Junge Welt 02.03.2009 / Politisches Buch / Seite 15

Politischer Generalstab

Protokolle, Reden und ein Porträt von Lenin: Ein neuer Dokumentenband über den Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale

Von Nick Brauns

Rechtzeitig zum 90. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Internationale hat das deutsch-russische Historikerteam Wladislaw Hedeler und Alexander Vatlin einen voluminösen Dokumentenband über deren Gründungskongreß unter dem Titel »Die Weltpartei aus Moskau« vorgelegt. Im Unterschied zu den deutschsprachigen Ausgaben von 1920/21 sowie der 1933 publizierten russischsprachigen Veröffentlichung der Kongreßprotokolle werden hier sämtliche auf dem Kongreß in Moskau 1919 gehaltenen Reden, Berichte sowie angenommenen Erklärungen und Beschlüsse dokumentiert. Dazu kommen Übersetzungen aus dem Russischen sowie im Russischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (RGASPI) in Moskau neuentdeckte deutschsprachige Ausarbeitungen von Delegierten und Organisatoren der Konferenz.

Nach dem Ausbruch der Revolu­tion in Deutschland im November 1918 hatte der Führer der siegreichen russischen Bolschewiki, W. I. Lenin, auf die schnelle Gründung einer neuen, kommunistischen Internationale gedrängt, da sozialdemokratische Parteien wie die britische Labour Party darangingen, die zu Kriegsbeginn 1914 auseinandergeflogene zweite Internationale wiederherzustellen. Zwischen den Bolschewiki und den westlichen Sozialdemokraten begann ein Wettlauf um den Einfluß auf die internationale Arbeiterbewegung.

Parteienföderation

»Die Gefallenen Liebknecht und Luxemburg ehren durch Erheben« vermerkt ein handschriftliches Protokoll als ersten Punkt nach der Konferenzeröffnung durch Lenin am 2. März 1919 in Moskau. Die Bolschewiki betrachteten die deutschen Kommunisten als wichtigste Verbündete. Doch die Führer der KPD lehnten wie die ermordete Rosa Luxemburg die Gründung einer neuen Internationale zu einem Zeitpunkt, an dem in kaum einem Land eine kommunistische Partei existierte, als verfrüht ab. »Wir wollen jetzt nicht schon an die Gründung der neuen Internationale gehen, sondern wir wollen auf einer Vorkonferenz erst die Kräfte prüfen, die vorhanden sind, die politischen Grundlagen, auf denen wir uns vereinigen können, übersehen«, rechtfertigte der deutsche Delegierte Hugo Eberlein diesen Standpunkt unter Verweis auf das Mißtrauen der Arbeiter in Europa nach der Erfahrung mit dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale im Krieg. »Die Arbeiter wollen nicht, daß hier wieder eine pompöse Gründung vor sich geht, daß hier wieder Papierresolutionen gefaßt werden. Sie wollen zuerst wissen, wer zu ihnen steht, wer hinter uns steht, sie wollen wissen, auf wen sie sich verlassen können in den kommenden Kämpfen.«

Folgerichtig enthielt sich der mit einem imperativen Mandat der KPD ausgestattete Eberlein der Stimme, als die Delegierten am 4.März 1919 beschlossen, sich von einer Konferenz kommunistischer Parteien in den Ersten Kongreß der Kommunistischen Internationale zu verwandeln. Die Bedenken der deutschen Kommunisten waren berechtigt. Mit Ausnahme der deutschen und russischen Delegierten vertraten die Konferenzteilnehmer aus 29 Ländern meist unbedeutende marxistische Splittergruppen. Doch aus ihren Beiträgen sprach der Optimismus, mit Sowjetrußland als leuchtendem Vorbild im Rücken bald die Mehrheit der Arbeiterklasse in ihren Ländern für sich zu gewinnen. Einige sahen in der geplanten Internationale schon keine Parteienföderation mehr, sondern eine Union sozialistischer Sowjetrepubliken nach dem Sieg der Weltrevolution.

Fotos und Reprints

Die Schlüsselstellung, die der sozialistischen Revolution in Deutschland eingeräumt wurde, wird auch dadurch deutlich, daß Deutsch die offizielle Sprache des Kongresses war. So erklärte der französische Delegierte Sadoul, daß er bloß die französische Sprache beherrsche , »die leider wenigstens augenblicklich als Sprache der Revolution von einst bezeichnet werden muß«. Er entschuldigte sich, »daß ich weder deutsch, die Sprache des internationalen Sozialismus (...) noch russisch, die Sprache, welche morgen schon diejenige des internationalen Kommunismus sein wird, spreche«. Mit Blick auf die weitere Entwicklung der Kommunistischen Internationale waren das durchaus prophetische Worte.

Der Kongreß nahm als Gründungsdokument das von Leo Trotzki verfaßte »Manifest der kommunistischen Internationale an das Proletariat der ganzen Welt« an. Dieses endete mit dem Appell: »Die sozialistische Kritik hat die bürgerliche Weltordnung genügend gebrandmarkt. Die Aufgabe der internationalen kommunistischen Partei besteht darin, diese Ordnung umzustürzen und an ihrer Stelle das Gebäude der sozialistischen Ordnung zu errichten. (...) Unter dem Banner der Arbeiterräte, des revolutionären Kampfes für die Macht und die Diktatur des Proletariats, unter dem Banner der Dritten Internationale, Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!«

Der mit einer ausführlichen Einleitung über die Vorbereitung der Gründungskonferenz versehene Dokumentenband enthält zahlreiche Fotos und Reprints der zum Teil handschriftlichen Dokumente. So beweist ein im Archiv neu gefundener Entwurf des Gründungsaufrufs zur Konferenz, daß dieser von Nikolaj Bucharin und nicht wie bislang angenommen von Leo Trotzki verfaßt wurde. Auf die letzte Seite des handschriftlichen Entwurfs hatte Bucharin noch ein Porträt von Lenin gekritzelt.

Es ist den Herausgebern gelungen, 46 von 55 Personen zu identifizieren, die ein zum Abschluß des Kongresses im Kreml aufgenommenes Foto zeigt. Damit wurde die zu Beginn ihrer Forschungen von Vatlin und Hedeler aufgeworfene Frage »Wer gründete die Komintern« weitgehend beantwortet. 76 Kurzbiographien von Delegierten, Teilnehmern, Mitarbeitern und Gästen schließen den mit fast 100 Euro leider nur für wenige erschwinglichen Band.

Wer nur die politischen Erklärungen und Resolutionen des Kongresses nachlesen will, kann dies dagegen kostenlos im Internet machen, wo der 1921 von der Komintern veröffentlichte Protokollband der Gründungskonferenz seit einiger Zeit in digitaler Form zugänglich gemacht wurde: www.sinistra.net/komintern/index.html.

Wladislaw Hedeler /Alexander Vatlin (Hg.): Die Weltpartei aus Moskau - Der Gründungskongreß der Kommunistische Internationale 1919. Akademie Verlag, Berlin 2008, 520 Seiten, 98 Euro