junge Welt 12.11.2007 / Thema / Seite 10
Willkommen im Luxus« begrüßen Plakate die
Reisenden auf dem International Airport nahe der Hauptstadt Erbil der
Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Es ist Werbung für
das »American Village – die exklusivsten Villen in
Kurdistan« mit einer typisch amerikanischen Reihenhaussiedlung
vor den kurdischen Bergen. Die Region präsentiert sich gerne als
der andere Irak.
Überall wehen die kurdischen
rot-weiß-grünen Fahnen mit der gelben Sonne, während
die irakische Fahne nirgends zu finden ist. Die von Bagdad weitgehend
unabhängige Region Kurdistan besteht aus den drei an die Türkei
und den Iran grenzenden Provinzen Erbil, Sulaimania und Dohuk, die
bereits seit dem Volksaufstand Ende des Golfkrieges 1991 unter
kurdischer Kontrolle stehen, nachdem der UN-Sicherheitsrat eine
Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades ausrief. Bis
heute wird die westliche Hälfte Kurdistans von der konservativen
Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) unter ihrem Führer Masud
Barzani kontrolliert, während der Osten der eher
sozialdemokratisch orientierten Patriotischen Union Kurdistans (PUK)
des irakischen »Präsidenten« Jalal Talabani
untersteht. Diese seit dem Krieg 2003 eng mit der US-Besatzungsmacht
verbündeten Parteien hatten noch während der 90er Jahre
gegeneinander gekämpft. 2005 traten sie auf einer gemeinsamen
Liste zur Wahl des Regionalparlaments an und einigten sich im Mai
2006 auf eine Regionalregierung.
Über den Anschluß
der Provinz Kirkuk sowie weiterer kurdischer Siedlungsgebiete in den
nordirakischen Provinzen Ninewa (Mosul), Salahaddin und Diyala
an die kurdische Region soll laut Artikel 140 der irakischen
Verfassung in einem Referendum entschieden werden. Für die
Kurden wäre der Besitz der Ölfelder von Kirkuk die
wirtschaftliche Voraussetzung einer weitergehenden Unabhängigkeit.
Eben aus diesem Grund sieht die türkische Regierung eine
Angliederung Kirkuks an Kurdistan als Kriegsgrund. Während
kurdische Rückkehrer dort angesiedelte Araber wieder vertreiben,
versuchen arabische Widerstandsgruppen und Al-Qaida-nahe Terroristen,
unterstützt vom türkischen Geheimdienst, mit Anschlägen
das Referendum zu verhindern. Auf Druck der US-Besatzer wurde die für
Dezember geplante Abstimmung auf unbestimmte Zeit verschoben.
Schon auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt Erbil fallen die
vielen Baustellen auf. Neue Geschäftshäuser mit protzigen
Stahl- und Glasfronten säumen die Straßen. Gegenüber
dem historischen Basar ist eine Shoppingmall entstanden, daneben
überragen Kräne einen alten Friedhof. Bauherr eines neu
entstehenden Hotelkomplexes ist der Barzani-Clan. »Mit Gottes
Hilfe erbaut«, heißt es auf Schildern über dem
Eingang zahlreicher geschmackloser Villen mit Marmorverkleidung und
Säulenportalen. »Mit Barzanis Hilfe« wäre
ehrlicher. Präsident Barzani wird hinter vorgehaltener Hand als
»König von Kurdistan« tituliert. Sein Neffe
Nechirvan ist Premierminister und der reichste Mann der Region, eine
Art kurdischer Berlusconi. 17 Prozent des irakischen Staatshaushalts
und eigene Steuereinnahmen, zusammen rund acht Milliarden Dollar,
stehen der Regionalregierung zur Verfügung, doch da der Haushalt
nicht öffentlich ist, versickern diese Gelder in den Kassen der
Parteien.
Die Regierungsparteien KDP und PUK stellen eine
Mischung zwischen einer Stammeskonföderation und einem
klientelistischen Parteiapparat dar und haben die Region mit einem
finanziellen Patronagesystem überzogen. Über Nacht sind
hier ehemalige Flüchtlinge zu Millionären geworden. »Wenn
hier jemand zu Geld kommt, holt er sich zuerst eine jüngere
Zweitfrau, dann baut er eine Villa und eröffnet eine Firma«,
heißt es in den Kaffeehäusern. All diese Günstlinge
müssen mit Pöstchen versorgt werden. Die Folge ist eine
unglaublich aufgeblähte Bürokratie. Für eine einfache
Visumsverlängerung muß der Besucher bereits zehn Stationen
in der Meldestelle durchlaufen – von der Waffenkontrolle vor
dem Eingang bis zum abschließenden Stempel im Paß.
Bei
der Besetzung öffentlicher Ämter sind ehemalige
Kollaborateure des Baath-Regimes übernommen worden. Einstige
Widerstandskämpfer gehen dagegen oft leer aus. »Wir haben
unser Blut für die Freiheit Kurdistans gegeben, und die
Regierung füllt sich die Taschen«, klagt Fuad. Der
ehemalige Aktivist der Kommunistischen Jugend wurde Mitte der 80er
Jahre als 16jähriger im schon damals berüchtigten Gefängnis
Abu Ghraib gefoltert. Jetzt gehört er der »Gesellschaft
politischer Gefangener Kurdistans« an, die für eine
Entschädigung der rund 30000 während der Herrschaft der
Baath-Partei in Kurdistan inhaftierten Regimegegner kämpft. Zwar
gibt es ein entsprechendes Gesetz, doch bei der Vergabe von Geldern
zählt nur heutige parteipolitische Loyalität.
Ein funktionsfähiges Bankensystem existiert nicht. Euro und
Dollar müssen schwarz auf dem Basar bei Geldwechslern mit dicken
Bündeln von Banknoten unter dem Arm gegen irakische Dinar
getauscht werden. Der Bauboom überdeckt, daß praktisch
nichts in Kurdistan hergestellt wird. Fast alle Produkte des
täglichen Lebens müssen aus dem Ausland eingeführt
werden – selbst die auf dem Basar angebotenen schwarzen
Tschadors sind »Made in Korea«. Nach den
»Anfal-Operationen« des Baath-Regimes mit
Hunderttausenden Toten und Vertriebenen unter der kurdischen
Bevölkerung Iraks Ende der 80er Jahre lag die Landwirtschaft
brach. »Es sind fatale Folgen des Oil-for-Food-Programms
während des UN-Embargos gegen Irak, daß wir jetzt auf
Importe angewiesen sind. Damals hat es sich nicht gelohnt zu
produzieren, und die Leute haben das Arbeiten verlernt«,
beklagt der für die Öffentlichkeitsarbeit des
Regionalparlaments zuständige PUK-Abgeordnete Arez Abdulla.
Jetzt hofft er auf Investoren aus Europa und den USA, um das Land zu
entwickeln, aber auch als Schutzgarantie vor einem türkischen
Militäreinmarsch. Die ausländischen Firmen werden mit
weitreichender Steuer- und Zollfreiheit gelockt. »Die ganze
Welt kommt zum Klauen nach Kurdistan«, kritisiert Salam, ein
unabhängiger marxistischer Journalist aus Khanaqin den seit dem
US-Einmarsch über das Land hereingebrochenen Neoliberalismus.
»Mit billigen Mehlimporten soll unsere Landwirtschaft
strategisch zerstört werden, damit wir einmal wie Indien von
Gengetreide abhängig werden.« Nun macht sich Salam für
den Aufbau von Genossenschaften stark.
Ein erfolgreicher
deutscher Unternehmer in Kurdistan ist Gunter Völker. Der
ehemalige Bundeswehrsoldat hatte bereits im afghanischen Kabul ein
Lokal geführt. Im vergangenen Jahr eröffnete er im
christlichen Viertel Ainkawa von Erbil den »Deutschen Hof«.
Im kleinen Biergarten stehen Gartenzwerge neben Wasserpfeifen. Die
Speisekarte verzeichnet Thüringer Bratwürste aus
Lammfleisch und Wiener Schnitzel. Der »Deutsche Hof« ist
ein beliebter Treffpunkt ausländischer Journalisten, Söldner
und der Mitarbeiter einer der vielen Nichtregierungsorganisationen,
die alle das Attribut »demokratisch« im Namen führen.
Der Wirt lädt zum »Tag der Deutschen Einheit« und
zum Oktoberfest mit Blasmusik. Das deutsche Bier servieren aus
Eritrea stammende Bedienungen im bayerischen Dirndl.
Auffällig
sind die vielen ausländischen Arbeitskräfte. Am Flughafen
jobben Inder als Gepäckträger, im Park schleppen
Bangladescher Müll weg. »Ich bekomme 230 Dollar im Monat
und muß zwölf Stunden am Tag arbeiten«, erzählt
einer der Müllmänner. Untergebracht werden sie in
30-Betten-Schlafsälen. Viele Hotels beschäftigen aus
Sicherheitsgründen lieber Asiaten statt Einheimische.
Zu
den vier Millionen Einwohnern der Autonomieregion kommen über
740000 irakische Binnenflüchtlinge. Die Situation in ihren Camps
ist dramatisch. Im September brach die Cholera aus und verbreitete
sich bis nach Bagdad. Anstatt die schlechte hygienische Situation und
ungeklärt in die Flüsse geleitete Abwässer für
den Ausbruch der Armutskrankheit verantwortlich zu machen, gaben
viele Kurden pauschal »den Arabern« die Schuld.
Aufgrund
der Flüchtlingswelle ist die Arbeitslosigkeit in der ganzen
Region rapide angestiegen. Schätzungen gehen von 40 bis 60
Prozent aus. Die Lebenshaltungskosten haben das Niveau von Berlin
erreicht. Die Einkommen sind dagegen niedrig: Ein Lehrer verdient
rund 200 und ein Polizist 400 Dollar. »Ich kann mir das Leben
in Kurdistan einfach nicht mehr leisten«, erzählt Ibrahim.
Der ehemalige Offizier der irakischen Armee war 1995 nach Deutschland
geflohen und kehrte 2004 mit seiner Familie nach Erbil zurück,
um sich um seine kranke Mutter zu kümmern. Weil Ibrahims in
Deutschland geborene Kinder kein Kurdisch oder Arabisch können,
muß er monatlich mehrere hundert Dollar für
Privatschulunterricht ausgeben. »Hier gibt es keine
Krankenversicherung, ich bekomme kein Kindergeld, und bei einem Onkel
auf dem Basar verdiene ich nicht genug, um meine Familie zu
ernähren.« Jetzt denkt Ibrahim an Rückkehr nach
Deutschland.
Eine Zukunft im Irak sieht auch die Mehrzahl der
Studierenden nicht. »Bis zu 70 Prozent meiner Kommilitonen
wollen nach ihrem Abschluß nach Europa«, berichtet die
22jährige Rascha, die Medizin an der öffentlichen
Salahaddin-Universität in Erbil studiert. Auch immer mehr
ausländische Privatuniversitäten werden in Kurdistan
eröffnet. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die führenden
Funktionäre von KDP und PUK ihre Kinder auf amerikanische
Privatuniversitäten schicken. »In der Öffentlichkeit
geben sie sich als Patrioten, aber zu Hause wird nur noch englisch
gesprochen«, schimpft Ibrahim.
Von einem Unternehmer wurde in Erbil die größte Moschee
Kurdistans mit Platz für Tausende Gläubige eröffnet.
»Die stärkste Bedrohung für Kurdistan geht heute
nicht von den türkischen Panzern, sondern von der islamischen
Kolonisation aus«, warnt Nilüfer Koc, Vizepräsidentin
des aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangenen
Volkskongresses Kurdistan Kongra-Gel. Die in der Türkei geborene
und in Deutschland aufgewachsene Politikerin fällt in Erbil auf,
weil sie Hosen trägt und kein Kopftuch. Während des
islamischen Fastenmonats Ramadan sind sogar die Beamtinnen in den
Behörden verschleiert. »Die USA unterstützten die
Ausbreitung eines liberalen Islam nach dem Vorbild der türkischen
Regierungspartei AKP im ganzen Nahen Osten«, meint Nilüfer
Koc. Liberal bedeutet neoliberal in wirtschaftlicher Hinsicht. Schon
seit den 90er Jahren fließt »grünes Kapital«
islamischer Unternehmer aus der Türkei in den Nordirak. Ein
wichtiger Träger der Islamisierung Kurdistans ist die Bewegung
des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, der als ein
Vordenker der AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung,
gilt. Seiner Bewegung gehören Fernsehsender, die türkische
Tageszeitung Zaman, Industrieunternehmen, Banken, private
Universitäten und Schulen an. In der Region Kurdistan sind
Gülens Anhänger durch Moscheen und Privatschulen präsent.
Gelehrt wird nur in Türkisch und Englisch. Arabisch oder
Kurdisch stehen nicht auf dem Lehrplan. »In unserer Schule
herrscht Geschlechtertrennung. Unsere Lehrerinnen sehen es auch
gerne, wenn wir Kopftuch tragen«, berichtet die 17jährige
Sozan, die in Sulaimania auf ein »Private Isik College«
geht.
Deutlich verschlechtert hat sich seit dem Sturz Saddam
Husseins die Situation der Frauen. Fast täglich finden sich in
den Zeitungen Berichte von angeblichen Selbstverbrennungen junger
Frauen. In Wirklichkeit handelt es sich meist um sogenannte
Ehrenmorde, weil die Frauen außereheliche Beziehungen gehabt
haben sollen. Durch die Verbrennung der Leiche versuchen die Mörder
– in der Regel Brüder, Väter oder Ehemänner des
Opfers –, die Bluttat zu vertuschen. Heute drohen Frauen bei
Ehebruch drei bis acht Jahre Gefängnis, auf Prostitution stehen
ein bis acht Jahre. Für Männer sind diese Delikte nicht
strafbar. Fraktionsübergreifend kämpfen die mit einer Quote
von 25 Prozent im Regionalparlament vertretenen Frauen für ein
in der Verfassung verankertes bürgerliches Familienrecht, das
nicht auf der islamischen Scharia beruht.
Rote Fahnen mit Hammer und Sichel markieren selbst in kleineren Städten Büros der Kommunistischen Partei Kurdistans (KPK). Die 1993 gegründete Partei ist zugleich Teil der Irakischen Kommunistischen Partei. In der kurdischen Regionalregierung, die zu 90 Prozent von Ministern der beiden großen Parteien KDP und PUK beherrscht wird, sind die Kommunisten mit dem Minister für Telekommunikation vertreten. Dessen völlige Einflußlosigkeit zeigt schon die Tatsache, daß bis heute die zwei in Kurdistan vorhandenen Mobilfunknetze Asia und Korek – Eigentümer des einen ist die KDP und PUK der des anderen – nicht untereinander verbunden sind. »Wir sind zwar in der Regierung, aber wir regieren nicht«, meint Pakhschan Abdullah Zangana, Mitglied im Politbüro und eine von drei kommunistischen Abgeordneten im 111köpfigen Regionalparlament. »Der Regierungsbeitritt ist eine taktische Entscheidung für eine Wahlperiode angesichts der Bedrohung Kurdistans durch Terrorismus und den wachsenden Einfluß des Islam.« Die auf Druck von US-Besatzern, Weltbank und IWF betriebene Privatisierung ehemaligen Staatseigentums kann die KPK nicht verhindern. Gleichzeitig bindet sich die einzige relevante linke Kraft durch den Regierungsbeitritt die Hände. Die Partei greift in ihrem Radiosender Azadi (Freiheit) zwar die Nöte der Bevölkerung auf. Sie initiiert wegen der häufigen Stromausfälle Protestdelegationen aus den Stadtvierteln zur Regierung und sammelt Unterschriften für höhere Fahrgelder für Lehrer in ländlichen Gebieten. Doch direkte Kritik an »König Barzani« kann die KPK nicht äußern. Selbst finanziell hat sich der Regierungsbeitritt nicht ausgezahlt. Die KPK mußte ihren Fernsehsender aus Geldmangel schließen. Ob es die Bevölkerung den Kommunisten einmal danken wird, daß sich diese im Unterschied zu den anderen Parteien nicht schamlos bereichert haben, wird sich zeigen.
Hohe Mauern aus Fertigbetonelementen zum Schutz vor
Sprengstoffanschlägen umgeben staatliche Gebäude oder auch
das Sheraton-Hotel, in dessen Lobby sich dubiose Geschäftsleute,
korrupte Politiker und Nachrichtendienste aus aller Welt tummeln. Von
außen sind die Mauern bunt bemalt mit Folkloremotiven oder
Parolen von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Die
Sicherheitsmaßnahmen sind nicht grundlos. Wenn auch die
kurdische Region nicht mit den anderen Teilen des Irak zu vergleichen
ist, gab es hier bereits verheerende Anschläge. Am 1. Februar
2004 töteten in Erbil Selbstmordattentäter bei Angriffen
auf kurdische Parteibüros 109 Menschen, und am 9. Mai 2007
starben 19 Menschen bei einem Anschlag auf das Innenministerium.
Seitdem ist es Tanklastwagen tagsüber verboten, in die
Innenstadt von Erbil zu fahren. Vor jedem öffentlichen Gebäude
stehen Bewaffnete. Nicht nur Peschmerga-Kämpfer der KDP oder der
PUK, und Polizei sind mit Kalaschnikows ausgerüstet, auch in
vielen Privathaushalten finden sich Waffen. An den Eingängen zu
den zwei großen Stadtparks, in denen Wasserpfeifencafés,
Theater und Konzertbühnen zur Erholung einladen, müssen die
Pistolen abgegeben werden. Ihre Besitzer erhalten wie an einer
Theatergarderobe ein Billett. Peschmerga kontrollieren außerhalb
der Städte alle zehn Kilometer an Checkpoints den Verkehr.
Reisende, die für Araber gehalten werden, müssen mit
Schikanen rechnen.
Während US-Truppen in den umkämpften
Städten Mosul und Kirkuk allgegenwärtig sind, sieht man
innerhalb des von der Regionalregierung kontrollierten Gebiets kaum
US-Soldaten. Zu den Konvois müssen 100 Meter Abstand gehalten
werden, fordern Warnschilder. Sonst kann geschossen werden. Immer
wieder fallen martialisch auftretende Söldner in schweren
Geländewagen ohne Nummernschild auf. »Wir sind den
Amerikanern dankbar, daß sie Saddam gestürzt haben, aber
es war ein Fehler, daß sie danach im Land geblieben sind.«
Diese häufig geäußerte Meinung ist typisch für
das gespaltene Verhältnis vieler Kurden zu den Besatzern.
Beliebt sind die arrogant auftretenden Amerikaner nicht. Eher werden
sie als notwendiges Übel betrachtet angesichts der
Einmarschdrohungen der Türkei und dem Beschuß von
Grenzgebieten durch die iranische Armee. Einen sofortigen Abzug der
Besatzer, wie es der irakische Widerstand zu seiner Hauptlosung
gemacht hat, fordert keine kurdische Partei. Die Kommunistische
Partei will statt dessen einen Zeitplan für einen
Truppenrückzug. »Der Irak muß seine Unabhängigkeit
durch einen schrittweisen Truppenabzug erhalten«, meint
Pakhschan. Zuerst sollten die US-Soldaten auf den Straßen durch
irakisches Militär ersetzt werden, das mit schweren Waffen
aufgerüstet werden muß, um die Sicherheit und den Schutz
der Grenzen zu garantieren. Ziel sei dann ein föderativer Irak
mit einem Bundesland Kurdistan. KDP und PUK befürworten dagegen
eine langfristige US-Präsenz in Kurdistan als
Sicherheitsgarantie auch nach einem Abzug der Besatzer aus den
anderen Landesteilen.
Daß auch Kurdistan besetztes
Gebiet ist, wurde deutlich, als eine US-Spezialeinheit im September
ohne Konsultation der Regionalregierung den iranische Geschäftsmann
Mahmudi Farhadi in Sulaimania verschleppte, weil dieser angeblich als
Offizier der iranischen Revolutionsgarden irakische
Widerstandsgruppen mit Waffen versorgte. Trotz der Proteste der
Regionalregierung gegen das Kidnapping reagierte Teheran mit einer
mehrtägigen Grenzschließung, die nach Auskunft des
kurdischen Handelsministers Mohammad Rauf Einbußen von einer
Million Dollar am Tag bedeutete. Bereits im Januar hatten
US-Soldaten, ebenfalls ohne Einverständnis der kurdischen
Regierung, vier iranische Diplomaten in Erbil verschleppt.
Noch
hält der äußere Druck aus der Türkei und den
arabischen Nachbarn die fragile Einheit der Kräfte in der Region
Kurdistan aufrecht. Doch der Zusammenprall von feudalen Strukturen
mit einem ungebremsten Neoliberalismus erzeugt ein explosives
Gemisch. Unzufriedenheit über Korruption und Vetternwirtschaft,
Wut über unverschämte Bereicherung einzelner bei
zunehmendem sozialen Elend, die Ernüchterung über die
oligarchische Scheindemokratie von Amerikas Gnaden sind
allgegenwärtig. Zu Protesten kam es bislang kaum. Vielfach ist
Angst zu spüren. Nicht ohne Grund, schließlich beklagt
Amnesty International in den kurdischen Gebieten des Irak
Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Festnahmen,
Inhaftierungen ohne Anklageerhebung, exzessiven Einsatz von Gewalt
gegen Demonstranten und die Beschneidung des Rechts auf freie
Meinungsäußerung. Eine soziale Explosion ist nur noch eine
Frage der Zeit. Doch solange die Kommunistische Partei in einer
Volksfront mit den korrupten bürgerlichen Regierungsparteien
gefangen bleibt und ihrer Verantwortung nicht nachkommt, werden davon
nur die Islamisten profitieren.