Junge Welt 04.03.2009 / Ausland / Seite 7

»Es wird Blutvergießen geben«

Konflikt um ältestes christliches Kloster im Südosten der Türkei

Von Nick Brauns

Christliche Verbände wie die »Konferenz Europäischer Kirchen« und die deutsche Bischofskonferenz schlagen Alarm. Das älteste noch existierende Kloster der Christenheit, das syrisch-orthodoxe Mor Gabriel bei Midyat im Südosten der Türkei, ist in seiner Existenz bedroht.

Grund ist eine Kampagne örtlicher Clanchefs und Politiker der islamisch- konservativen AK-Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zur Enteignung des Klosterlandes. Mitte 2008 wurden Felder und Wälder, die laut einer amtlichen Festlegung aus dem Jahr 1938 zum Kloster gehören, durch Clans aus drei umliegenden Dörfern besetzt, um sie als Weideland zu nutzen. Anschließend verklagten die Dorfvorsteher Erzbischof Timotheos Samuel Aktas wegen »rechtswidriger Ansiedlung«, da sich das Kloster Waldgebiete aus Staatsbesitz angeeignet haben soll. Dabei schrecken die Clanchefs nicht vor offenen Gewaltandrohungen zurück. »Wenn das Problem vor Gericht nicht gelöst wird, wird es zu Blutvergießen kommen«, zitierte das nationalistische Massenblatt Hürriyet kürzlich einen der Dorfvorsteher.

Der Versuch, das Kloster, in dem 20 Mönche und Nonnen sowie 40 Schüler leben, in seiner wirtschaftlichen Existenz zu treffen, wird von einer antichristlichen Kampagne örtlicher Behörden begleitet. So warf ein Staatsanwalt den Mönchen »antitürkische Aktivitäten« durch die Missionierung von Jugendlichen vor. Auch der absurde Vorwurf, das im Jahr 397 – also 200 Jahre vor Entstehung des Islam –erbaute Kloster sei auf einer zerstörten Moschee errichtet worden, wurde erhoben. Nachdem der Prozeß mehrfach verschoben wurde, soll nun am heutigen Mittwoch von einem Gericht in Midyat über die Klage der Dorfvorsteher entschieden werden.

»Sollte die Klage der Dörfer Erfolg haben, hätte das Kloster keine wirtschaftliche Basis mehr und müßte aufgegeben werden«, erklärte Bischof Aktas am vergangenen Freitag gegenüber einer Delegation des Bundestagskulturausschusses, der die Abgeordneten Monika Griefahn (SPD), Lukrezia Jochimsen (Linke) und Claudia Roth (Grüne) angehörten. Die Abgeordneten erklärte nach ihrem Besuch des Klosters: »Mor Gabriel ist die Probe aufs Exempel, wie ernst dem türkische Staat die kulturelle und religiöse Vielfalt in seinem Land ist, die Haltung zu Europa, zu Toleranz und Menschenrechtsfragen.« Die Bundesregierung müsse ihren Einfluß auf die Türkei geltend machen. In Deutschland leben rund 60 000 Angehörige christlicher Minderheiten aus der Türkei, die in den vergangenen Jahrzehnten vor Diskriminierung und Krieg geflohen waren. Mehrere Tausend von ihnen demonstrierten Ende Januar in Berlin für den Erhalt von Mor Gabriel.

Insbesondere christliche Medien in Europa stellen den Konflikt um Mor Gabriel als einen Kulturkampf muslimischer Kurden gegen christliche Syrianer da. Doch in Wirklichkeit handelt es sich um den Versuch der AKP, durch die Erzeugung antichristlicher Ressentiments der linken kurdischen »Partei für eine Demokratische Gesellschaft« DTP die Unterstützung der zumeist muslimischen Kurden streitig zu machen. Demonstrativ hat die DTP daher ihre Solidarität mit dem Kloster und den nur noch rund 2000 Syrianern in der Region Mardin-Midyat erklärt. DTP-Chef Ahmet Türk entschuldigte sich sogar öffentlich für die Beteiligung kurdischer Stämme am Genozid an weit über einer Million christlicher Armenier und Syrianer während des ersten Weltkrieges. »Wenn wir heute einen unserer armenischen oder syrianischen Brüder sehen, sind wir beschämt.« Türk warnte davor, sich nicht erneut gegeneinander ausspielen lassen. »Wir sollte nicht vergessen, daß in der Vergangenheit die Kurden gegen andere benutzt worden sind. Wir sollten aus dieser Geschichte lernen.«

Widerrechtlich angeeignet haben sich staatstreue kurdische Aghas (Großgrundbesitzer) in der Region auch zahlreiche Felder kurdischer Kleinbauern, die als Sympathisanten der PKK während der 90er Jahre aus ihren Dörfern vertrieben wurden. Eine weltweite Lobby wie die Mönche von Mor Gabriel haben diese heute in den Slums kurdischer Großstädten wie Diyarbakir lebenden Menschen nicht. Schließlich läßt sich ihre Vertreibung nicht in das bequeme Schema eines christlich-muslimischen Kulturkampfes pressen, sondern erfolgte im Namen der vom Westen unterstützten »Terrorbekämpfung«.