Aus: junge Welt vom 11.04.2018,
Seite 15 / Antifa
Ein Unersetzlicher
Zum Tod des Holocaustüberlebenden Martin Löwenberg
Von Nick
Brauns
»Es gibt
Menschen, die kämpfen einen Tag, und sie sind gut. Es gibt andere, die kämpfen
ein Jahr und sind besser. Es gibt Menschen, die kämpfen viele Jahre und sind
sehr gut. Aber es gibt Menschen, die kämpfen ihr Leben lang: Das sind die
Unersetzlichen«, wusste Bert Brecht. Einer dieser Unersetzlichen war der
Antifaschist und Friedensaktivist Martin Löwenberg, der am Ostermontag wenige
Wochen vor seinem 93. Geburtstag in München verstarb.
Martin
Löwenberg wurde am 12. Mai 1925 in Breslau in eine sozialdemokratische Familie
hineingeboren. Der Vater – ein Jude – verstarb bereits 1929, die gesamte
Verwandtschaft väterlicherseits fiel später dem Terror des Naziregimes zum
Opfer. 1932 erlebten Martin und sein zwei Jahre älterer Bruder Fred einen
SA-Überfall auf das Heim der Sozialistischen Jugend – Die Falken mit. Mehrfach
verprügelte der begeisterte Boxer mit der starken linken Schlaghand später
Mitglieder der Hitlerjugend. Sein Bruder gewann ihn für den organisierten
Widerstand, ab 1942 versorgte Löwenberg osteuropäische Zwangsarbeiter mit
Lebensmittelkarten und Nachrichten über den Frontverlauf. Im Mai 1944 wurde er festgenommen,
unter Folter von der Gestapo verhört und in das KZ Flossenbürg sowie dessen
Außenlager zur Zwangsarbeit gebracht. »Nie wieder Faschismus, nie wieder
Krieg«, schwor Löwenberg gemeinsam mit Tausenden weiteren Überlebenden nach der
Befreiung aus dem KZ.
Er war eines
der Gründungsmitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN),
der er sein Leben lang angehörte, trat 1948 in München in die SPD ein,
beteiligte sich am Wiederaufbau der Gewerkschaften und engagierte sich gegen
die Remilitarisierung. Ein lebenslang prägendes Ereignis für Löwenberg war der
Tod des 21jährigen Münchner Gewerkschafters Philipp Müller, der am 11. Mai 1952
vor seinen Augen während einer »Friedenskarawane der Jugend« in Essen von der
Polizei erschossen worden war. Aufgrund seines Engagements innerhalb der
Sozialdemokratischen Aktion, die als »kommunistische Tarnorganisation« galt,
sowie vier Jahre später wegen seiner Mitarbeit in der 1956 verbotenen KPD wurde
er zweimal zu Haftstrafen verurteilt. Die KPD verließ Löwenberg nach der
Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Fortan bezeichnete er sich als
»Kommunist ohne Parteibuch«. Der gelernte Sattler wurde Betriebsratschef beim
Nähmaschinenhersteller Pfaff. Von 1983 bis 1992 engagierte er sich bei den
Grünen. Von den Ostermärschen bis zur Antiatombewegung war Löwenberg, der in
seinem Engagement seine Genossin und Ehefrau Josefine an seiner Seite wusste,
bei allen großen Protestbewegungen dabei. Er war Mitbegründer des Münchner
Bündnisses gegen Krieg und Rassismus und im Vorstand des Archivs der Münchner
Arbeiterbewegung. Selbst im Seniorenheim stritt er noch für bessere
Pflegebedingungen.
Als Anfang
der 1990er Jahre eine Welle rassistischer Anschläge deutschlandweit für Tote
sorgte, forderte Löwenberg zur Blockade von Naziaufmärschen auf. Dass der
weißhaarige KZ-Überlebende dabei in der ersten Reihe stand, erleichterte vielen
den Schritt zur Zivilcourage. Bundesweit für Empörung sorgte Löwenbergs
Verurteilung durch das Münchner Amtsgericht wegen eines solchen Blockadeaufrufs
im Jahr 2002. »Es kann legitim sein, was nicht legal ist«, lautete Löwenbergs
Maxime, die zum Titel eines Dokumentarfilms über sein »Leben gegen Faschismus,
Unterdrückung und Krieg« wurde. Dass Faschisten sich in München bis heute stets
einer breiten Masse von Gegendemonstranten gegenüber sehen, ist auch Löwenbergs
Verdienst. Als Integrationsfigur lehnte er die Ausgrenzung von »bürgerlichen
Kräften« durch Linksradikale ebenso ab wie die von den »Bürgerlichen«
geforderte Distanzierung von den »Autonomen«. Bei seiner Befreiung aus dem KZ
habe er sich nie träumen lassen, dass er sein ganzes Leben gegen Faschismus,
Rassismus und Krieg kämpfen müsse, erklärte Löwenberg einmal. Verbittert war er
deswegen niemals. Er bleibt in Erinnerung als ein warmherziger, freundlicher
und unerschütterlicher Freund und Genosse.