Junge Welt 04.05.2012
/ Thema / Seite 10
Kampf um Selbstbestimmung
Hintergrund. Syriens Kurden kommt eine Schlüsselrolle
für die Zukunft des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes zu
Von Nick
Brauns
Hier ist
Kurdistan« – unter dieser Parole demonstrierten in den letzten Wochen
Zehntausende Kurden in Syrien für die Anerkennung ihrer Rechte. Ihr Protest
richtete sich nicht nur gegen das Baath-Regime in Damaskus, sondern auch gegen
den vom Westen als einzige Opposition anerkannten »Syrischen Nationalrat«
(SNR). Dessen Vorsitzender Burhan Ghaliun hatte zuvor
behauptet, es gäbe gar kein »Syrisch-Kurdistan«.1 Die für den 7. Mai
angesetzten Wahlen zum Syrischen Nationalrat wird die kurdische Opposition wie
schon das Verfassungsreferendum im Februar boykottieren. Denn auch die neue
Verfassung schließt auf regionaler oder konfessioneller Grundlage basierende
Parteien von einer Wahlteilnahme aus. Für die weitere Entwicklung des vom
Bürgerkrieg zerrissenen Landes kommt den zwischen zwei und vier Millionen
syrischen Kurden als zweitgrößter Ethnie unter den 20 Millionen Einwohnern eine
Schlüsselrolle zu.
Die meisten Kurden leben in Nordsyrien in einem Streifen von der
Mittelmeerküste entlang der Grenze zur Türkei bis hinunter zur
syrisch-irakischen Grenze. Ihre Hauptsiedlungsgebiete sind dabei auf die
Enklaven ’Afrin, ’Ain al-’Arab
(Kobani) sowie die Dschazira
in der Provinz Al-Hasaka verteilt. Größte Stadt in
der Region ist mit rund 400000 zu zwei Dritteln kurdischen Einwohnern das nur
durch die Grenzbefestigungen von Nusaybin auf
türkischer Seite getrennte Al-Qamischli. Auch in der
Hauptstadt Damaskus leben mindestens 100000 Kurden. Die fruchtbaren kurdischen
Gebiete bilden die Kornkammer Syriens. Zudem finden sich hier die einzigen
Erdölquellen des Landes.
Geschichte des Konflikts
Die heutige
Situation in Syrien hat ihre Wurzeln in der imperialistischen Politik während
des Ersten Weltkrieges. Die auf das Sykes-Picot-Abkommen zur Aufteilung der Einflußsphären im Nahen Osten zwischen Frankreich und
Großbritannien im Jahr 1916 zurückgehende syrisch-türkische Grenze wurde in den
20er Jahren von der damaligen französischen Mandatsmacht mitten durch die
kurdischen Siedlungsgebiete gezogen. Aufgrund der in den 20er Jahren
einsetzenden Zwangstürkisierung flohen eine Reihe
kurdischer Stämme aus der Türkei in das französische Mandatsgebiet, wo die
Militärverwaltung sie in den neugegründeten Städten Al-Hasaka
und Al-Qamischli ansiedelte. Beeinflußt
von der kurdischen Nationalvereinigung Xoybun
(»Selbst-Sein«) bildete sich in den 30er Jahren eine Autonomiebewegung in der Dschazira. 1946 wurde Syrien nach dem Rückzug der
französischen Truppen unabhängig, ohne daß
Autonomierechte fixiert worden waren. 1957 gründeten kurdische Nationalisten
und ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei Syriens die sich anfänglich
als antiimperialistisch definierende und für ein vereinigtes Kurdistan
eintretende Kurdische Demokratische Partei Syriens (KDPS). Angesichts des vom Mollah Mustafa Barzani im benachbarten Irak angeführten
kurdischen Partisanenkampfes befürchteten syrische Politiker ein Übergreifen
»separatistischer Bestrebungen«. Nach einer außerordentlichen Volkszählung im
Oktober 1962 wurden rund 120000 angeblich aus Nachbarländern eingewanderte
Kurden per Dekret des Staatspräsidenten ausgebürgert. Sie und ihre Nachfahren –
geschätzt bis zu 225000 Menschen – hatten als »Staatenlose« keine Möglichkeit,
Anstellung im öffentlichen Dienst zu bekommen, ihnen wurden subventionierte
Grundnahrungsmittel vorenthalten, sie durften keine Immobilien oder
Produktionsmittel besitzen und nicht ins Ausland reisen. 1963 wurde die KDPS
mit der Begründung verboten, eine Partei feudaler Großgrundbesitzer zu sein. In
einer Denkschrift warnte der baathistische
Sicherheitschef von Al-Hasaka, General Muhammad Talab
Hilal, mit antisemitischem Ton: »Judastan und
Kurdistan sind von derselben Art«. Der General forderte die Vertreibung der
Kurden ins Landesinnere durch gezielte wirtschaftliche Vernachlässigung der
kurdischen Landesteile bei gleichzeitiger Ansiedlung arabischer Siedler.
Entsprechend dieser Vorgaben begann die Regierung ab 1973 mit der Bildung eines
»Arabischen Gürtels« durch die Ansiedlung von 25000 arabischen Familien entlang
der Grenze zur Türkei. Unter Hafiz Al-Assad (Präsident von 1971 bis 2000)
erhielt der arabische Nationalismus in der »Syrisch-Arabischen Republik«
Verfassungsrang, der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache wurden durch
Dekrete kriminalisiert und noch 1998 über 200 Dörfer umbenannt. Doch
gleichzeitig unterstütze Assad aus außenpolitischen Erwägungen kurdische
Parteien in der Türkei und dem Irak. Das Baath-Regime hielt ab 1980 seine
schützende Hand über die gegen den türkischen Staat kämpfende Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK). Deren Vorsitzender Abdullah Öcalan lebte in Damaskus, und
seine Partei unterhielt Ausbildungslager in der syrisch kontrollierten Bekaa-Ebene im Libanon. Die PKK diente als Trumpfkarte
gegenüber der Türkei, mit der Syrien territoriale Streitigkeiten um die
Mittelmeerprovinz Hatay sowie die durch türkische
Staudämme an Euphrat und Tigris bedrohte Wasserversorgung hat.
Um nationale Bestrebungen der syrischen Kurden gegen die Türkei zu
kanalisieren, wurden diese vom Baath-Regime regelrecht gedrängt, sich der PKK
anzuschließen, so daß diese laut türkischen
Geheimdienstanalysen in den 90er Jahren ein Viertel der Guerillakämpfer
stellten. Doch nachdem Ankara im Oktober 1998 offen mit Krieg drohte, Panzer an
der Grenze und NATO-Kriegsschiffe im Mittelmeer auffuhren, konnte Damaskus dem
Druck nicht länger standhalten. Öcalan mußte sein
langjähriges Gastland verlassen, seine Flucht endete im Februar 1999 mit der
Verschleppung durch den türkischen Geheimdienst aus Kenia auf die
Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Im
Adana-Abkommen erkannte Syrien die PKK nun als terroristische Organisation an
und verpflichtete sich, deren Tätigkeit auf syrischem Territorium zu
unterbinden. In der Folge wurden ihre Mitglieder an die Türkei ausgeliefert.
Anhänger der 2003 gegründeten syrisch-kurdischen Schwesterorganisation der PKK,
der Partei der Demokratischen Union (PYD), wurden mit besonderer Härte
verfolgt. Andere wie die sozialdemokratisch orientierte kurdische
Einheitspartei Yekiti füllten die so entstandene
Lücke und klagten zunehmend lauter nationale Rechte in Syrien ein. Ermutigt
wurden die syrischen Kurden durch die Existenz der unter US-Schutz im Nordirak
gebildeten kurdischen Autonomieregion nach dem Sturz von Saddam Hussein. Ein
durch Übergriffe arabisch-nationalistischer Fußballfans der Mannschaft Al-Fatwa
auf kurdische Al-Dschihad-Fans in Al-Qamischli
provozierter Aufstand im März 2004, bei dem über 30 Kurden von
Sicherheitskräften getötet wurden, ging als »kurdisches Erwachen« in die
Geschichte ein. In den folgenden Jahren wurden mehrfach kurdische Proteste von
Sicherheitskräften attackiert und Aktivisten verschleppt, gefoltert und
ermordet.
Regime macht Zugeständnisse
Als im Zuge
des »arabischen Frühlings« 2012 die Aufstandsbewegung
auch auf Syrien übergriff, blieb es ausgerechnet in den kurdischen
Landesteilen, die jahrelang die Speerspitze der Proteste gegen das Baath-Regime
gebildet hatten, vergleichsweise ruhig. Die Regierung hatte sich dieses
anfängliche Stillhalten mit Zugeständnissen erkauft. So war am 26. März 2011
das der weiteren Arabisierung durch die Enteignung kurdischer Grundbesitzer im
Grenzgebiet dienende »Dekret 49« aus dem Jahre 2008 zurückgenommen worden. Am
7. April 2011 verfügte Präsident Baschar Al-Assad die
Einbürgerung von rund 200000 in Folge der Volkszählung von 1962 ausgebürgerten
Kurden und ihren Nachfahren, wobei allerdings Zehntausende nichtregistrierte
Staatenlose weiterhin nicht berücksichtigt wurden. Während Sicherheitskräfte
gegen Oppositionskräfte in anderen Landesteilen mit Härte vorgingen, hielten
sie sich in den kurdischen Landesteilen nun zurück. Doch auch die kurdischen
Parteien zögerten, sich mit der von religiösen Kräften dominierten arabischen
Opposition zu vereinigen. Sie befürchteten, unter einem stärker islamisch
orientierten Regime nur vom Regen in die Traufe zu geraten.
Die Mehrzahl der im Augenblick 17 kurdischen Parteien hat ihre Wurzeln in der
1957 gegründeten Kurdischen Demokratischen Partei Syriens, und sie
unterscheiden sich programmatisch kaum voneinander. Schon aufgrund der
Geographie Westkurdistans mit voneinander getrennten Enklaven und fehlender
gebirgiger Rückzugsgebiete tritt keine der Parteien für einen Partisanenkampf
wie in anderen Teilen Kurdistans ein. Auch Unabhängigkeit oder den Zusammenschluß mit den kurdischen Gebieten der
Nachbarländer stehen nicht auf der Agenda. Statt dessen
fordern nahezu alle von ihnen eine Demokratisierung Syriens,
verfassungsrechtliche Anerkennung des kurdischen Volkes als zweiter Nation und
Selbstverwaltungsrechte für die kurdisch besiedelten Landesteile bei Wahrung
der territorialen Integrität Syriens. Differenzen bestehen vor allem im
Verhältnis zur arabischen Opposition und damit zur Frage einer ausländischen
Intervention.
Fast alle syrisch-kurdischen Parteien mit Ausnahme der PKK-Schwester PYD und
der im Syrischen Nationalrat vertretenen Kurdischen Zukunftsbewegung gehören
der Ende Oktober 2011 gebildeten Kurdischen Patriotischen Konferenz (KPK) an,
der außerdem Jugend- und Koordinationsgruppen sowie unabhängige
Persönlichkeiten beigetreten sind. Ziel der KPK, deren Delegierte sich anfangs
noch gegen die Forderung nach einem Sturz Assads
ausgesprochen hatten, ist es, gegenüber der arabischen Opposition mit einer
Stimme zu verhandeln. Nur wenige Parteien wie die Yekiti
und die Azadi haben innerhalb Syriens tatsächlich Einfluß. Streitigkeiten ihrer Führer machen das Bündnis
schwerfällig, Basisarbeit in der Bevölkerung findet aufgrund geringer
Personaldichte kaum statt. Die Jugendlichen, die die Masse der Demonstranten
bilden, fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. »Die Kurdische Patriotische
Konferenz ist nicht mehr als ein Name«, klagt ein Jugendaktivist aus Al-Qamischli über fehlende Arbeit vor Ort.2 Schirmherr und
Finanzier der KPK ist der Präsident der kurdischen Regionalregierung im
Nordirak, Massoud Barzani. Als Generalsekretär der KPK fungiert der Vorsitzende
des syrischen Ablegers von Barzanis Kurdischer Demokratischer Partei (KDP),
Abdul Hakim Bashar. Auch ein militärisches Ausbildungsprogramm
für syrische Kurden soll im Nordirak angelaufen sein. Sein Einfluß
auf Teile der syrischen Kurden macht den lange als »Terrorunterstützer«
geschmähten kurdischen Präsidenten für die türkische Regierung so interessant, daß sie Barzani am 20. April mit allen staatsmännischen
Ehren in Ankara empfing.
Demokratischer Sozialismus
Mit
Besorgnis registriert Ankara das rapide Anwachsen der PYD im Grenzgebiet zur
Türkei. Hatte diese anfangs nur in ’Afrin Masseneinfluß,
so stellt sie inzwischen auch in der Dschazira und Kobani eine maßgebliche Kraft dar, wie selbst ihre Kritiker
bestätigen. »Die PYD wird immer beliebter, das müssen wir anerkennen, auch,
wenn wir politisch unterschiedlicher Meinung sind und die PYD nicht unterstützen«,
bestätigt ein 31jähriger Aktivist der »Bewegung der Jugend in Westen« aus Al-Qamischli, der sich Azad Muhiyuddin
nennt, im Interview mit der Menschenrechtsorganisation Kurdwatch.
»Die PYD hat aktive Komitees gegründet, die überall präsent sind. Ihre
Mitglieder schlichten bei Auseinandersetzungen. Sie nehmen Diebe fest. Sie
kümmern sich um Kranke oder Verletzte.«3
Lange lautete ein Vorwurf an die PYD, daß diese
lediglich eine auf die Türkei bezogene Politik mache. »Sie zeigen, daß sie eine kurdische Partei sind, die sich für die
Interessen der Bevölkerung einsetzt«, meint dagegen Azad. Anstelle der Losung
des Regimesturzes tritt die PYD für einen Systemwechsel ein. »Unser Ziel ist
die Bildung einer neuen kurdischen Gesellschaft, die Bildung eines freien
Menschen, eines Menschen mit freiem Willen und freiem Denken«4, erklärt der
Parteivorsitzende Salih Muslim Muhammad. In ihrem Parteiprogramm bekennt sich
die auch in der Organisierung von Frauen hervorstechende PYD zum
»Demokratischen Sozialismus«. Ihr Leitfaden für die Schaffung einer
»demokratischen Selbstverwaltung« durch Rätestrukturen ist die Philosophie
Abdullah Öcalans. Rund eine Viertelmillion Menschen beteiligten sich nach
PYD-Angaben Ende letzten Jahres an den Wahlen zu einem »Volksrat
von Westkurdistan«. In seinem Programm bekennt sich dieser Rat zur
»Unterstützung der friedlichen und demokratischen Volksbewegung, die einen
radikalen Wandel der Struktur und der Institutionen des politischen Systems
anstrebt«, und erklärt zugleich die Verhinderung und Zurückweisung
»ausländischer Einmischung und Interventionsversuche« zum Ziel.
Offenbar hat die PYD inzwischen ihre Reihen durch über 1000 militärisch
ausgebildete PKK-Mitglieder aus nordirakischen Guerillacamps verstärkt, die nun
Checkpoints auf dem Land errichtet haben und zum Schutz der Bevölkerung
bewaffnet in Guerillakleidung durch die Städte patrouillieren. Während die PYD
die Bevölkerung auf die Übernahme der Verantwortung in den kurdischen
Landesteilen im Falle eines Sturzes der Baath-Herrschaft vorbereitet, sehen
türkische und deutsche Medien die PKK »im Dienste des Diktators« (Tagesschau)
und warnen vor einer Ablösung der »Baath-Diktatur durch eine PKK-Diktatur« (Jungle World). Tatsächlich waren noch im letzten Jahr auf
manchen Demonstrationen der PYD neben Bildern von Öcalan auch solche des
syrischen Präsidenten Assad zu sehen. Und der Fernsehsender Al-Dschasira
präsentierte kürzlich ein Papier der Baath-Partei, in dem vorgeschlagen wurde,
regierungskritische Proteste in den kurdisch bewohnten Landesteilen nicht
mithilfe regulärer Sicherheitskräfte sondern in Kooperation mit der PKK zu
unterdrücken. Nach Meldungen der Menschenrechtsorganisation Kurdwatch
soll die PYD vor allem in ihrer Hochburg ’Afrin regimekritische Demonstrationen
und politische Gegner bedroht, entführt und sogar getötet haben. Einige
Kritiker sehen die PYD so hinter der Ermordung des Vorsitzenden der Kurdischen
Zukunftspartei, Meschaal Tammo,
im Oktober letzten Jahres, während PYD-Politiker den türkischen Geheimdienst
beschuldigen.
Unter Anführung der von Sicherheitskräften getöteten oder inhaftierten
PYD-Aktivisten weist unterdessen der – nach Öcalan – oberste PKK-Führer Murat Karayilan Anschuldigen einer Kooperation seiner Bewegung
mit dem Baath-Regime als türkische Lügenkampagne zurück. So versuche Ankara,
mehr Unterstützung der USA gegen die kurdische Befreiungsbewegung zu erhalten
und eine Intervention in Syrien vorzubereiten. Zwischen Assad und den Kurden
herrsche allerdings seit Beginn des Aufruhrs eine »stillschweigende
Übereinkunft«, wonach der Staat die Kurden nicht zu einer besonderen
Zielscheibe erkläre.5 Die PYD ist ihrerseits bemüht, Provokationen durch
unerfahrene junge Demonstranten etwa durch bewaffnete Angriffe auf
Sicherheitskräfte zu unterbinden. »Eine offene Konfrontation mit der Diktatur
wäre ein Desaster«, erklärte der PYD-Vorsitzende Muhammad. »Unser Volk würde
ein Angriffsziel nicht nur für die Armee, sondern auch für die Milizen
arabischer Siedler in unseren Provinzen werden.«6
Unbedingt müsse ein Umschlagen der Proteste in einen ethnischen Konflikt
vermieden werden. Mitte Februar einigten sich Führungsmitglieder der PYD und
der KPK darauf, Konflikte untereinander ausschließlich friedlich lösen zu
wollen. Auch zwischen den Sicherheitskomitees der Jugendbewegung und der PYD in
den Stadtvierteln gibt es inzwischen eine Kooperation. Demonstrationen von PYD,
KPK und Jugendgruppen verlaufen allerdings weiterhin getrennt.
Die PYD gehört dem aus sozialistischen, laizistischen und
arabisch-nationalistischen Parteien gebildeten Oppositionsbündnis Nationaler Zusammenschluß der Kräfte des Demokratischen Wandels
(NZKDW) an, dessen Grundprinzipien in einem dreifachen »Nein« zu
konfessioneller Spaltung, ausländischer Einmischung und Gewalt im Land
bestehen. Auf einer außerordentlichen Konferenz am 14. April in Paris
versicherte dieses Oppositionsbündnis auf Druck der PYD, sich internationalen
Konventionen entsprechend und im Rahmen der nationalen Einheit Syriens für eine
verfassungsrechtliche Anerkennung der Rechte des kurdischen Volkes sowie eine
demokratische Lösung der kurdischen Frage einzusetzen.
Dagegen ist eine von der Türkei und den USA über Vermittlung Barzanis versuchte
Einigung der Kurdischen Patriotischen Konferenz mit der prowestlichen
Opposition bislang nicht zustande gekommen. Zwar müsse das »Recht auf kurdischsprachige Erziehung und die Entwicklung der
kurdischen Kultur und Literatur als zweiter Kultur in Syrien« gewährt werden.
Doch Forderungen nach einem föderalistischen Modell würden als Wunsch nach
Abspaltung interpretiert, hatte der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates Ghaliun diesbezügliche Bestrebungen zurückgewiesen.7
Vertreter der PYD vermuten ein antikurdisches Abkommen zwischen den im
Nationalrat dominierenden Moslembrüdern und der islamisch-konservativen
AKP-Regierung in Ankara. »Die türkische Regierung unterstützt die bewaffnete
Opposition, benutzt die Moslembrüder als Schutzschild und möchte so die
Regierung in Syrien übernehmen, um so die Kurden ohne Rechte zu lassen«8, faßt der Fernsehjournalist Tariq Hamo zusammen.
Gegen äußere Einmischung
Die regierungsnahe türkische
Tageszeitung Today’s Zaman meldete am 27. April unter
Berufung auf »örtliche Quellen« Auseinandersetzungen zwischen der von
türkischem Territorium aus operierenden und von den Golfmonarchien finanzierten
Freien Syrischen Armee und PYD-Milizen. Unterdessen wird in der Türkei über die
Errichtung einer Pufferzone entlang der syrischen Grenze debattiert. Als
Rechtfertigung für einen Einmarsch wird neben »humanitären« Gründen der Bruch
des gegen die PKK-gerichteten Adana-Paktes durch Syrien angeführt.
Die Arbeiterpartei Kurdistans lehne zwar ausländische Interventionen aus
Prinzip ab, denn »wir befürworten die Revolutionen, die durch die Eigendynamik
der Völker zustande kommen«, erklärte PKK-Führungsfunktionär Karayilan bezüglich solcher Drohungen. Doch werde die PKK
»im Streit zwischen zwei kolonialistischen Staaten keine Partei ergreifen«.
Sollte die türkische Armee allerdings in die kurdischen Landesteile
einmarschieren, »wird das gesamte Kurdistan zum Kriegsgebiet erklärt«, drohte Karayilan eine Ausweitung des bewaffneten Kampfes der PKK
in der Türkei an. Eine Lösung des »kurdischen Knotens« bleibt damit eine
zentrale Voraussetzung für eine eigenständige, friedliche und demokratische
Entwicklung nicht nur Syriens, sondern des ganzen Nahen Ostens.
Anmerkungen
1 Interview mit der irakisch-kurdischen Zeitschrift Rudaw,
16.4.2012
2 Interview mit Azad Muhiyuddin auf www.Kurdwatch.de, 21.März
2012
3 Ebda.
4 Interview mit Salih Muslim Muhammad auf www.Kurdwatch.de, 8. November 2011
5 Interview mit Murat Karayilan,
Firatnews Agency 29. März 2012
6 kurdistantribune.com/2011/pyd-yes-democratic-change-no-foreign-interference/
7 Rudaw, 16.4.2012
8 Yeni Özgür Politika, 28.4.2015
9 Firatnews Agency 29. März 2012