Junge Welt
13.02.2012 / Thema / Seite 10
Mörderische »Wölfe«
Hintergrund: Türkische Faschisten machen auch in der
Bundesrepublik mobil gegen Kurden und Linke
Von Nick
Brauns
Parallel zu einer Ausweitung der Verhaftungswelle gegen kurdische und linke Politiker
und Journalisten sowie Luftangriffen auf Guerillakämpfer der Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) in der Türkei kam es in den letzten Monaten europaweit zu
einer Welle von Aufmärschen türkischer Nationalisten. Dominiert wurden die
offenbar zentral über türkische Konsulate gesteuerten und meist über Facebook beworbenen Demonstrationen von Anhängern der
Grauen Wölfe. Mehrfach kam es dabei auch in Deutschland zu versuchten
Lynchangriffen türkischer Faschisten auf kurdische Vereine, Läden und
Passanten.
Die Ideologie der türkischen faschistischen Bewegung geht bis auf das
jungtürkische »Komitee für Einheit und Fortschritt« in den letzten Jahren des
Osmanischen Reiches zurück. Angesichts des Zerfalls des Vielvölkerreiches
setzten die 1908 durch einen Militärputsch an die Macht gelangten Jungtürken
auf einen aggressiven türkischen Nationalismus, der in der Ermordung von über
einer Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg gipfelte. Die von Mustafa Kemal
»Atatürk« begründete Türkische Republik knüpfte an diese völkermörderische
Tradition mit der Zwangsassimilation und Massakrierung der Kurden im Namen des Türkentums nahtlos an. Die kemalistisch-laizistische
Republikanische Volkspartei CHP und die zum religiösen Lager offenen Grauen
Wölfe der MHP bilden so heute den linken und rechten Flügel des
nationalistischen Lagers im türkischen Parlament, in dessen Mitte die
regierende islamisch-nationalistische AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu verorten ist.
Krieg als »Naturgesetz«
Die ersten
faschistischen Organisationen in der Türkei entstanden Ende der 1930er Jahre,
ideologisch von den Nazis beeinflußt und mit
materieller Unterstützung durch den deutschen Botschafter in Ankara, Franz von
Papen. Im 1939 veröffentlichten »Glaubensbekenntnis des Grauen Wolfes« wird die
Überlegenheit der türkischen Rasse und Nation aufgrund des »türkischen Blutes«
benannt. Gefordert wird die Vereinigung aller Turkvölker vom östlichen
Mittelmeer bis nach China in einem Turan genannten Großreich. Um dahin zu
gelangen, wird der Krieg als »großes und geheiligtes Naturgesetz«
gerechtfertigt. Der Begriff »Bozkurt« (Grauer Wolf) bezieht sich auf eine
Legende, wonach Turkstämme im achten Jahrhundert von einem Wolf in das Gebiet
der heutigen Türkei geführt wurden.
1944 meldete ein SS-Brigadeführer dem Auswärtigen Amt »gute Verbindungen« zum
Offiziersanwärter und »Führer der pantürkischen Bewegung«, Alparslan Türke, der
»auf weite Sicht für Deutschland wirksam werden« könne. Nach Kriegsende wurden
die USA zum neuen Patron der türkischen Faschisten, die sich in den mit
CIA-Hilfe gegründeten »Vereinen zur Bekämpfung des Kommunismus« organisierten.
Türke, der zwischenzeitlich in den USA eine NATO-Ausbildung zur Aufstandsbekämpfung durchlaufen hatte, wurde nach dem
Militärputsch 1960 vorübergehend zum Referenten des neuen Machthabers General
Cemal Gürsel. Da er sich einer von den kemalistischen Militärs geplanten
Zivilisierung der Machtstruktur widersetzte, wurde Türkes
allerdings aus der Junta ausgeschlossen und als Militärattaché nach Indien geschickt.
1965 ließ sich der inzwischen aus dem Militärdienst ausgeschiedene Türke zum »Basbug« (Führer) der unbedeutenden Republikanischen
Nationalen Bauernpartei (CKMP) ernennen, die sich 1969 in Partei der
nationalistischen Bewegung (MHP) umbenannte und die osmanische Kriegsflagge mit
den drei Halbmonden zum Symbol erwählte. Zu ihrer Frontorganisation wurden die Ülkücü(Idealisten)-Vereine.
Da der parlamentarische Weg zur Macht kaum aussichtsreich erschien, setzte Türkes auf den Kampf um die Straße. Zu diesem Zwecke wurden
seit 1968 über hunderttausend Jugendliche in Kommandolagern von ehemaligen
Offizieren nach dem Vorbild der SS geschult. Diese Kommandoeinheiten nannten
sich Bozkurtçular (Graue Wölfe). Ihr
Erkennungszeichen wurde der Wolfsgruß. Dazu werden der Zeigefinger und der
kleine Finger abgespreizt und Ringfinger, Mittelfinger und Daumen
zusammengelegt, so daß die Hand einem Wolfskopf
ähnelt. »Wenn ich zurückweichen sollte, dann erschießt mich. Erschießt jeden,
der sich von unserer Sache abwendet«, gab der Basbug
als Losung aus.
Anschläge und Pogrome
Zwischen
1975 und 1977 gehörte die MHP, die 1977 ihren Stimmanteil mit 6,2 Prozent fast
verdoppeln konnte, als Juniorpartner einer aus der konservativen ANAP und der
islamischen MSP gebildeten Regierung der Nationalistischen Front an. Türkes wurde zum stellvertretenden Ministerpräsidenten,
seine Anhänger gelangten an strategisch wichtige Positionen in der Polizei,
beim Zoll und im Bildungsbereich. Die blutig gegen Linke und Gewerkschafter
vorgehenden Kommandotrupps operierten nun mit dem Segen der Regierung. Rund
5000 Menschen – vor allem linke Arbeiter und Studenten – kamen zwischen 1975
und 1980 bei Straßenkämpfen und Mordanschlägen ums Leben.
Bei einem von den Grauen Wölfen angeführten Pogrom in der Stadt Maras wurden 1978 nach offiziellen Angaben 111 Angehörige
der religiösen Minderheit der Aleviten ermordet. Der
Rechtsterrorismus in der Türkei war Teil einer »Strategie der Spannung« durch
die NATO-Konterguerilla Gladio, mit der unter der
verunsicherten Bevölkerung die Stimmung für die Errichtung eines autoritären
Regimes erzeugt werden sollte. Die Grauen Wölfe, die 1980 rund 200 000
registrierte Mitglieder und eine Million Sympathisanten hatten, wurden ein
bevorzugtes Rekrutierungsfeld für die Konterguerilla, die als »Amt für
spezielle Kriegführung« direkt dem späteren Putschistenführer,
Generalstabschef Kenan Evren, unterstand. Nach dem
NATO-Putsch vom 12. September 1980 hatten die Grauen Wölfe allerdings erst
einmal ihre Schuldigkeit getan. Um die scheinbare Unparteilichkeit des
Militärregimes zu demonstrieren, wurden nicht nur Hunderttausende Linke und
Anhänger der kurdischen Befreiungsbewegung, sondern auch einige hundert
Faschisten eingesperrt und die MHP verboten. »Unsere Gedanken waren an der Macht,
während wir im Gefängnis saßen«, erklärte Türkes,
gegen den ebenfalls Anklage erhoben worden war. Nach dem Übergang zur
»gelenkten Demokratie« traten viele Graue Wölfe der siegreich aus den Wahlen
1983 hervorgegangenen konservativen Mutterlandspartei ANAP von Turgut Özal bei,
andere fanden sich bei der Mafia wieder.
Hatten sich die Bozkurtçular in ihrer Frühphase noch
auf schamanisches Gedankengut bezogen und in den 70er Jahren aus taktischen
Gründen verstärkt den Islam in ihre Propaganda einbezogen, so vertraten sie ab
den 80er Jahren die auch von der Militärjunta propagierte türkisch-islamische
Synthese als besondere Form des türkischen Nationalismus aus Überzeugung. Ein
Parteiflügel, der den Islam sogar als Hauptelement des türkischen Nationalismus
ansah, gründete im Sommer 1992 die Große Einheitspartei BBP. Aus dieser
ansonsten unbedeutend gebliebenen Abspaltung der MHP stammten die Mörder des im
Januar 2007 in Istanbul erschossenen armenischen Journalisten Hrant Dink.
Einen erneuten Aufschwung erlebte die MHP in den 90er Jahren vor dem
Hintergrund des Krieges gegen die kurdische Befreiungsbewegung, der im Westen
der Türkei von einem aggressiven Nationalismus begleitet wurde. Aus den Grauen
Wölfen rekrutierten sich nun die staatlichen Todesschwadronen
, die für das »Verschwindenlassen« von
Tausenden kurdischen Oppositionellen verantwortlich waren. Obwohl die MHP bei
den Parlamentswahlen 1995 mit 8,2 Prozent an der Zehnprozenthürde scheiterte,
konnte sie in dieser Zeit eine starke organisierte Kraft innerhalb des
Staatsapparates bilden. »Daß die MHP nicht mehr im
Parlament vertreten ist, bedeutet nicht das Ende dieser Partei. Solange der
Terror (der PKK) anhält, wird auch ihre Mission weitergehen«, hieß es in einer
Wahlanalyse der Zeitung Hürriyet vom 27. Dezember 1995.
Kampfreserve gegen Linke
Ein
Verkehrsunfall in der westtürkischen Kreisstadt Susurluk
machte am 3. November 1996 das Ausmaß der Verstrickung von Staat, Grauen Wölfen
und Mafia sichtbar. In einem Auto starben der stellvertretende Istanbuler
Polizeipräsident Hüseyin Kocada, der von Interpol
gesuchte Drogenhändler Abdullah Çatli und dessen
Geliebte. Der kurdische Stammesführer und Abgeordnete der Regierungspartei DYP,
Sedat Bucak, dessen 10000 Mann starke Dorfschützermiliz gegen die PKK kämpfte, überlebte schwer
verletzt. »Wir werden uns immer voller Hochachtung an jene erinnern, die im
Namen dieses Landes, dieser Nation, dieses Staates Kugeln abfeuern oder Wunden
erhalten«, würdigte die damalige Außenministerin Tansu Çiller
(DYP) den ehemals führenden Aktivisten der Grauen Wölfe Çatli,
der bei seinem Tod einen Polizeiausweis bei sich führte. Çatli
hatte 1979 den MHP-Auftragskiller und späteren Papst-Attentäter Mehmet Ali Aca
bei der Ermordung des Milliyet-Chefredakteurs Abdi Ipekci unterstützt und ihm anschließend zur Flucht aus
einem Gefängnis verholfen.
Der nach Türkes Tod am 4. April 1997 zum neuen
Parteiführer gewählte Devlet Bahçeli bemühte sich um
einen Imagewandel der MHP zur nationalkonservativen und wirtschaftlich neoliberalen
Staatspartei. Statt der hängenden Hunnenbärte trugen
MHP-Politiker nun Krawatten. Ab 1999 gehörte die MHP, die auf einer Welle des
Nationalismus nach der Gefangennahme von PKK-Führer Abdullah Öcalan mit 18
Prozent zur zweitstärksten Partei avanciert war, der Regierung unter dem
Sozialdemokraten Bülent Ecevit an. Nachdem sie 2002 wieder die Zehnprozenthürde
verfehlte, traten viele ihrer Anhänger der seitdem allein regierenden
islamisch-konservativen AKP bei.
Doch mit 14,2 Prozent zog die MHP im Jahr 2007 erneut in die
Nationalversammlung ein. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 konnte sie
dieses Ergebnis mit 13 Prozent fast halten, obwohl zuvor offenbar aus AKP-nahen
Kreisen versucht wurde, sie mit geheim aufgenommenen Sexvideos zu diskreditieren.
Da es nicht gelang, die MHP so unter die Zehnprozenthürde zu drängen, ist die
AKP nun bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung auf die Unterstützung der
Grauen Wölfe angewiesen. Während das anatolische Unternehmertum und das
internationale Großkapital weiterhin in der neoliberal ausgerichteten AKP ihre
Interessenvertretung sehen, bleibt die MHP so als rechtsnationalistische Pressure Group im Parlament und als Straßenkampfreserve
gegen Linke bestehen. Daß die Grauen Wölfe weiterhin
eine tödliche Gefahr bleiben, zeigen regelmäßige Lynchangriffe faschistischer
Mobs gegen kurdische Arbeitsmigranten, Roma und Sozialisten sowie
Anschlagswellen gegen kurdische Parteibüros in der Westtürkei.
»Günstiges Klima«
Parallel zur
Entwicklung in der Türkei ging die MHP, die ihre deutsche Auslandsvertretung
1973 offiziell beim Ordnungsamt der Stadt Kempten angemeldet hatte, in der
Bundesrepublik gegen politische Gegner unter den Arbeitsmigranten vor.
»Fußtritte und Faustschläge, Messerstiche und Drohungen sind gängige Waffen in
einem Türken-Krieg, der in der Bundesrepublik ausgetragen wird und in dem es um
politische Bekenntnisse geht: Anhänger der rechtsradikalen türkischen ›Partei
der Nationalistischen Bewegung‹ (MHP) prügeln und knüppeln, wann immer ihnen
links oder liberal scheinende Landsleute über den Weg laufen«, schrieb der
Spiegel 1976.
Während die Landesinnenministerien keine politischen Hintergründe erkennen
wollten und DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter »ausländische Arbeitnehmer vor dem
Austragen ihrer innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik«
warnte, konnten die antikommunistischen Stoßtrupps aus der Türkei auf die Hilfe
von Unionspolitikern und des Bundesnachrichtendienstes zählen. Im April 1978
traf sich Türkes mit dem bayerischen Ministerpräsidenten
und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Man war sich einig über die gemeinsam
zu bekämpfende »kommunistische Gefahr«. »Strauß sagte dem Vernehmen nach den
MHP-Politikern zu, daß in Zukunft für die MHP und die
Grauen Wölfe ein günstiges psychologisches Klima in der Bundesrepublik
geschaffen werden müsse, damit die MHP hier in einem besseren Licht erscheine.
Bayern soll der Anfang sein«, berichtete die Gewerkschaftszeitschrift metall (Nr. 18/1978).
Nachdem sich die MHP solcher Protektion versichert hatte, gründete sie im Juni
desselben Jahres die »Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa« (ADÜTDF, auch Türkische
Föderation) als ihre Auslandsabteilung mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Halle
für die Jahreshauptversammlung der ADÜTDF im Februar 1979 in Schwarzenborn hatte der Schwalbacher
CDU-Stadtverordnete Hans-Eckhardt Kannapin
angemietet. Der Türkei-Experte des BND Kannapin
verhalf dem Vorsitzenden der Türkischen Föderation und Verbindungsmann zum
türkischen Geheimdienst MIT, Lokman Kundak, sowie dessen Nachfolger Musa Serdar Celebi durch
eine Beschäftigung als »wissenschaftliche Mitarbeiter« in einem fiktiven
»Türkei Institut« zu einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in der
Bundesrepublik. Celebi
wurde später in Italien im Zusammenhang mit dem Papst-Attentat in
Untersuchungshaft genommen. Der Attentäter Ali Agca behauptete vor Gericht,
dass ihm Celebi vor seiner Romreise 1981 mit Geld versorgt habe.
Seit den 70er Jahren gab es enge Kontakte zwischen der MHP und deutschen
Neonazis. In einem Brief an die NPD betonte Türkes
1970 die »Zieleinheit unserer Parteien«, und der Neonazi Michael Kühnen
bekannte 1978 seinen »Respekt« vor den Grauen Wölfen. Solche Kontakte kamen
nach den tödlichen Brandanschlägen von Neonazis auf von Türken bewohnte Häuser
in Solingen, Mölln und anderen deutschen Städten Anfang der 90er Jahre zum
Erliegen. Eine vom hessischen NPD-Vorsitzenden Jörg Krebs 2007 angedachte
Kooperation im Rahmen einer »nationalistischen Internationale« stieß auf
vehemente Kritik in den eigenen Reihen. Im Blick hatte Krebs vor allem die
Zusammenarbeit mit der MHP in der Türkei. In Deutschland könnte man mit den
Grauen Wölfen allerdings »Gespräche darüber führen, wie sich die MHP die
Zukunft ihrer in Deutschland lebenden Landsleute vorstellt und inwiefern diese
bereit ist, ihren Landsleuten eine Rückkehr in die Heimat nahezulegen«, stellte
Krebs später klar. Zwar trat im Februar 2011 ein Referent der Grauen Wölfen beim NPD-Kreisverband Jena auf, doch die
Fremdenfeindlichkeit der NPD dürfte einer engeren Zusammenarbeit im Wege
stehen.
CDU und MHP
Türkisch-nationalistische
Gruppierungen fordern ihre Mitglieder dazu auf, die deutsche
Staatsangehörigkeit zu erwerben, um als Lobby besser Einfluß
auf die Politik in der BRD nehmen zu können. Deutsche Parteien wiederum
verschließen im Buhlen um türkische Wählerstimmen häufig beide Augen vor
möglichen Verbindungen ihrer türkischen Mitglieder zu faschistischen
Organisationen. So rief der damalige MHP-Führer Türkes
seine Anhänger bei der Jahresversammlung der Türkischen Föderation 1995 zur
aktiven Politik in CDU und CSU auf. In der Folge gelangten Graue Wölfe in
örtliche oder regionale Vorstände der Unionsparteien und in Kommunalparlamente.
Im November 2003 nahm der seinerzeitige bayerische Innenminister Günther Beckstein
(CSU) am Ramadan-Essen in einem Verein der Türkischen Föderation teil und ließ
sich anschließend vor einem Bild des Hitler-Verehrers Türkes
fotografieren.
In den letzten Jahren wurden insbesondere in Nordrhein-Westfalen mehrere Fälle
bekannt, in denen Anhänger der Grauen Wölfe in der CDU aktiv wurden oder
CDU-Funktionäre ihrerseits auf Graue Wölfe zugingen. »Und in Teilen des
Deutsch-Türkischen Forums der CDU (DTF) ist die Zusammenarbeit mit Grauen
Wölfen gleichfalls Praxis«, heißt es in der Tageszeitung Die Welt vom 16. April
2010 unter Verweis auf gemeinsame Pressekonferenzen- und Erklärungen. Eine
Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung empfiehlt Unionspolitikern »aus
politstrategischen Gesichtspunkten« im Einzelfall abzuwägen, »inwieweit eine
zielgerichtete Zusammenarbeit« mit türkischen Rechten möglich sei. Nur wenige
Christdemokraten wie der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete Olaf Lehne und der
Christlich-Alevitische Freundeskreis haben diese
Kooperation mit türkischen Faschisten bislang kritisiert. Die Bundesregierung
sieht zwar in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion bei der
ADÜTDF »Anhaltspunkte« für Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung
und das friedliche Zusammenleben der Völker aufgrund von übersteigertem
Nationalismus und dezidierter Kurdenfeindlichkeit (BT-Drucksache 17-7406). Doch
im Verfassungsschutzbericht des Bundes werden die Grauen Wölfe seit 1993 nicht
mehr mit einem eigenen Kapitel aufgeführt.
Auch aus anderen Parteien werden immer wieder Fälle einer Nähe zu den Grauen
Wölfe bekannt. So zog in Wetzlar zu Jahresbeginn 2011 ein Kandidat seine
Kandidatur auf der SPD-Kommunalwahlliste zurück, nachdem seine
Vorstandstätigkeit in einem Mitgliederverein der ADÜTDF bekannt wurde. Im
November letzten Jahres widersetzten sich im Essener Integrationsausschuß
neben anderen türkischen Vertretern der sozialdemokratische Ausschußvorsitzende
Muhammet Balaban und ein weiteres türkischstämmiges SPD-Mitglied vehement einer
Resolution gegen »Rechtsextremismus und Völkerhaß in
der Grugahalle«. Die von den Grünen eingebrachte Resolution richtete sich gegen
die Jahreshauptversammlung der ADÜTDF, auf der der aus der Türkei angereiste
MHP-Vorsitzende Bahçeli am 19. November vor rund 6500
Grauen Wölfen offen eine Ausweitung der türkischen Grenzen forderte.
»Feinde der Hoffnung«
Durch
Kultur- und Sportangebote für Jugendliche und die Kandidatur zu
Ausländerbeiräten verankern sich die Grauen Wölfe innerhalb der türkischen
Migranten. Neben der ADÜTDF mit ihren rund 100 Mitgliedsvereinen und
geschätzten 7000 Mitgliedern sind in Deutschland zudem die von ihr
abgespaltene, stärker islamisch orientierte »Union der Türkisch-Islamischen
Kulturvereine in Europa« (ATIB) und die der Großen Einheitspartei in der Türkei
nahestehende »Föderation der Weltordnung« (ANF) aktiv. Die Funktionäre aller
dieser Ülkücü-Vereinigungen sind gegenüber der
deutschen Öffentlichkeit auf ein seriöses Auftreten bedacht – bis hin zur
Teilnahme an Mahnwachen für Neonaziopfer. Doch in ihrem Umfeld breitet sich
eine Ülkücü-Jugendkultur unter der von der deutschen
Mehrheitsgesellschaft weiterhin rassistisch ausgegrenzten dritten Generation
türkischer Migranten aus. Über Facebook und Youtube wird hier Mordhetze gegen vermutete »Feinde des Türkentums« wie Kurden, Armenier, Juden, Aleviten, Linke und Homosexuelle betrieben. Daß dies keine leeren Drohungen sind, daran gemahnt ein
Gedenkstein am Kottbusser Tor im Zentrum von
Berlin-Kreuzberg. Hier verblutete am 5. Januar 1980 der 36jährige
Gewerkschafter Celalettin Kesim, nachdem mit Messern
bewaffnete Faschisten aus einer nahegelegenen Moschee eine Gruppe Kommunisten
beim Verteilen von Flugblättern überfallen hatten. Auf dem Stein steht eine
Zeile eines Gedichts von Nazim Hikmet: »Sie sind die Feinde der Hoffnung, Geliebte.«