"Jeder kann alles lernen!"
Hermann Duncker und die Marxistische
Arbeiterschule
In der DDR
waren Schulen, Druckereien und Straßen nach Hermann Duncker benannt. Nun bringt
der ISP-Verlag Nachdrucke von marxistischen Schulungstexten heraus, die von
Duncker verfaßt wurden. Grund genug,
eine kurzen Überblick über Dunckers Leben und Werk zu bieten.
Dunckers Leben ist ein Spiegel der deutschen
Arbeiterbewegung von der Sozialdemokratie vor 1914 über die KPD bis zur SED.
Zeitlebens sah Duncker dabei die Vermittlung der Theorie von Marx und Engels
als seine wichtigste Aufgabe an. Der Sohn eines Kaufmanns trat als 18-Jähriger
1893 in Leipzig der SPD bei, nachdem er Kontakt zu revolutionären Arbeitern
bekam. Nun begann auch seine Beschäftigung mit dem Marxismus. Schon bald begann
der Student der Ökonomie, Philosophie und Geschichte, sein Wissen in
Arbeiterbildungskursen weiterzuvermitteln. Hier lernte Duncker auch seine Frau
Käte , Aktivistin der sozialistischen
Frauenbewegung, kennen, die ebenso wie Duncker bis zu ihrem Tod 1953 in der
Arbeiterbewegung blieb. Aus Mangel an geeigneten Räumen trafen sich die
SchulungteilnehmerInnen oft in der engen Wohnung der Dunckers, um das
"Kapital" zu studieren. Nach seiner Promotion 1903 wurde Dr. Duncker
hauptamtlicher Funktionär und 1906 der erste Wanderlehrer der SPD. Seine
Schulungskurse hatten oft einen ökonomischen Schwerpunkt, aber auch
literarische und kulturelle Themen wurden erörtert. Dem Wunsch vieler
KursteilnehmerInnen nach einfach verständlichem Schulungsmaterial zur
marxistischen Wirtschaftstheorie kam Duncker mit der Schrift
"Volkswirtschaftliche Grundbegriffe" nach, die 1908 erschien und nun
bei ISP im Reprint vorliegt. In einfachen Worten werden Grundbegriffe wie
"Kapital" und "Mehrwert" erklärt. In der Verbindung mit
ökonomischen Schriften von Marx und neueren Schulungsschriften wie Ernest
Mandels "Einführung in die Marxistische Wirtschaftstheorie" ist die Schrift immer noch sehr wertvoll für
Grundlagenschulung.
Duncker wurde 1911 an die Zentralschule der SPD in Berlin
berufen, wo er eng mit den Parteilinken Rosa Luxemburg und Franz Mehring
zusammenarbeitete. Während des I.Weltkrieges schloß sich Duncker der
Spartakusgruppe an und war Verfasser der Untergrundbroschüre "Der
Annexionswahnsinn". Bei Ausbruch der Revolution 1918 in Deutschland
besetzte er mit einer Gruppe Spartakisten eine bürgerliche Zeitungsredaktion
und gab die erste Nummer der "Roten Fahne", der zukünftigen
Parteizeitung der KPD heraus. Auch in der neugegründeten KPD, derem
Zentralkomitee er und Käte vorübergehend angehörten, widmete er sich der
Bildungsarbeit. So war er Herausgeber der "Kleinen Leninbibliothek"
und der "Elementarbücher des Kommunismus". Die klassischen Schriften
wurden jeweils mit einem die Aktualität herstellenden Vorwort und einem
Anmerkungsapparat herausgebracht. "Was wäre die Menschheit ohne die
Erfindung des Feuers? Was ist der Mensch ohne das Buch?! Zeit und Raum
überwindet er - als Leser. Aufgehäufte Erfahrung, systematische verarbeitetes
Wissen, auf die Zukunft gerichtete Lehren vermittelt das Buch. Das Buch ist die
Hochschule der Masse, die wichtigste Bildungsanstalt des Proletariats."
erläuterte der Herausgeber die Bedeutung revolutionärer Literatur.
Eine wichtige Rolle spielte Duncker als Gründer,
Leiter und Dozent der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) in Berlin. Schulen
der MASCH wurden als der KPD nahestehende aber unabhängige Institute zur
Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus in 30 Orten gegründet. Die Kurse
für ArbeiterInnen kosteten nur wenige Pfennige und die LehrerInnen arbeiteten
unentgeltlich. Die Berliner MASCH bot allein 1931/32 400 Kurse zu Fragen der
Politik, Geschichte und Ökonomie aber auch zur Kultur, Medizin und Sexualität
an. Um über das Heimstudium ArbeiterInnen zu erreichen, die nicht regelmäßig an
den Kursen teilnehmen konnten, wurden von Duncker, Wittfogel und Goldschmidt
die Hefte der Marxistischen Arbeiter Schulung (MAS) "Geschichte der Internationalen Arbeiterbewegung" und
"Politische Ökonomie" herausgegeben.
Die ersten Hefte der beiden Kurse sind nun wieder bei ISP erschienen. In
verständlicher Sprache werden Heft für Heft wichtige Ereignisse systematisch
dargestellt und Begriffe erklärt. Kontrollfragen zum Ende jedes Kapitels dienen
dazu, selbst Schlußfolgerungen zu ziehen. Verbunden mit ergänzender Literatur,
die der ISP-Verlag im Anhang nennt, kann die MAS auch heute voll ihren Zweck
erfüllen. Die MASCH erreichte mit ihren Kursen und Schulungsheften für das
Fernstudium Tausende von großenteils nicht parteigebundenen ArbeiterInnen. Höhepunkte
der MASCH waren Auftritte von Persönlichkeiten wie Bert Brecht oder Albert
Einstein und die Vorführung sowjetischer Filme.
1933 wurde die MASCH ebenso wie die gesamte deutsche
Arbeiterbewegung vom Faschismus zerschlagen, Duncker flieht nach einjähriger
KZ-Haft ins Exil nach Paris, wo er seine Schulungsarbeit unter Emigranten
fortsetzt und später in die USA. Nach
dem Krieg kehrt er in die DDR zurück wird Mitglied der SED, Professor in
Roststock und Direktor der Bundeshochschule des Gewerkschaftsbundes FDGB.
Duncker setzte sich trotz der bürokratischen Strukturen bis zu seinem Tod 1960
für eine Schulungsarbeit ein, die ein echtes Verständnis für den Marxismus
fördern sollte. Wer heute seine aus den 50er Jahren stammenden Überlegungen zur
Schulungsarbeit liest, wird hier noch den Geist eines lebendigen Marxismus
erkennen, der so gar nicht mit dem Dogmatismus der SED zusammenpaßt, für die
der Marxismus eine undialektische Rechtfertigungsideologie darstellte.
Auch für uns sollte Dunckers Überzeugung gelten:
"Jeder kann alles lernen! Jawohl, jeder kann alles lernen; wenn genügend
Zeit und Ausdauer drauf verwandt wird und wenn die richtigen Lernmethoden
gefunden und angewandt werden, dann kann jeder alles lernen."
Nick Brauns
Literatur von
und über Duncker:
Duncker, Hermann: Einführungen in den Marxismus Bd.
1 Berlin 1958 , Bd. 2 Berlin 1959.
Duncker, Hermann: Ausgewählte Schriften und Reden
aus sechs Jahrzehnten, Berlin 1984.
Griep, G., Förster, A., Siegel, H.: Hermann Duncker
- Lehrer dreier Generationen. Berlin 1976
Im
Neuen ISP Verlag (Marienstr. 15, 76137 Karlsruhe) sind bisher erschienen:
MASCH
Kursus Geschichte Band 1 und Kursus Polit.Ökonomie Band.1 (je DM13.-) sowie
Hermann Duncker, Volkswirtschaftliche Grundbegriffe (DM 10.-). Demnächst
erscheinen noch Band 2 und 3 der MASCH Polit. Ökonomie und Band 2 der MASCH
Geschichte.