass
diese auch keine Erwähnung finden dürfe. Zudem sei das 2006 gegründete
Hans-Litten-Archiv zuvor nie in einem Landesverfassungsschutzbericht erwähnt
worden und habe auch mit Schleswig-Holstein nichts zu tun. So entstehe der
Eindruck, dass das Hans-Litten-Archivs bewusst zum Zwecke der Diskreditierung
mit aufgenommen wurde.
Zudem sah der Anwalt das vom Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht des
Archivvereins durch die bloße Erwähnung im Verfassungsschutzbericht verletzt.
Verwiesen wurde auch auf ein neueres Urteil, dass die Nennung von selbst nicht
als „extremistisch“ eingestuften linken Zentren im Zusammenhang mit
vermeintlich sich dort versammelnden „linksextremistischen“ Gruppierungen im
Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern verbot.
Das Verwaltungsgericht Schleswig wollte in der mündlichen Verhandlung vom 30.
Mai 2016 und seiner schriftlichen Urteilsbegründung dieser Argumentation nicht
folgen. Zwar sah auch das Gericht in der Nennung des Archivs im
Verfassungsschutzbericht einen Grundrechtseingriff, der geeignet sei, sich
abträglich auf das Bild des Vereins in der Öffentlichkeit auszuwirken und ihm
damit eine „mittelbar belastende negative Sanktion“ zuzuführen. Dies gelte auch
dann, wenn dem Verein selbst keine „extremistischen Bestrebungen“ vorgeworfen
würden. Dieser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei allerdings durch das
Landesverfassungsschutzgesetz gedeckt. So überwiege „das Interesse der
Öffentlichkeit an einer umfassenden Information über die Betätigungsfelder
einer extremistischen Bestrebung (hier: RH e.V.) die Schwere des Eingriffs in
die Freiheitsrechte des Klägers.“ Zudem sei dieser Eingriff nur von „geringer
Schwere“, da es sich lediglich um eine „mittelbare Erwähnung“ des Archivvereins
im Zusammenhang mit der Rote Hilfe handele und in der beklagten Passage
lediglich eine „objektiv richtige Tatsache“ dargestellt werde. Zudem ergebe
sich eine enge Verbindung des Archivs zum RH e.V. bereits aus der Namensgebung
des Vereins – diese enthält den Zusatz Rote-Hilfe-Archiv. Auch angesichts der
Entstehungsgeschichte des Vereins sprächen gewichtige Gründe dafür, diesen
trotz eigenständiger Rechtspersönlichkeit „ggf. sogar als strukturellen Teil
des RH e.V.“ anzusehen oder „zumindest von einer starken strukturellen Nähe“
auszugehen. Fälschlich behauptet das Gericht, dass der „überwiegende Zweck“ des
Archivs nicht im Archivieren von Dokumente der Arbeiterbewegung im Allgemeinen
sondern vielmehr der RH e.V. bestehe. Mit dieser Argumentation wies das Gericht
„im Namen des Volkes“ die Klage des Hans-Litten-Archivs ab.
Da durch Anwalts- und Prozesskosten schon genug finanzielle Belastungen auf den
Archivverein zugekommen waren, entschied sich der Vereinsvorstand, keine
Berufung mit ungewissem Ausgang gegen das Urteil einzulegen. Unseren Spendern,
die mit zweckgebundenen Spenden ermöglicht hatten, dass wir überhaupt vor
Gericht gehen konnten, sei an diese Stelle herzlich für ihre Solidarität
gedankt.
Gerichtlich abgesegnet ist damit auch die vom Verfassungsschutz behauptete
Absurdität, dass der 1938 von den Nazis im KZ Dachau ermordete Rechtsanwalt der
Roten Hilfe Deutschland (RHD) Hans-Litten für die Jahrzehnte später gegründete
Rote Hilfe e.V. tätig gewesen sein soll. Faktisch wurde so eine unhistorische
Gleichsetzung der in den 1920er und frühen 30er Jahren aktiven KPD-nahen
Massenorganisation RHD mit Hundertausenden Mitgliedern mit der in den 1970er
Jahren gegründeten Roten Hilfe e.V. vorgenommen. Wäre dies der Fall, könnte die
Rote Hilfe e.V. die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Nazi-Staates, der
die RHD verboten und enteignet hat, auf Entschädigung und Rückerstattung aller
Güter der RHD verklagen.
Bleibt abschließend noch zu erwähnen, dass das Hans-Litten-Archiv in den
nachfolgenden schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzberichten für 2014 und
2015 keine Erwähnung mehr fand. Dies – und die Streichung aus der Liste
„linksextremistischer Bestrebungen“ auch im 2013er Bericht – kann durchaus als
Erfolg unseres Widerspruchs gewertet werden. Insofern möchten wir andere
betroffene Vereine durchaus dazu ermutigen, gegen ihre Diffamierung durch den
Geheimdienst tätig zu werden. Leider stößt ein rechtliches Vorgehen gegen
derartige Zensur zivilgesellschaftlichen Engagements durch die Schlapphüte
schnell an finanzielle Grenzen kleiner Initiativen – auch dies ist ein Aspekt
von Klassenjustiz.
Nick Brauns
Aus: Rote
Hilfe Zeitung 4/2016