Aus: junge Welt Ausgabe vom 01.09.2020, Seite 12 / Thema
Heiliger Krieg unter roter Fahne
Vor 100 Jahren fand in Baku der »Kongress der Völker des Ostens« der
Kommunistischen Internationale statt
Von Nick Brauns
Das Verhältnis von Sozialisten zu nationalen Befreiungsbewegungen, von
Antiimperialismus und Antikapitalismus, von Klassenkämpfen in den Metropolen
und Aufständen im globalen Süden, von Aufklärung und Islam – das sind bis heute
innerhalb der Linken heiß diskutierte Fragen. Sie standen indes bereits vor 100
Jahren auf der Agenda der internationalen revolutionären Bewegung. Auf dem II.
Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Juli 1920 war erstmals in
der Geschichte der Arbeiterbewegung ein Programm zur nationalen und kolonialen
Frage ausgearbeitet worden, das den vom Imperialismus unterdrückten Völkern
eine eigenständige Rolle im Prozess der Weltrevolution zuwies. Dessen
wesentliche Architekten waren Wladimir Iljitsch Lenin und der Inder Manabendra Nath Roy.
Treffpunkt an der Schnittstelle
Grundgedanke in den von Lenin ausgearbeiteten »Leitsätzen über die
Nationalitäten- und Kolonialfrage« war die Unterscheidung in unterdrückende und
unterdrückte Nationen, wobei letztere 70 Prozent der Weltbevölkerung umfassten.
In seiner Imperialismusanalyse hatte Lenin die
Herausbildung einer durch koloniale Extraprofite korrumpierten
»Arbeiteraristokratie« in den Metropolen als materielle Grundlage des
Opportunismus in der Arbeiterbewegung ausgemacht. Daran anknüpfend bezeichnete
Roy den in den Kolonien erzielten Extragewinn als eine der Hauptquellen des
zeitgenössischen Kapitalismus überhaupt. »Der europäischen Arbeiterbewegung
wird der Sturz der kapitalistischen Ordnung erst dann gelingen, wenn diese
Quelle endgültig verstopft ist«, begründete Roy eine notwendige Verlagerung des
Arbeitsschwerpunktes der Komintern in die Kolonien. Für den vollen Erfolg der
Weltrevolution sei das Zusammenwirken der proletarischen Bewegung in den
entwickelten Ländern und der revolutionären Bewegung in den Kolonien und
Halbkolonien erforderlich. Die von der Komintern beschlossene Orientierung fand
ihren Ausdruck in der Erweiterung der Losung aus dem kommunistischen Manifest:
»Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!«
Aufbauend auf dieser Vorarbeit des Komintern-Kongresses beschloss das
Exekutivkomitee der Internationale, Vertreter der versklavten Völker zu einer
großen Konferenz zusammenzurufen. Als symbolträchtiger Ort dafür wurde die
aserbaidschanische Erdölstadt Baku an der Schnittstelle zwischen Europa und
Asien gewählt. Großbritannien, dessen Geheimdienst den am 1. September 1920
begonnenen einwöchigen Kongress zu Recht als primär gegen die eigenen
Kolonialinteressen gerichtet sah, hatte versucht, die Anreise der Teilnehmer
aus der Türkei und Persien zu verhindern. Zwei persische Delegierte wurden
getötet, als ein britisches Kampfflugzeug ihren Dampfer auf dem Weg ins
Kaspische Meer bombardierte.
Das Kongressprotokoll verzeichnet 1.891 Delegierte, die rund 30 verschiedenen
Nationalitäten angehörten. Die Mehrheit der Teilnehmer entstammte den einstmals
vom Zarismus unterworfenen Völkern, der Türkei und Persien. Delegierte aus der
Türkei stellten mit 235 Vertretern die größte Gruppe, gefolgt von 192 Persern,
157 Armeniern, 104 Russen, 100 Georgiern und 82 Tschetschenen. Vertreten waren
auch Aserbaidschaner, Usbeken und weitere kaukasische Volksgruppen, Turkmenen,
Araber und Kurden sowie 41 als eigenständige Nationalität erfasste Juden, aber
auch Koreaner, Chinesen und Inder. 1.273 Delegierte gehörten kommunistischen
Parteien und Jugendverbänden an, die übrigen wurden als Parteilose gezählt.
Darunter waren zahlreiche Anhänger nationalrevolutionärer, zum Teil auch
religiös geprägter Bewegungen. Die Komintern war durch ihren Vorsitzenden
Grigori Sinowjew sowie die Sekretäre Karl Radek und
Bela Kun vertreten. Begleitet wurden diese von Kommunisten aus den Ländern, die
noch Kolonien besaßen. Dies waren der Franzose Alfred Rosmer,
der Brite Tom Quelch und der Holländer Jansen sowie
der US-amerikanische Journalist John Reed.
Babylonisches Sprachengewirr
»Wir wollen alle Völker, alle Werktätigen, unabhängig von ihrer Hautfarbe
befreien, gleichgültig, ob es Menschen mit weißer, schwarzer oder gelber Haut
sind«, verkündete Sinowjew in seiner Eröffnungsrede
im Mailow-Theater von Baku. »Ein Sozialist, der
direkt oder indirekt die bevorzugte Stellung einzelner Nationen auf Kosten der
anderen unterstützt, der sich mit der Sklaverei in den Kolonien abfindet, der
Unterscheidungen macht zwischen Menschen verschiedener Rassen und Hautfarben,
der der Bourgeoisie in den Metropolen hilft, ihre Herrschaft
aufrechtzuerhalten, statt den bewaffneten Aufstand in den Kolonien zu
unterstützen, so beispielsweise ein großbritannischer Sozialist, der nicht mit
allen Mitteln die Aufstände in Irland, Ägypten und Indien gegen die Londoner
Plutokratie fördert – ein solcher ›Sozialist‹ verdient, wenn nicht eine Kugel,
so doch ein Brandmal, keinesfalls jedoch ein Mandat oder das Vertrauen des
Proletariats«, wandte sich Sinowjew in seiner immer
wieder durch stürmischen Applaus der Delegierten unterbrochenen Rede gegen die
Heuchelei der sozialdemokratischen Parteien. Karl Radek betonte die
Notwendigkeit des Bündnisses der unterdrückten Völker mit Sowjetrussland, das
die Waffen herstellen könne, »mit denen es nicht nur die eigenen Arbeiter und
Bauern bewaffnen kann, sondern auch die indischen und persischen Bauern, die
Bauern Anatoliens, (…) und sie zum gemeinsamen Kampf und gemeinsamen Siegt
führen wird«.
Anders als der vorangegangene Weltkongress der Komintern, auf dem
inhaltliche Debatten im Vordergrund gestanden hatten, war der Kongress von Baku
seinem Charakter nach eine große Manifestation, in der erstmals die Forderungen
der vom Imperialismus und Kolonialismus unterdrückten und ausgebeuteten Völker
machtvoll formuliert wurden. Angesichts des dort vertretenen babylonischen
Sprachengewirrs wurden die meisten Reden nicht wörtlich übersetzt, sondern
lediglich meist in Russisch zusammengefasst und dann in andere Sprachen
weiterübersetzt. Am 3. September fand aus Rücksicht auf das muslimische
Freitagsgebet keine Versammlung statt, sondern eine Militärparade der Roten
Armee. Zu den weiteren Programmpunkten zählte ein öffentliches Tribunal gegen
die Repräsentanten des britischen, französischen und US-Imperialismus, Lloyd
George, Alexandre Millerand und Woodrow Wilson, deren Bilder symbolisch
verbrannt wurden. Schließlich wurden unter dem Gesang »Unsterbliche Opfer« die
Särge mit den Leichen von 26 bolschewistischen Kommissaren der »Kommune von
Baku« beigesetzt, die im Sommer 1918 von den Briten hingerichtet worden waren.
»Die ersten Versammlungen des Kongresses waren geprägt von Paraden,
Geschrei, Gebrüll und Applaus. Ununterbrochen wurden Schwerter gezogen.
Abgesehen davon fanden auch einige wenige inhaltliche Treffen statt, aber weil
man dort den Reden lauschen musste, anstatt das Schwert zu ziehen und zu
johlen, fanden diese nicht die Aufmerksamkeit der ehrwürdigen Delegierten«. So
schilderte rückblickend der türkische Kongressteilnehmer Sevket Süreyya Aydemir
– da hatte er sich bereits vom Kommunisten zum Ideologen des Kemalismus
gewandelt – die Stimmung in Baku. In einem Spitzelbericht des britischen
Geheimdienstes heißt es, »die Mehrzahl der Delegierten scheint aus Analphabeten
zu bestehen, die mehr Interesse an den Waffen der jeweils anderen zeigen sowie
am Verkauf von Produkten, die sie aus ihren Heimatländern mitgebracht haben,
als am Fortgang des Kongresses«.
Kampf für »völlige Gleichheit«
Abseits der Manifestationen fanden durchaus auch inhaltliche Sitzungen
statt. In den dort ausgearbeiteten Thesen zur Agrarfrage wird unter Ausblendung
des zwar zahlenmäßig kleinen, aber aktiven und konzentrierten Proletariats in
der Türkei, in Indien oder China behauptet, dass »die Bauernschaft der Länder
des Ostens die einzige produktive Klasse« sei, »die durch ihre Arbeit nicht
allein die Großgrundbesitzer, sondern auch die gesamte Bourgeoisie und
Bürokratie« erhält. Auch die Frauenfrage spielte eine Rolle. Zwar waren nur 55
der Delegierten weiblich. Doch »um die Bestrebungen des Kongresses zu
unterstreichen und die Frauenemanzipation im Osten zu beschleunigen«, wurden
gegen den anfänglichen Widerstand nichtkommunistischer Delegierter unter großem
Beifall drei Frauen ins Kongresspräsidium gewählt.
»Wir, die Frauen des Ostens, werden zehnmal schlimmer ausgebeutet als die
Männer. Und die hässlichen Seiten des Lebens, das von diesen Einsiedlerinnen,
den muslimischen Frauen des Ostens, geführt wird, wirken sich stärker auf uns
aus«, schilderte die Delegierte Bibinur aus
Turkestan, um dann ihrer Hoffnung auf Änderung durch die »Sowjetmacht als
unsere Mutter« Ausdruck zu verleihen. Die erst 19jährige Aserbaidschanerin Khaver Shabanowa-Karayewa, die
während des Bürgerkrieges als Medizinerin in der Roten Armee gedient hatte,
machte deutlich, dass die Frauen in der muslimischen Welt nicht primär für das
Recht kämpften, ohne Tschador auf die Straße zu gehen, sondern für »völlige
rechtliche Gleichheit«. Das bedeute die »Sicherstellung des bedingungslosen
Zugangs für Frauen zu Institutionen der Erziehung und des Berufs, die für
Männer errichtet wurden«, rechtliche Gleichheit für beide Partner in der Ehe,
die Abschaffung der Polygamie, den bedingungslosen Zutritt für Frauen zu
Verwaltung und Legislative sowie den Aufbau von Komitees für die Rechte und den
Schutz der Frauen in Städten und Dörfern.
An die männlichen Delegierten appellierte Shabanowa-Karayewa,
im Interesse ihrer eigenen Emanzipation die Frauen dazu einzuladen, »wirkliche
Mitstreiterinnen in eurer Arbeit zu werden«. Ihre aufrüttelnde Rede beendete
die junge Frau mit den Worten: »Wir Frauen werden beweisen, dass wir die
loyalsten Genossinnen sind. Es ist wahr, wir können stolpern in der weglosen
Finsternis, wir können am Rand eines gähnenden Abgrunds stehen, aber wir sind
furchtlos, denn wir wissen, dass wir die Nacht durchschreiten müssen, um die
Morgenröte zu sehen.«
Späte Auswirkungen
Zwar nicht als Delegierte, aber als »Gäste« waren der offizielle
Repräsentant der in Ankara unter Mustafa Kemal gebildeten türkischen Regierung,
Ibrahim Tali, sowie der vormalige Kriegsminister der
jungtürkischen Junta und Hauptverantwortliche für den Völkermord an den
Armeniern, Enver Pascha, in Baku präsent. Vielen muslimischen Nationalisten
galt Enver, der sich in Baku am Rande der Parade hoch zu Ross feiern ließ, als
Lichtgestalt. Zwar wurde eine unter Beschwörung Allahs gehaltene Erklärung
Envers ebenso verlesen wie ein Grußwort des Vertreters von Ankara, der
Freundschaft mit der Sowjetunion und den gemeinsamen Kampf gegen den
Weltimperialismus verkündete. Anschließend aber distanzierte sich Béla Kun im
Namen der Komintern von den beiden Vertretern des bürgerlichen türkischen
Nationalismus. In der von Kun vorgestellten Resolution wurde betont, dass der
Kongress zwar die »türkische allgemeine nationale revolutionäre Bewegung« gegen
die »fremdländischen Imperialisten« unterstütze. Doch halte er »besondere
Vorsicht gegenüber den Führern der Bewegung für geboten, die in der
Vergangenheit die türkischen Bauern und Arbeiter im Interesse einer
imperialistischen Gruppe zur Schlachtbank führten«, womit Kun an die
Waffenbrüderschaft des osmanischen Reiches mit dem deutschen Kaiserreich
erinnerte. Enver wandte sich bald nach dem Kongress von Baku gegen die
Sowjetmacht und kämpfte in Turkestan an der Spitze einer Truppe muslimischer
Aufständischer für die Errichtung eines Kalifats. 1922 wurde er bei einem
Gefecht mit der roten Kavallerie getötet.
»Ihr seid unter der grünen Fahne des Propheten marschiert, aber alle diese
heiligen Kriege waren betrügerisch, sie dienten nur den Interessen eurer
eigennützigen Herrscher, und ihr, Bauern und Arbeiter, seid in Sklaverei
verblieben nach diesen Kriegen«, heißt es in der Schlussresolution des
Kongresses, die sprachlich an die religiösen Gefühle der Muslime anknüpfte, um
diese gegen den britischen Imperialismus zu wenden. »Jetzt rufen wir euch zum ersten
wirklich heiligen Krieg auf, unter der roten Fahne der Kommunistischen
Internationale. Wir rufen euch auf zu einem heiligen Krieg für eurer eigenes
Wohl, für eure eigene Freiheit, für eurer eigenes Leben!«
Der Kongress sei »unbestreitbar der erste dieser Art, auf dem es gelungen
war, Vertreter aller Länder, aller Rassen und Völker des Orients zu
versammeln«, stellte der französische Delegierte Alfred Rosmer
rückblickend fest. Unmittelbar habe der Kongress zwar nicht das Erhoffte
erbracht. In den Monaten danach brachen keine bedeutenden Aufstände aus, die
die imperialistischen Mächte hätten beunruhigen können. Ein in Baku gebildeter
Aktions- und Propagandarat schlief schnell wieder ein. »Die Erschütterung war
tief, aber ihre Auswirkung spürte man erst später«, resümierte Rosmer dennoch. »Es brauchte Zeit, bis die Debatte und die
Resolutionen Früchte trugen, bis genügend Kräfte gesammelt wurden, die sich
bewusst waren, welchen Kampf man gegen die bislang allmächtigen Herren führen
musste.«
Erste Bewährungsprobe …
Eine erste Bewährungsprobe für die antiimperialistische Politik der
Komintern ergab sich bald danach in der Türkei. Dort kämpften die von General
Mustafa Kemal geführte Armee sowie eine Partisanenbewegung, in der sich
islamische und sozialrevolutionäre Ideen vermengten, gegen die drohende
Aufteilung des Landes unter den Westalliierten und deren griechische
Verbündeten. Im Anschluss an den Kongress der Völker des Ostens fand am 10.
September in Baku der Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei der Türkei
(TKP) statt. Der dort zum Parteivorsitzenden gewählte Mustafa Suphi war ein
früherer türkischer Nationalist, der in russischer Gefangenschaft durch
Mitgefangene für den Kommunismus gewonnen worden war.
Nach der Oktoberrevolution war Suphi in dem vom Josef Stalin geleiteten
Volkskommissariat für Nationalitätenfragen für
Angelegenheiten muslimischer Werktätiger zuständig. Von Suphi rekrutierte
ehemalige türkische Kriegsgefangene stellten einen Großteil der
TKP-Gründungsmitglieder in Baku. Suphi musste auf dem Parteitag einerseits
Tendenzen entgegentreten, die auf eine sofortige sozialistische Revolution in
dem weitestgehend agrarischen Lande setzten. Doch zugleich musste er sich von
ehemaligen Jungtürken innerhalb der Partei abgrenzen, die den Klassenkampf im
Namen der »Einheit der Nation« verwarfen. Zahlreiche Delegierte sahen »im
Kommunismus nichts anderes als eine extremistische Variante der Lehren des
Islam«, bekannte TKP-Mitbegründer Sevket Süreyya Aydemir später. So blieb die
Behauptung eines anwesenden Imams, wonach Lenins Lehren auf den Prinzipien des
Islam basierten, unwidersprochen. Zwar wurde der Forderung nach Abschaffung des
Kalifats zugestimmt, doch eine Mehrheit des Parteitages wandte sich zugleich
gegen eine Trennung von Staat und Religion und beharrte auf der Beibehaltung
islamischer Traditionen. Von einigen Delegierten wurde gar die Forderung nach
einer strikten Abschottung der Frauen in der Gesellschaft vertreten.
Thematisiert wurden auch die Massaker an den Armeniern. Dabei wurden Türken wie
Armenier gleichermaßen als Opfer imperialistischer Teile-und-herrsche-Politik
präsentiert. Arme armenische Bauern hätten sich von den falschen Versprechungen
der britischen Regierung, armenischer Nationalisten und Priester zu Angriffen
auf arme Muslime hinreißen lassen, woraufhin das jungtürkische Regime die
Deportation der Armenier angeordnet habe, »von denen die meisten auf einen
Geheimbefehl hin getötet wurden«.
Die abschließende Erklärung des Parteitages verzichtete ganz auf die
Erwähnung einer »Revolution«. Statt dessen standen
demokratische Forderungen nach Streikrecht, Wahlrecht und besseren
Arbeitsbedingungen sowie einer Landreform im Mittelpunkt. Aufgerufen wurde zur
aktiven Unterstützung des Befreiungskampfes in der Türkei. Obwohl von der Bourgeoisie
geführt, sei dieser Kampf objektiv revolutionär und im Interesse des türkischen
und internationalen Proletariats, da er den Weltimperialismus schwäche.
Gleichwohl wird in der Resolution betont, dass die Kooperation der Kommunisten
mit der Nationalbewegung nur zeitweiliger Natur sei und es darum gehe, im
antiimperialistischen Kampf die Basis zu schaffen für die Sammlung breiter
Volksmassen unter Führung des Proletariats als Vorbereitung einer zukünftigen
Machtergreifung durch die Arbeiterklasse.
… scheitert
Das Zentralkomitee der TKP beschloss, seinen Sitz nach Ankara zu verlegen.
Nach einer als Zustimmung gedeuteten Antwort Mustafa Kemals brachen Suphi,
Generalsekretär Ethem Nejat und 13 weitere führende Kommunisten im Dezember
1920 auf, um Mustafa Kemal die Unterstützung einer aus früheren
Kriegsgefangenen in Russland gebildeten »Roten Division« anzubieten. Doch in
der Zwischenzeit waren die Kemalisten, die in der Nationalversammlung einen
Block mit der Lobby der Großgrundbesitzer gebildet hatten, dazu übergegangen,
sozialrevolutionäre Strömungen innerhalb der Nationalbewegung um den
tscherkessischen Partisanenführer Ethem auszuschalten. Die Kommunisten wurden
in dieser Situation der Zuspitzung der Klassengegensätze innerhalb der
Nationalbewegung als Gefahr angesehen. Nach ihrer Ankunft in der Türkei wurden
sie von aufgestachelten Islamisten als »Gottlose« attackiert. In der
Schwarzmeerstadt Trabzon akzeptierten Suphi und seine Genossen daher das
Angebot des Chefs der Bootsführergilde, Yahya Kaptan,
sie vor dem Mob mit einem Schiff in Sicherheit zu bringen. Es war eine Falle,
denn in der Nacht zum 29. Januar 1921 wurden die Kommunisten auf heimtückische
Weise ermordet und ihre Leichen ins Wasser geworfen. Suphis
russische Frau Maria wurde von Yahyas Bande versklavt
und in den Tod getrieben.
Die Regierung in Ankara bestritt zwar jegliche Verwicklung in den
»Zwischenfall am Schwarzen Meer«. Doch Yahya, der ein Anhänger von Enver Pascha
war, erhielt kurz darauf ein Telegramm, in dem ihm Mustafa Kemal seinen Dank
»für patriotische Gefühle und Handlungen« aussprach. Dessen Ziel war es wohl,
die Verantwortung für die Morde auf die Jungtürken abzuwälzen. Als Yahya unter
Mordverdacht inhaftiert auszusagen drohte, wurde er selber im Gefängnis
umgebracht. Das Auslandsbüro der TKP in Baku benannte die kemalistische
Regierung als »die eigentliche Urheberin dieses Verbrechens« und forderte von
der Komintern Solidarität, »dass die Henker erhängt werden, damit dies große
Verbrechen nicht ungestraft und ungesühnt bleibt«. Doch die Sowjetregierung
schloss am 16. März 1921 mit der Türkei einen aus der gemeinsamen Gegnerschaft
gegen den britischen Imperialismus entsprungenen »Freundschafts- und
Brüderlichkeitsvertrag«, ohne mit einem Wort auf die Morde einzugehen. Die damit
einhergehende Unterordnung der türkischen Kommunisten unter die bürgerliche
kemalistische Bewegung stand dabei im Widerspruch zu den Leitsätzen über die
Nationalitäten- und Kolonialfrage des II. Weltkongresses der Komintern. Darin
hatte es geheißen, die Internationale solle zwar ein zeitweiliges Zusammengehen
und selbst Bündnis mit den revolutionären Bewegungen der Kolonien und der
rückständigen Länder anstreben. Sie dürfe sich aber nicht mit diesen
zusammenschließen, »sondern muss unbedingt den selbständigen Charakter der
proletarischen Bewegung — sei es auch in ihrer Keimform
— aufrechterhalten«.