junge Welt 01.04.2008 / Ausland / Seite 7
Gerade noch hatte der türkische
Ministerpräsident Tayyip Erdogan den für Mai angesetzten
Baubeginn des Ilisu-Großstaudamms am Oberlauf des Tigris als
Herzstück der wirtschaftlichen Förderung der kurdischen
Landesteile angepriesen. Doch jetzt stehen dem Projekt massive
Verzögerungen bevor – und vielleicht sogar das Scheitern.
Grund dafür ist ein im März veröffentlichter Bericht
eines im Auftrage der deutschen, Schweizer und österreichischen
Exportkreditagenturen (ECAs) tätigen Expertengremiums, der
erhebliche Mängel bei der Umsetzung von Auflagen in den
Bereichen Soziales, Ökologie und Kultur nachweist. Von der
Erfüllung dieser 153 Auflagen hatten die Regierungen
Deutschlands, Österreichs und der Schweiz die Vergabe von
Exportrisikogarantien in Höhe von etwa einer halben Milliarde
Euro an Firmen im Ilisu-Konsortium wie dem deutschen Baukonzern
Züblin und dem österreichischen Maschinenbauer Andritz
abhängig gemacht.
Für die Bewohner des Tigris-Tals
ist der Expertenbericht ein Hoffnungsschimmer. Sie glauben nicht, daß
der Dammbau der Entwicklung des Landes dient, sondern befürchten
weitere Vertreibungen der kurdischen Bevölkerung und die
Zerstörung ihres kulturellen Erbes. Zudem räumte der
Gouverneur der Provinz Batman, Recep Kizilcik, gegenüber
Reportern der Financial Times politische Gründe für den Bau
ein. Dieser sei »aus Sicherheitserwägungen” für
die Regierung »sehr wichtig«. Durch die Aufstauung des
Tigris sollen Verbindungswege von kurdischen Guerillakämpfern
abgeschnitten und Höhlen, die ihnen als Unterschlupf dienen,
überflutet werden. Zudem ließe sich der benachbarte Irak
durch eine Drosselung des Wasserzuflusses unter Druck setzen –
etwa in der Frage kurdischer Autonomierechte.
Auch der
bisherige Planungstand scheint eher dürftig. So war die Türkei
bislang nicht dazu in der Lage, die Zahl der von Umsiedlung
betroffenen Menschen aus 199 Dörfern und der Kleinstadt
Hasankeyf zu ermitteln. Nach Schätzungen des Expertengremiums
droht 65000 statt – wie angenommen –55000 Menschen die
Vertreibung und Vernichtung ihrer Existenzgrundlage als Bauern. Da
die Regierung bis heute kein neues Farmland für diese Menschen
gesucht hat, bleibt ihnen nur der Gang in die Elendsviertel
nahegelegener Großstädte wie Batman und Diyarbakir. Und
dort herrscht eine Arbeitslosenrate von über 60 Prozent.
Allein um die Umsiedlungen zu planen und zu bewältigen,
müßten 250 Personen mindestens zwei Jahre intensiv
arbeiten, bis es zum Baubeginn kommen könnte, meint das
Expertengremium. Doch die türkische Regierung begann bereits im
Herbst 2007 mit Enteignungen in Dörfern um den Bauplatz herum.
Weiterhin kritisiert der Bericht, daß die ökologischen
Auswirkungen einer Aufstauung des Tigris bislang nicht erforscht
wurden. Zur Rettung einiger antiker Monumente aus der 9000 Jahre
alten Stadt Hasankeyf durch einen archäologischen Park habe die
türkische Regierung nicht einmal einen Projektplan vorlegen
können.
Die Vergabe der Hermes-Bürgschaften müsse
unverzüglich gestoppt werden, wenn sich herausstelle, daß
der Staudamm nicht internationalen Kriterien entspreche, erklärte
nun die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, nach Vorlage des Berichts. Bei einem
Treffen mit der türkischen Wasserbaubehörde DSI vergangene
Woche in Ankara haben die ECAs der Türkei Aufschub bis Anfang
Mai gewährt. Bis dahin müssen »Maßnahmen und
Termine zur Umsetzung von Schlüsselaufgaben festgelegt sein«,
erklärte der Chef der Österreichischen Kreditbank, Rudolf
Scholten.
»Der Expertenbericht hat unsere Kritik
bestätigt«, meint dagegen der Wasserbauingenieur Ercan
Ayboga von der internationalen »Kampagne zur Rettung von
Hasankeyf« gegenüber junge Welt. »Dieses Projekt
kann nicht durch Auflagen verbessert werde. Es muß sofort
gestoppt werden«