junge Welt vom 09.07.2005

 

Wochenendbeilage

Ein linientreuer Rebell

Max Hoelz’ Tagebücher aus der Sowjetunion

Nick Brauns

 

Deutscher Robin Hood oder mitteldeutscher Bandenführer – unter diesen Namen war Max Hoelz bekannt geworden. Als Vorsitzender des Falkensteiner Arbeiterrates hatte er 1920 Gelder reicher Fabrikanten an die Bevölkerung verteilt und bei den Märzkämpfen 1921 einen Arbeiterpartisanentrupp angeführt. Für einen Mord, den er nicht begangen hatte, wurde er zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt, das er 1928 nach einer erfolgreichen Kampagne der Roten Hilfe verlassen konnte. Aus einer ursprünglich für zwei Monate geplanten Erholungsreise in die Sowjetunion wurden mehrere Jahre.

Dank der jetzt von Ulla Plener unter dem Titel »Max Hoelz: Ich grüße und küsse Dich – Rot Front!« herausgegebenen Tagebücher und Briefe, die Hoelz zwischen 1929 und seinem Tod 1933 in der Sowjetunion verfaßte, erhalten wir detaillierten Einblick in diese weithin unbekannte Phase seines Lebens. Wir erleben den einstigen »Kesselheizer der Revolution« in den Jahren des großen Umbruchs während des ersten Fünfjahresplans (1928–33) als überzeugten Parteikommunisten, der energisch die Generallinie der KPdSU gegen »rechte« Abweichungen verteidigt.

Lob Stalins

Mit dem selben Eifer, den er einst beim Sprengen von Fabrikantenvillen an den Tag legte, stürzt sich Hoelz in Bergwerksschächte und agitiert unter Kolchosbauern. Er schwärmt von der Heiterkeit der Kinder in sowjetischen Waisenhäusern und dem »ausgewählten Material, Söhne von Arbeitern und Kleinbauern« in der Roten Armee. Die mit Stalins Revolution von oben verbundenen Härten, so Millionen Hungertote als Folge der Zwangskollektivierung, scheint er nicht zu sehen. »Die Kulaken als einheitliche Klasse sind zweifellos erledigt«, heißt es lapidar. Die Geheimpolizisten der GPU, deren Terror sich bereits gegen Kritiker innerhalb der Partei richtet, sind »Freunde«, die warme Ledermäntel für Hoelz und seine 17jährige Frau Ada beschaffen. Stalin sei »ein einfacher, natürlicher Bursche«, den man gern haben müsse, schreibt Hoelz nach einem Treffen mit dem Sowjetführer in dessen Feriendomizil Mazesta.

Auf eigenen Wunsch kommt Hoelz auf die Leninschule. Statt Wein und Zigaretten gibt es jetzt, wie er seinem Tagebuch detailliert anvertraut, Frühgymnastik und Politökonomie bis spät nachts.

Als Hoelz auf einer Agitationsreise in Deutschland im September 1930 bei einem SA-Überfall schwer verletzt wird, muß er die Leninschule abbrechen und läßt sich zu politischen Arbeiten unter ausländischen Spezialisten heranziehen, die zum Geldverdienst in die Sowjetunion gekommen waren. »Die Stimmung unter den Spezialisten ist keine gute. Sie leben vollkommen isoliert von den Sowjetarbeitern – und es wird fast keine politische und auch keine Kulturarbeit unter ihnen geleistet. Dadurch erhalten die faschistischen und sowjetfeindlichen Elemente unter ihnen freie Hand, die besseren Elemente zu zersetzen«, warnt Hoelz in Kusnezkstroj. Seine Verbesserungsvorschläge reichen von Blumenschmuck in den Wohnheimen und Musikabenden zur Senkung des Wodkagenusses bis zur Heranziehung der Frauen ausländischer Spezialisten zur Küchenarbeit. Um sein Russisch zu verbessern, meldet sich Hoelz als einziger Ausländer zur Schwerstarbeit im Bergwerksschacht von Temir-Tau.

Ein isolierter Kämpfer

Mit seinem Übereifer macht sich der temperamentvolle Hoelz nicht nur Freunde. Insbesondere die Vorsitzende der sowjetischen Roten Hilfe, Elena Stassowa, kann ihm nicht verzeihen, daß er sie bei der Zentralen Kontrollkommission der Partei angezeigt hat und legt ihm Steine in den Weg. Auf der Großbaustelle Kusnezkstroj kommt es 1932 zum Konflikt mit dem verantwortlichen Funktionär Rafail Chitarow, weil Hoelz harte – auf Parteibeschlüsse gestützte – Kritik an Schlampereien übt. Als linientreuer Rebell gerät er ins Räderwerk der Bürokratie. Neue Anschuldigungen vermischen sich mit alten Vorwürfen, Hoelz sei ein disziplinloser Anarchist. »Zur Zeit bin ich vielleicht der einzige Arbeitslose in der Sowjetunion«, klagt Hoelz im Januar 1933. Und an Stalin schreibt er: »Ein Jahr – ein ganzes Jahr lang – hier im Sowjetlande ohne Arbeit zu sitzen, das ist viel schlimmer und zermürbender als acht Jahre in den Zuchthäusern der Bourgeoisie zu vegetieren.« Schließlich dreht der zur Untätigkeit verdammte Tatmensch durch. Um ein Parteiverfahren zur Klärung der Vorwürfe zu erzwingen, verbarrikadiert er sich tagelang im Hotelzimmer. »Die letzten vier Patronen bleiben für mich, denn ich habe keine Lust, in die Hände meiner Freunde zu fallen, damit sie mich peinigen – um sich dann später zu entschuldigen: Es war ein Versehen.« Die GPU ließ ihn »wie einen Sowjetfeind bespitzeln«.

Auch in Deutschland will ihn die KPD-Führung nicht haben. »Du kannst mir meine Schuhe putzen«, hatte Thälmann arrogant entgegnet, als Hoelz fragte, ob er ihm helfen könne. Gegenüber sowjetischen Grenzern soll der KPD-Vorsitzende erklärt haben, Hoelz dürfe nicht nach Deutschland zurück, »denn sobald er über die Grenze ist, geht er zu unseren Feinden«.

Hoelz müsse lediglich seinen Größenwahn heilen, dann ließe sich ein Kreuz unter die ganze Angelegenheit machen, meinte die Stassowa. »Ich kann nicht glauben, daß ich irgendeine Neigung zu Größenwahn oder zu Selbstüberschätzung habe – weil mir im Innersten alle persönlichen Ehrungen, Auszeichnungen sowie überhaupt jede Hervorhebung und Bevorzugung meiner Person zuwider ist«, vertraut Hoelz, nach dem später Dutzende Fabriken in der UdSSR benannt werden sollten, seinem Tagebuch an.

Am 16. September 1933 zogen Fischer den Leichnam des als guten Schwimmer bekannten Hoelz aus der Oka. War es ein Unfall, ein Anschlag der GPU oder doch der Selbstmord des in einem kafkaesken Labyrinth gefangenen Hoelz? Max Hoelz’ Aufzeichnungen sind das erschütternde Dokument der Desillusionierung eines überzeugten Kommunisten, der bis an sein Lebensende ein Rebell blieb und darum im bürokratisch überformten Arbeiterstaat scheitern mußte.

* Ulla Plener (Hg.): Max Hoelz: »Ich grüße und küsse Dich – Rot Front!« Tagebücher und Briefe, Moskau 1929 bis 1933, dietz berlin 2005, 276 Seiten, 29,90 Euro (auch im jW-Shop erhältlich)

Quellentexte. Aus den Briefen von Max Hoelz:

Seit heute habe ich mein Zimmer von innen versperrt und werde keinen Menschen hereinlassen. Sobald jemand versuchen sollte, in das Zimmer einzudringen, schieße ich. (...)

Ich habe jetzt überhaupt keine Hoffnung mehr. Es ist gänzlich sinnlos, in dieser hoffnungslosen Situation noch länger zu verharren. Damit ist der Partei nicht gedient. Ich habe auch keine Lust, mir zum Vorwurf machen zu lassen, daß ich in dieser Lage einen verzweifelten Schritt ging. (Den Versuch, eventl. mit Hilfe unserer Todfeinde [der deutschen Botschaft] von hier wegzukommen.) Es würde sehr lehrreich für manchen Genossen in der Komintern sein, wenn die Komintern einmal eine Prüfung vornimmt – wie viele Kommunisten durch Intrigen und Treibereien gewisser Genossen zu verzweifelten Schritten getrieben wurden. Es ist unklug, wenn man nur die Genossen bestraft, die zu solchen verzweifelten Schritten getrieben werden – und nicht jene, die die Genossen dazu treiben.

(Aus einem Brief an Ossip Pjatnizki, Moskau, 8. Mai 1933)

Wieland, ich bin nur mit der Aktentasche bewaffnet nach hier gekommen, ohne Wäsche, ohne alles. Ich wollte nicht länger als 2 Monate hierbleiben. Die Dinge und Verhältnisse hier beobachte und betrachte ich äußerst kritisch. Mein bisheriger Eindruck ist folgender. Es gibt hier natürlich eine Menge Mängel und Unzulänglichkeiten, es ist noch längst nicht alles 100 Prozent, es gibt Dinge, über die der deutsche Spießer (auch Parteispießer) die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Aber alle diese Mängel verschwinden, sind kleinlich, unwichtig gegenüber dem Großen, dem Fortschrittlichen, das du hier überall siehst. (...)

Wieland, hier wird tatsächlich der Sozialismus aufgebaut. Und dieser Aufbau ist wirklich erfolgreich und siegreich, das spüre ich hier jeden Tag stärker. Ich würde nicht einen Tag länger hier bleiben, wenn dem nicht so wäre. Man muß dieses Sowjetrußland vergleichen mit dem, was früher war, erst dann kann man ermessen, welch eine ungeheure Wandlung, was für ein unerhört kühner Schritt zum Sozialismus hier gemacht worden ist.

(Aus einem Brief an Wieland Herzfelde, Moskau, 17. Dezember 1929)

 

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Ausdruck erstellt am 13.07.2005 um 13:27:09 Uhr

 

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