Junge Welt 17.10.2009 / Geschichte / Seite 15

Klarheit vor Einheit

Vor 90 Jahren: Richtungskampf auf dem Heidelberger Parteitag der KPD

Von Nick Brauns

Als der Kreis um Rosa Luxemburg daranging, eine revolutionäre marxistische Gruppe im deutschen Proletariat zu bilden, fand er, bei dem Mangel einer jeden revolutionären Tradition in der deutschen Arbeiterschaft, nur wenige Anhänger. Wer sich ihnen anschloß, waren vielfach solche verbitterten Utopisten, die meinten, daß die Theorie der Spartakusleute mit ihren eigenen wilden Gefühlen übereinstimmten. In Wirklichkeit hatte die Führung des Spartakusbundes theoretisch und praktisch mit der Mehrzahl ihrer Anhänger gar nichts gemein«, weist der Historiker und ehemalige kommunistische Reichstagsabgeordnete Arthur Rosenberg auf einen Geburtsfehler der zum Jahreswechsel 1918/19 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) hin.

Die linken Utopisten verwarfen aus Prinzip jede Beteiligung an bürgerlichen Parlamentswahlen ebenso wie die revolutionäre Arbeit innerhalb der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften. Gegen den Widerstand von Rosa Luxemburg hatte der Gründungsparteitag der KPD diese Positionen übernommen. Damit hatte sich die neue Partei nicht nur bei der Wahl zur Nationalversammlung (19.1.1919) von der Mehrheit der noch nicht vom Rätesystem überzeugten Arbeiterschaft isoliert, die nun ihre Stimmen den so­zialdemokratischen Parteien gab. Die Beschlüsse verhinderten auch eine Vereinigung mit den Revolutionären Obleuten. Diese in den großen Metallbetrieben verankerten radikalen Gewerkschafter, die bei der Mobilisierung der Arbeiter während der Novemberrevolution die zentrale Rolle gespielt hatten, verblieben angesichts der Gewerkschaftsfeindlichkeit der KPD-Mehrheit vorerst auf dem linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD).

»Reinigung« der Partei

Die utopistische Strömung in der KPD lehnte den straffen Zentralismus der Partei, der allein eine einheitliche Wirksamkeit sichern konnte, zugunsten eies föderalistischen Konzepts ab. Sie stellte die Notwendigkeit einer Avantgardepartei in Frage und wollte eine politisch-gewerkschaftliche Allgemeine Arbeiterunion zum Träger der revolutionären Bewegung machen. Stark beeinflußt war die syndikalistisch-rätekommunistische Opposition mit ihren führenden Köpfen Fritz Wolffheim und Heinrich Laufenberg aus Hamburg, Otto Rühle aus Dresden sowie Karl Schröder und Friedrich Wendel aus Berlin von den holländischen Theoretikern Anton Pannekoek und Hermann Gorter.

In der Phase des offenen Bürgerkriegs bis zum Frühsommer 1919 waren die Differenzen innerhalb der KPD zurückgetreten. Doch als nicht mehr die Eroberung der Macht als unmittelbare Aufgabe auf der Tagesordnung stand, sondern das Schwergewicht auf die Gewinnung der Massen gelegt werden mußte, brachen die widersprüchlichen Auffassungen zwischen dem Zentralkomitee und der Opposition voll auf. Eine Mitte August abgehaltene Reichskonferenz in Frankfurt am Main vertagte die Entscheidung über die Strategie und Taktik auf den kommenden Parteitag.

Die Delegierten des zweiten Parteitages der KPD mußten aufgrund der Illegalität der Partei zwischen dem 20. und 23. Oktober mehrfach ihren Tagungsort zwischen der Wachenburg an der Bergstraße, Heidelberg, Mannheim und dem Dilsberg am Neckar wechseln. Der Parteivorsitzende Paul Levi, ehemaliger Anwalt und Gefährte Rosa Luxemburgs, rechnete mit der »syndikalistischen Krankheit« und putschistischen Auffassungen ab. »Ein Irrweg war der Glaube, ein paar stürmende Vortruppen des Proletariats könnten das Werk des Proletariats vollenden. Berlin und Leipig, Halle und Erfurt, Bremen und München haben diesen Putschismus durch die Tat widerlegt und haben gezeigt: nur die gesamte Klasse der Proletarier in Stadt und Land kann die politische Macht (...) gewinnen.«

Die KPD-Zentrale legte dem Parteitag Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik, Parlamentarismus und die Gewerkschaftsfrage vor, von deren Anerkennung in These 8 ausdrücklich die Mitgliedschaft in der KPD abhängig gemacht wurde. So betrieb Levi zielgerichtet die – wie er es in einem Artikel nannte – »Reinigung« der Partei von den ultralinken Utopisten.

In den Thesen hieß es, daß die KPD zwar im Kampf um eine klassenlose Gesellschaft den Parlamentarismus als Instrument bürgerlicher Klassenherrschaft grundsätzlich ablehne. Dagegen müsse bei der Vorbereitung des Machtkampfes auch jedes kleine Mittel der Einwirkung auf das Proletariat benutzt werden – einschließlich des Parlamentarismus. Es handle sich dabei um eine rein taktische Frage, denn keinesfalls könne die politische Macht durch das Parlament gewonnen werden. »Nur die großen Aktionen der Massen – Demonstrationen, Massenstreik, Aufstand –bringen die Entscheidung. Die Teilnahme an parlamentarischer Wahl und Tätigkeit dient allein dem Ziel, jene Aktion agitatorisch und organisatorisch vorzubereiten.« Die Leitsätze verpflichteten Kommunisten zur Frak­tionsarbeit innerhalb der reformistischen Massengewerkschaften, denn »die Herausnahme der vorgeschrittensten Elemente aus dem gewerkschaftlichen Heerhaufen des Proletariats lähmt und unterbindet die Schlagkraft der Massen, nimmt aus ihnen den Gärstoff und hemmt so den Ausbruch und die Durchführung revolutionärer Massenkämpfe überhaupt«.

Mit geschärften Waffen

Mit 31 zu 18 Stimmen bestätigten die Delegierten die Leitsätze. Die Opposition wurde vom Parteitag ausgeschlossen. In den auf den Parteitag folgenden Auseinandersetzungen sollte sich allerdings zeigen, daß diese die Stimmung einer Mehrheit der Parteimitgliedschaft repräsentierte. Anfang Oktober zählte die KPD rund 107 000 Mitglieder, von denen nun über die Hälfte die Partei verließ, so daß etwa in Berlin von etwa 10000 gerade einmal einige Dutzend eingeschriebene Mitglieder verblieben. Angesichts der Lähmung der KPD-Strukturen erinnerte die Zentrale die verbliebenen Mitglieder daran, »daß die Stärke der Partei nicht in erster Linie abhängt von der Mitgliederzahl, sondern davon, daß die Mitglieder auch den Sinn und Geist des Kommunismus erfaßt haben. (...) Es gilt jetzt, mit den geschärften geistigen Waffen, mit neuem Mut ans Werk zu gehen.« Mit der Klärung entscheidender Fragen kommunistischer Strategie und Taktik hatte die KPD die Weichen für die Vereinigung mit dem linken Mehrheitsflügel der USPD und den Revolutionären Obleuten im Oktober 1920 gestellt, durch die sie erst zur proletarischen Massenpartei wurde.

Die ausgetretenen Utopisten gründeten im April 1920 die rätekommunistisch ausgerichtete Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die während des Aufstandes im mitteldeutschen Industrierevier im März 1921 noch eine wichtige Rolle spielte, dann aber rapide an Bedeutung verlor und zersplitterte. Während ehemalige Parteiführer wie Laufenberg und Wolffheim zu Nationalbolschewisten wurden oder sich wie Karl Schröder der SPD anschlossen, überwanden zahlreiche von den revolutionären Phrasen vorübergehend geblendete Arbeiter diese »Kinderkrankheit« – wie Lenin den linken Radikalismus nannte – und fanden zur KPD zurück.

Aus den »Leitsätzen über die Gewerkschaftsfrage«

Die Tatsache, daß die Gewerkschaften heute zu einem Werkzeug der Bourgeoisie und der Gegenrevolution geworden sind, ist keine Organisationsfrage. Sie ist lediglich das Widerspiel der Tatsache, daß das Proletariat in seinen weiten Schichten sich über seine Klassenlage und über die Mittel zu deren Änderung, kurzum über Wesen und Ziel der Revolu­tion, noch nicht im klaren ist. Diese Änderung der geistigen Konstitution des Proletariats (...) kann vielmehr nur durchgeführt werden einerseits durch unermüdliche Agitation und Aufklärung in den Massen und innerhalb ihrer Organisation, andererseits aber – und im wesentlichen – durch die praktische Schule des Kampfes, des wirtschaftlichen Kampfes gegen das Unternehmertum – in dem die Gewerkschaftsbürokratie immer ausgesprochener auf der Seite des Kapitals stehen wird – als auch des organisatorischen Kampfes gegen die Gewerkschaftsbürokratie selbst. Diese Aufgabe und dieser Kampf können nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn die Mitglieder der KPD in engster Fühlung mit diesen Massen bleiben und nicht davonlaufen. Die KPD sieht aber im Einzelaustritt einen individuellen Akt, der mit Rücksicht auf die verbleibenden Massen sehr schädlich wirken kann. (...) Die KPD empfiehlt daher, den Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie aufzunehmen mit dem Ziele, die konterrevolutionäre Gewerkschaftsbürokratie von den Massen zu isolieren. Zu diesem Zwecke schließen sich die Kommunisten innerhalb der Ortszahlstellen fraktionsmäßig zusammen und führen den Kampf mit ihr innerhalb und, wenn es sein muß, außerhalb der Gewerkschaft.

 

 

* aus: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. VII/1, Berlin/DDR 1966, 138 f.