Hoch die internationale Solidarität!“


Rote Hilfe gegen „weißen Terror“ und rassistische Lynchjustiz in den 20er und 30er Jahren


In Folge des ersten Weltkrieges kam es vielerorts in Europa zu Umstürzen und Revolutionen wie auch zu gegenrevolutionären Bewegungen, zur Entstehung von faschistischen Strömungen und der Errichtung von Militärdiktaturen. Insbesondere in Ost- und Südosteuropa wurden – wie schon unter Mussolini in Italien - Regimes errichtet, die blutig gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung vorgingen. Die weltweiten Ereignisse wirkten auf Deutschland zurück. Berlin wurde zur Drehscheibe der europäischen Fluchtbewegungen. Die Rote Hilfe Deutschlands reagierte darauf mit juristischen Kampagnen für ein uneingeschränktes Asylrecht, mit sozialer Hilfe für Flüchtlinge, aber auch mit politischen Kampagnen gegen den „internationalen weißen Terror“.


Ein Höhepunkt internationalen Kampagnetätigkeit stellte das Jahr 1927 dar. Die Rote Hilfe Deutschlands beteiligte sich in der diesem Jahr an Kampagnen zur Unterstützung verfolgter Revolutionäre aus Italien, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Polen, Indonesien, China, Österreich und den USA. Ein Ziel der zusammen mit den anderen Landessektionen der Internationalen Roten Hilfe durchgeführten Kampagnen war es, „den Werktätigen an Hand der Tatsachen den Terror und die Klassenjustiz als internationale Erscheinung, als letzte Mittel der Weltreaktion zu beweisen und damit die Notwendigkeit der organisierten internationalen proletarischen Solidarität als unbedingte Voraussetzung für den Sieg der Revolution“.


Der Roten Hilfe war es zu verdanken, dass internationale Solidarität nicht bei abstrakten Lippenbekenntnissen endete sondern vor Ort konkret erfahrbar wurde. Mit Zeitungen, Ausstellungen, Lichtbildvorträgen und Rundreisen von ausländischen Referenten brachte die Rote Hilfe entfernte Ereignisse dem deutschen Publikum näher, dass sich mit diesen aufgrund ähnlicher Verfolgungs- und Revolutionserfahrungen nach dem ersten Weltkrieg identifizieren konnte. Patenschaften mit Gefangenen in ausländischen Gefängnissen, das Entsenden von Beobachterdelegationen zu politischen Prozessen unter Militärdiktaturen, die Aufnahme von Kindern verfolgter Aktivisten aus dem Ausland sowie Briefkontakte zu anderen Sektionen der Roten Hilfe hielten den praktischen Internationalismus am Leben.


Gegen den „weißen Terror“


„Terrorländer“ nannte die Roten Hilfe in den 20er Jahren die ost- und südosteuropäischen Staaten, in denen wie schon unter Mussolini in Italien autoritäre und faschistische Regimes an die Macht gekommen waren.

An erster Stelle bei der Solidaritätsarbeit stand lange Zeit Polen, wo die Polizei zuerst unter einer parlamentarischen Demokratie, dann unter der Militärdiktatur von Pilsudski blutig gegen Anhänger der verbotenen Kommunistischen Partei vorging. Als der kommunistische Sejm-Abgeordnete Stanislaus Lanzuzki 1924 seiner parlamentarischen Immunität beraubt, inhaftiert und wegen Hochverrats angeklagt wurde, demonstrierten in Berlin mehrere Tausend Menschen vor der polnischen Gesandtschaft. Auf Initiative der Roten Hilfe schickte eine Vielzahl von Gewerkschaftsgliederungen und Betriebsversammlungen Protestschreiben an die polnische Gesandtschaft, den Sejm und an Lanzuzki selber. Unter dem Eindruck der internationalen Proteste wurde Lanzuzki schließlich zu sechs Jahren Haft verurteilt und von dem geplanten Todesurteil abgesehen.

Mehr als 300.000 Menschen beteiligten sich nach dem Militärputsch Pilsudskis 1926 an Protesten der Roten Hilfe in Deutschland. Der Dichter Johannes R. Becher schrieb an den Präsidenten der polnischen Republik: „Der Schrei aus den polnischen Gefängnissen, die Schilderung der furchtbaren Zustände in den polnischen Gefängnissen hat auch unser Ohr erreicht. Wir deutschen Schriftsteller und Künstler wissen Bescheid, dass in den polnischen Gefängnissen an Hunderten und Aberhunderten Wehrloser ein `trockener´ Mord begangen wird, nicht nur ein `trockener´ Mord, es wird auch offen gemartert und gemordet. Können Sie, die Sie die Macht haben, länger diese Scheußlichkeiten verantworten, gut, dann verantworten Sie sie. Aber seien Sie sich dessen bewusst, dass alle freiheitlich Gesinnten Deutschlands für Sie nur mehr das eine Gefühl übrig haben werden: Hass, Verachtung, Empörung, Dass alle freiheitlich Gesinnten Deutschlands auf Seite Ihrer Opfer stehen, sich ihnen blutsverbunden und geistesverwandt fühlen. Wir fordern Sie auf: Öffnen Sie endlich die Gefängnisse! Heraus mit den politischen Gefangenen.“

Zu einem „Massensturm gegen die polnischen Henker“ kam es im Juni und Juli 1930, als drei Jungkommunisten von einem Lemberger Feldgericht zum Tode durch den Strang verurteilt wurden, weil sie kommunistische Flugblätter verteilt hatten. Mehrere Tausend Menschen demonstrierten auf Kundgebungen der Roten Hilfe gegen das Todesurteil. Vor der polnischen Botschaft in Berlin zertrümmerten Demonstranten mit Steinen sämtliche Fenster. Die Proteste waren von Erfolg gekrönt. Am 27.August hob der Oberste Gerichtshof in Warschau das Todesurteil gegen die drei Jungkommunisten auf


Sacco und Vanzett


1921 waren die italienischstämmigen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo in den USA zum Tode für einen Raubmord verurteilt worden, den sie erwiesenermaßen nicht begangen hatte. In seltener Einheit protestierten anarchistische, kommunistische und sozialdemokratische Organisationen in aller Welt gegen das politisch motivierte Urteil an den zwei Arbeiteraktivisten. Der Höhepunkt der Kampagne, an der sich weltweit mehrere Millionen Menschen beteiligten, war 1927 als die Hinrichtung unmittelbar bevorstand. Anfang August 1927 begaben sich auf Initiative der Roten Hilfe 200 Protestdelegationen zur Berliner US-Botschaft. 40 Organisationen hatten zum Tag der geplanten Hinrichtung zu Demonstrationen in 24 Berliner Stadtbezirken aufgerufen, an denen sich auch mehrere Betriebsbelegschaften beteiligten. Beschäftigte von mehreren Berliner Betrieben traten einige Stunden in den Streik und Bauarbeiter hängten Plakate mit der Losung »Proteststreik für Sacco und Vanzetti« an Baugerüste. Berliner Arbeiter hielten in der Nacht der Hinrichtung vom 22. auf den 23. August »Totenwache« vor der US-Botschaft. In den frühen Morgenstunden des 23. August protestierte die KPD mit Agitprop-Lastwagen gegen den Justizmord. Ruhrbergarbeiter hielten Belegschaftsversammlungen in Zechen ab, und die Arbeiter der Mannheimer Benz-Werke traten in einen 15minütigen Streik. In Leipzig und Hamburg schoß die Polizei in die Menge. Die Trauerkundgebung mit rund 150.000 Teilnehmern im Berliner Lustgarten gehörte zu den größten Massendemonstrationen der Weimarer Republik.


Die „Negerjungen“ von Scottsboro


Anfang der 30er Jahre griff die Rote Hilfe auch Fälle von Rassendiskriminierung und Lynchjustiz von Afroamerikanern in den USA auf. Der bekannteste Fall waren die sogenannten „Negerjungen“ von Scottsboro. Neun afroamerikanische Jugendliche wurde 1931 in den Südstaaten der USA von einem rassistischen weißen Mob beschuldigt, während einer Bahnfahrt zwei weiße Frauen vergewaltigt zu haben. Zwei Prostituiere waren zu dieser Aussage gezwungen worden, die eine von ihnen später zurückzog. Acht Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren wurden in Scottsboro/Alabama zum Tode verurteilt. Der neunte erhielt eine lebenslängliche Zuchthausstrafe, da er erst 13 Jahre alt war.

Die Internationale Roten Hilfe rief im Sommer 1931 zu einer weltweiten Kampagne zur Rettung der „Negerjungen“ auf. Zu den aktivsten Teilnehmern der Kampagne in Deutschland gehörten die Kinder- und Jugendgruppen der Roten Hilfe. „Was man da drüben in Amerika mit den Negerjungen macht, ist in derselben Linie, wie die Maßnahmen des Faschismus gegen die deutsche Jungarbeiterschaft. Hier wie dort setzt sich eine sterbende Bourgeoisie gegen das kämpfende Proletariat mit allen Mitteln zur Wehr.“ Die Jugendlichen bastelten „elektrische Stühle“ für Theaterszenen und sammelten in Schulen Unterschriften gegen die Hinrichtung.

Ada Wright, die Mutter von Zwei der zum Tode verurteilten Jungen, unternahm 1932 eine Rundreise durch Deutschland. Für die preußischen Gebiete verbot der sozialdemokratische Innenminister Severing die Auftritte der „Scottsboro-Mutter“. „Im Interesse der deutschen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wäre es erwünscht, wenn die Versuche unterbleiben könnten, in dieses schwebende Verfahren vom Ausland her mit Hetze und Agitation einzugreifen“, hatte die deutsche Botschaft in Washington zuvor vom Berliner Auswärtigen Amt erbeten. Schließlich hob der Supreme Court unter dem Druck der internationalen Protestbewegung am 1.April 1935 das Urteil auf, da zur ursprünglichen Verhandlung keine afroamerikanischen Schöffen zugelassen waren. In dem immer wieder hinausgezögerten Berufungsverfahren wurden die Todesstrafen zuerst in langjährige Haftstrafen bis zu 99 Jahren umgewandelt. 1950 kamen die letzten „Scottsboro-Boys“ frei.


An die Traditionen und Erfahrungen der Roten Hilfe in den 1920er und 30er Jahren können wir heute anknüpfen, wenn wir für das Leben und die Freiheit von politischen Gefangenen wie dem in den USA zum Tode verurteilten afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu Jamal oder die revolutionären Gefangenen in den türkischen Gefängnissen kämpfen.


Nick Brauns


Zum Weiterlesen:

Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Pahl-Rugenstein-Verlag Bonn 2003.


aus: Die Rote Hilfe 4.2005