Junge Welt 24.03.2012
/ Geschichte / Seite 15
Soldaten der Revolution
Vor 140 Jahren: Der Hochverratsprozeß
gegen die Sozialdemokraten August Bebel und Wilhelm Liebknecht
Von Nick
Brauns
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Ich bin nicht ein Verschwörer von
Profession, nicht ein fahrender Landsknecht der Konspiration. Nennen Sie mich
meinethalben einen Soldaten der Revolution. Ein zwiefaches Ideal hat mir von
Jugend an vorgeschwebt: das freie und ideale Deutschland und die Emanzipation
des arbeitenden Volkes.« – Mit diesem Worten wies der
führende Kopf der deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, im März 1872
vor einem Leipziger Geschworenengericht den Vorwurf des Hochverrats zurück.
Mitangeklagt waren der damals einzige Reichstagsabgeordnete der 1869 in
Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), August Bebel,
sowie der Redakteur ihres Zentralorgans Der Volksstaat, Adolf Hepner.
Otto von Bismarck hatte persönlich bei der Eröffnungsfeier des ersten deutschen
Reichstags am 23. März 1871 auf diesen Prozeß
gedrängt. Der Reichskanzler hatte Bebel und Liebknecht ihre
internationalistische Haltung während des Krieges gegen Frankreich und ihre
Solidarität mit der Pariser Kommune nicht verziehen.
Parteiische Justiz
So hatten die beiden Abgeordneten 1870 im Parlament des Norddeutschen Bundes
die Zustimmung zu den Kriegskrediten verweigert und einen Frieden »unter
Verzichtleistung auf jede Annexion französischen Gebietes« gefordert. Diese
Position hatte Tumulte im Parlament und tätliche Angriffe auf Liebknecht auf
der Straße ausgelöst und schließlich am 17. Dezember 1870 zur Verhaftung von
Bebel, Liebknecht und Hepner geführt. Da den
Angeklagten der unterstellte Landesverrat nicht nachzuweisen war, kamen diese
aufgrund öffentlichen Drucks nach der Reichstagswahl und Bebels Einzug ins
Parlament im März 1871 wieder frei. Auch ein Prozeß
gegen den Redakteur der Tageszeitung Braunschweiger Volksfreund, Wilhelm
Bracke, und drei weitere Sozialdemokraten, die im September 1870 auf Weisung
des Militärs rechtswidrig auf die ostpreußische Festung Boyen
bei Lötzen verschleppt worden waren, erwies sich als
Fiasko für die Behörden.
Nach dem offenkundigen Versagen der sich an geltendes Recht haltenden
Berufsjuristen bei der Bekämpfung der Sozialdemokratie setzte Bismarck nun auf
bürgerliche Geschworene, um die Führung der SDAP dennoch hinter Gitter zu
bringen. Da der Krieg beendet war, entfiel der Vorwurf des Landesverrats. Die
Staatsanwaltschaft plädierte statt dessen auf eine
Verurteilung wegen »vorbereitender Handlungen zum Hochverrat«. Der zweiwöchige Prozeß begann am 11. März 1872 vor dem Königlichen Bezirksgericht
Leipzig.
Den mehrheitlich aus Kaufleuten und Gutsbesitzern zusammengesetzten
Geschworenen lagen rund 140 schriftliche »Beweisstücke« zur Begutachtung vor,
darunter Briefe, Reden, Zeitungsausschnitte, Programme und Broschüren seit dem
Jahr 1848, die nicht nur von den Angeklagten, sondern auch von deren
Gesinnungsgenossen und sogar politischen Gegnern verfaßt
worden waren. Bebel, Hepner und Liebknecht bestritten
die Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzes der bestehenden Verfassung zur
Errichtung des sozialistischen Volksstaates. Die Bestrebungen der Partei seien
allein darauf gerichtet, das Volk von der Richtigkeit der sozialdemokratischen
Prinzipien zu überzeugen, um eine Mehrheit zu gewinnen. »Wir wollen
revolutionär nur in dem Sinne sein, daß die soziale
Frage nicht mit Palliativmitteln, nicht mit Suppenküchen und Konsumvereinen
gelöst werden kann, sondern nur durch radikale Heilmittel«, erläuterte Liebknecht
die sozialdemokratischen Auffassungen. Ob diese Lösung »im Wege der Reform oder
Revolution« stattfinde, hänge davon ab, inwieweit der Staat auf die
»berechtigten« Forderungen der Sozialdemokratie eingehe. »Es ist ganz unnütz,
uns darüber belehren zu wollen, was Revolution ist. Es kommt lediglich darauf
an, was das Gesetz unter Revolution versteht«, konterte Gerichtspräsident von
Mücke. Der laut Bebel »im Gegensatz zu seinem Namen herkulisch gebaute Mann,
der Hände wie ein Fleischer und eine so niedere Stirn besaß, daß man sich erstaunt fragte, wo in jenem Kopf das Gehirn
saß«, führte die Verhandlung auf eine so offen parteiische Weise, daß selbst die liberale Presse protestierte.
Es gelang dem Gericht nicht, aus der Vielzahl der vorgelegten Beweisstücke
einen konkreten Anklagegrund herauszuarbeiten. So leitete Staatsanwalt Hoffmann
die Schuld der Angeklagten »aus der Zusammenwirkung sämtlicher Artikel, in
Verbindung mit anderen Tatsachen« ab. Die notwendige Mindestzahl von acht der
zwölf Geschworenen fand sich am 26. März bereit, aufgrund dieser tendenziösen
Beweisführung Liebknecht und Bebel schuldig zu sprechen. Das Urteil lautete auf
je zwei Jahre Festungshaft unter Anrechnung von zwei Monaten Untersuchungshaft.
Hepner wurde freigesprochen. Die Verurteilten
bewiesen wahren Galgenhumor, als sie am Abend der Urteilsverkündung mit ihren
Anwälten Otto und Bernhard Freytag, ihren Ehefrauen und Genossen in der
berühmten Leipziger Gaststätte »Auerbachs Keller« mit Wein auf ihren
moralischen Sieg anstießen.
Tribüne der Agitation
Tatsächlich war auch dieser Prozeß trotz der
Verurteilung zu einer Niederlage des Bismarck-Staates geworden. Denn indem sie
den Gerichtssaal zur Tribüne revolutionärer Agitation gemacht hatten, konnten Liebknecht
und Bebel die sozialistische Weltanschauung legal vor einem großen Publikum
ausbreiten. Die sozialdemokratische Presse verbreitete das Prozeßprotokoll
in ganz Deutschland. War das »Kommunistische Manifest« von Karl Marx und
Friedrich Engels aus dem Jahr 1848 bislang weiten Kreisen der Arbeiterschaft
noch unbekannt, so konnte dieses zentrale Dokument des wissenschaftlichen
Sozialismus nun völlig legal in großer Auflage verbreitet werden, da es ja von
der Staatsanwaltschaft offiziell zu Protokoll gegeben worden war.
»Bürgerliche Geschworene haben uns verurteilt, wo Juristen und Richter von Fach
keine Schuld zu finden vermochten«, erklärten Bebel und Liebknecht nach ihrer
Verurteilung in einem Aufruf im Volksstaat. »Wir werden die uns zuerkannte
›Strafe‹ zu tragen wissen. An euch, Parteigenossen, ist es nun, auf das Urteil
zu antworten, indem Ihr Eure Anstrengungen für die Ausbreitung der Partei
verdoppelt.« Am 15. Juni trat Liebknecht seine Strafe
in der Festung Hubertusburg in Wermsdorf an. August
Bebel, der in einem weiteren Prozeß aufgrund einer
Rede neun zusätzliche Monate Gefängnis wegen »Majestätsbeleidigung« erhalten
hatte, folgte ihm am 8. Juli nach. Zusätzlich war Bebel das Reichstagsmandat
aberkannt worden. Doch die Bevölkerung in seinem sächsischen Wahlkreis
Glauchau-Meerane antwortete auf ihre Weise auf diesen Akt der Klassenjustiz.
Bei der Nachwahl am 20. Januar 1873 errang Bebel bereits im ersten Wahlgang mit
einem deutlichen Zugewinn von 3000 Stimmen erneut ein Reichstagsmandat.
Quelle: »Unsere Partei wird leben, wachsen und
siegen.«
Durch die Behauptung des Präsidenten
von Mücke, daß wir nach Veröffentlichung des
Wahrspruchs bloß über die Höhe des Strafmaßes reden dürften, wurden wir gestern
verhindert, folgende Erklärung abzugeben: Der Wahrspruch der Herren
Geschworenen ist nicht wahr. Was wir gewollt und getan, haben wir ohne Hehl
bekannt; ein hochverräterisches Unternehmen im Sinn des Strafgesetzbuchs haben
wir nicht vorbereitet. Wenn wir schuldig sind, ist jede Partei schuldig, die
nicht gerade am Ruder ist. Indem man uns verurteilt, ächtet man die freie
Meinungsäußerung.
Durch Ihren Wahrspruch, meine Herren Geschworenen, haben Sie im Namen der
herrschenden Klasse die Gewalttat von Lötzen
sanktioniert und der Reaktion einen Freibrief in blanko ausgestellt. Uns
persönlich ist das Resultat gleichgültig. Dieser Prozeß
hat so unendlich viel für die Verbreitung unserer Prinzipien gewirkt, daß wir gern die paar Jahre
Gefängnis hinnehmen, die – falls Rechtskraft eintritt – über uns verhängt
werden können. Die Sozialdemokratie steht über dem Bericht eines
Schwurgerichts. Unsere Partei wird leben, wachsen und siegen. Wohl aber haben
Sie, meine Herren Geschworenen, durch Ihr Verdikt das Todesurteil gefällt über
das Institut der heutigen Schwurgerichte, die ausschließlich aus der
besitzenden Klasse gebildet, nichts sind als Mittel der Klassenherrschaft und
Klassenunterdrückung.
Wilhelm Liebknecht, August Bebel: »Zu unserer
Verurteilung«, in: Der Volksstaat, Nr. 26 vom 30. März 1872