Aus: junge Welt vom 21.01.2015,
Seite 6 / Ausland
Kampf der Eliten
Türkische Regierung geht gegen Gülen-Anhänger im
Sicherheitsapparat vor. Polizeichef wegen Mordes an Hrant
Dink verhaftet
Von Nick
Brauns
Die
türkische Regierung hat am gestrigen Dienstag in 21 Provinzen die
Polizeipräsidenten abgesetzt und durch neue ersetzt. Die geschassten Spitzenbeamten
stehen im Verdacht, dem Netzwerk des Predigers Fethullah
Gülen anzugehören. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu
und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
beschuldigen die bis vor anderthalb Jahren mit ihnen verbündete Gülen-Gemeinde,
einen Parallelstaat errichtet zu haben und den Sturz der AKP-Regierung zu
betreiben. Die Gülen-Anhänger hatten Jahrzehnte lang systematisch Polizei und
Justiz unterwandert und ihren Einfluss während ihres Bündnisses mit der AKP zur
willkürlichen Verfolgung und Diffamierung von laizistischen Gegnern genutzt.
Nach dem Bruch mit Erdoğan Ende 2013 sieht sich
dieser jetzt selber von solchen Methoden betroffen. Innerhalb eines Jahres
hatte die Regierung im Kampf gegen die »Parallelstruktur« sämtliche
Provinzpolizeipräsidien des Landes zum Teil mehrfach neu besetzt. Zudem wurden
über 10.000 weiteren Sicherheitsbeamten andere Posten zugewiesen. Vergangene
Woche hatte die inzwischen unter den Einfluss der Erdoğan-Anhänger
geratene Oberste Justizaufsichtsbehörde HSYK zudem rund 1.000 Richter und
Staatsanwälte versetzen lassen.
In Ankara
und vier weiteren Provinzen kam es am Dienstag zudem zu Polizeirazzien gegen
mutmaßliche Gülen-Anhänger. Mindestens 19 Angestellte der
Telekommunikationsbehörde und des staatlichen Wissenschafts- und
Technikforschungsrates TÜBITAK wurden verhaftet. Gegen die Vizevorsitzenden der
beiden Behörden wurden ebenfalls Haftbefehle erlassen. Ihnen werden illegale
Abhöraktionen gegen Erdoğan vorgeworfen. So
waren nach Beginn eines auf Gülen-nahe Staatsanwälte zurückgehenden
Korruptionsermittlungsverfahrens gegen hochrangige AKP-Politiker im Dezember
2013 Aufnahmen eines Telefonats veröffentlicht worden, in dem Erdoğan seinen Sohn Bilal anwies, große Mengen Bargeld
aus dem Haus zu schaffen. Erdoğan hatte diese
Aufnahmen als manipuliert bezeichnet. Ein Twitter-Nutzer
mit dem Pseudonym Fuad Avni hatte bereits am Montag vor Razzien in den beiden
Behörden gewarnt. Der Informant, bei dem es sich um einen Gülen-Anhänger aus Erdoğans Umfeld handeln soll, hatte schon mehrfach vor
Razzien gewarnt.
Bereits am
Montag war der Polizeichef der kurdischen Stadt Cizre,
Ercan Demir, verhaftet worden. Ihm wird eine Verwicklung in die Ermordung des
armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink vor acht Jahren in Istanbul vorgeworfen. Zuvor hatte
der zu rund 23 Jahren Haft verurteilte Mörder Ogün Samast, ein Anhänger der faschistischen »Großen
Einheitspartei« (BBP), mehrere als Gülen-Anhänger geltende Polizisten
beschuldigt, die Bluttat gedeckt zu haben. Der jetzt verhaftete Demir war zum
Zeitpunkt von Dinks Ermordung Chef des
Polizeinachrichtendienstes in Trabzon, der Heimatstadt des damals noch
minderjährigen Mörders Samast. Demir war erst zu
Beginn des Jahres zum Polizeichef von Cizre ernannt
worden, nachdem dort bei Angriffen von Polizei und Paramilitärs der
islamistischen Hüda-Partei auf selbstverwaltete
Stadtviertel drei Menschen getötet worden waren.
Obwohl Demir
der von der linken Partei der Demokratischen Regionen (DPB) gestellten
Stadtverwaltung von Cizre zusicherte, keine
willkürlichen Razzien mehr vorzunehmen, wurden in den letzten zwei Wochen bei
Polizeiübergriffen ein zwölf- und ein 14jähriger Junge erschossen sowie ein
Mann durch unbekannte Täter getötet. Sowohl der inhaftierte Vorsitzende der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, als auch Innenminister Efkan Âlâ warnten – bezogen auf die Vorgänge in Cizre – vor »Provokationen«, die den schwierigen kurdischen
Friedensprozess belasten könnten. Dass die AKP-Regierung ausgerechnet Demir an
einen Brennpunkt wie Cizre schickte, erscheint dabei
als Versuch, die Schuld für die dortigen Auseinandersetzungen auf die
Gülen-Bewegung zu schieben. Die PKK erklärte daher auch, dass allein »der
AKP-Staat und seine Parallelstruktur Hüda Par« die
Verantwortung für die Toten von Cizre trage.