Junge Welt 24.12.2005 / Wochenendbeilage / Seite 15

»Bayerisch sterben«

Die Sendlinger Mordweihnacht 1705

Von Nick Brauns

Alljährlich veranstalten bayerische Trachten- und Schützenvereine zur Weihnachtszeit Gedenkfeiern anläßlich der Sendlinger Mordweihnacht von 1705. Bei so viel patriotischer Vereinnahmung gerät leicht in Vergessenheit, daß der bayerische Volksaufstand die größte Klassenauseinandersetzung auf deutschem Boden während der Zeit des Absolutismus war. In dieser bürgerlichen Revolution wurden bereits Forderungen laut, die 1776 in Nordamerika und 1789 Frankreich realisiert wurden. Ein Augenzeuge notierte: »Die Erhebung geschah nicht zur Landesdefension, sondern es war dabei auf die völlige Kassierung des bisherigen landesfürstlichen Regiments und die Einführung einer freien Republik abgesehen. Die Bauern wollten hinfür selbst Herren und freie Stände sein.«

Nach der Niederlage des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel in der Entscheidungsschlacht des Spanischen Erbfolgekrieges 1704 bei Höchstädt war Bayern unter österreichische Besatzung gekommen. Eine kaiserliche Administration versuchte, die leeren Kassen und die Lücken, die der Krieg in den Reihen der österreichischen Truppen gerissen hatte, auf Kosten des »Reichsfeindes« aufzufüllen. Von Zwangsrekrutierung betroffen waren unverheiratete Bauernsöhne, aber auch ländliche Handwerker und Gewerbetreibende.

 

Kombiniertes Volksheer

Passiver Widerstand gegen die Ausplünderung des Landes schlug in aktiven Widerstand um, als 4000 Mann für den Krieg in Italien ausgehoben werden sollten. Die Landbevölkerung erhob sich unter der Losung »Lieber bayerisch sterben, als in des Kaisers Unfug verderben« gegen die Fremdherrschaft. Rekrutierungskommandos wurden überfallen und Rekruten befreit. Schnell wurde daraus ein sozialrevolutionärer Aufstand gegen feudale Unterdrückung. Mit Schweinespießen, Morgensternen, »knopfeten Stecken« und »abgerichteten Sensen« stürmten Bauern die Amtshäuser, vernichteten Registraturen, plünderten und brandschatzten Schlösser und verprügelten Beamte.

Bürgern wie dem 25jährigen Juristen Sebastian Plinganser und dem Studenten Johann Georg Meidl gelang es, aus den wilden Haufen ein mit ausgebildeten Truppen kombiniertes Volksheer zu bilden, das bis zum 17. November 1705 das ganze Unterland zwischen Isar und Inn mit den Festungsstädten Burghausen, Braunau und Schärdling kontrollierte. In Braunau tagte ein Vierstände-Parlament, das auch die Bauern repräsentierte.

Von dort setzte sich ein 8000 Mann starkes Heer in Bewegung, um vereint mit Truppen aus dem Oberland um Tölz die Residenzstadt München zu befreien. Das Oberländer Rebellenheer umfaßte rund 3000 Mann. Beamte und Offiziere waren zu den Aufständischen übergelaufen, nachdem der ehemalige kurfürstliche Kriegskommissar Matthias Ägidius Fuchs das Gerücht verbreitet hatte, der Kurfürst stehe hinter dem Unternehmen. Die meisten Rebellen verfügten lediglich über Spieße, Prügel oder Sensen. Gebirgsschützen trugen Gewehre, die noch aus dem Dreißigjährigen Krieg stammten. Fronleichnamsböller aus den Klöstern Tegernsee und Benediktbeuren waren die einzigen Artillerien.

Ohne auf die Unterländer zu warten, begannen die Oberländer am 25. Dezember den Sturm auf München. Der Rote Turm vor dem Isartor wurde schnell genommen. Doch der erhoffte Aufstand in der Stadt blieb aus, und die Rebellen waren zwischen Stadtmauern und kaiserlichen Truppen gefangen. Im Morgengrauen wichen sie in das Dorf Sendling zurück, wo ihre Offiziere Clanze, Aberle und Mayer kapitulierten. Die Bauern und Handwerker warfen ihre Waffen weg, sanken in die Knie und flehten mit Rosenkränze in den Händen um Gnade. Doch die kaiserliche Reiterei und Infanterie schlachtete sie sogar noch an der Friedhofsmauer erbarmungslos ab. Die Sendlinger Mordweihnacht kostete über 1 000 Aufständischen das Leben.

 

Unbarmherzige Rache

In einer Denkschrift an den Reichstag zu Regensburg proklamierten die überstürzt nach Braunau zurückgekehrten Unterländer als »gesambte Confoederierte Gmain der Landten Ober- und Under-Bayerns« das Widerstandsrecht der leidenden Untertanen. Noch einmal gelang den Rebellen zu Jahresende mit der Eroberung der Stadt Cham ein Sieg. Die Kaiserlichen schlugen umbarmherzig zurück. Bei Aidenbach wurden am 7. Januar 1706 an die 2000 Aufständische von den Truppen des Generals Kriechbaum massakriert, und am 17. und 18. Januar kapitulierten Braunau, Burghausen und Cham. Auf dem Münchner Schrannenplatz wurden am 29. Januar die Rebellenführer Aberle, Sensler, Kittler und Clanze gevierteilt und ihre Körperteile zur Abschreckung an den Stadttoren zur Schau gestellt.

Der opferreiche Kampf mit über 4000 Toten in zweieinhalb Monaten hatte den herrschenden Klassen die Grenzen der Ausbeutung gezeigt. Ein kaiserlicher Erlaß vom 16. Februar 1706 verfügte das Ende der Zwangsrekrutierungen. Steuerforderungen wurden herabgesetzt und eine Generalamnestie erlassen.

Neben der militärischen Schwäche der Landesdefensionstruppen hatte vor allem die Haltung des einheimischen Adels zur Niederlage beigetragen, der eher bereit war, einer fremden Macht zu dienen, als zusammen mit den unteren Klassen gegen die Besatzung zu kämpfen. Lebendig geblieben ist daher bis heute die Legende vom Schmied von Kochel. »Eine Figur aus dem Volk ersetzt die fehlende Herrscherfigur zur eigenen Orientierung«, schreibt Henric L. Wuermeling in seinem Buch »Volksaufstand«. »Die Größe des Max Emanuel wird auf eine Figur übertragen, in der sich ein Volk erkennen kann. Der Schmiedebalthes ersetzt den Blauen Kurfürsten, bringt eine verlorengegangene Autoritätsfigur zurück; verschönt und in das Barocke übersetzt von denselben Leuten, die als Handwerker die barocken Kirchen und Schlösser bauten.« Ob der sagenhafte Held des Aufstandes wirklich gelebt hat, ist allerdings ungewiß.

 

 

Der Bayerischen Rebellen Rädelsführer

Erste Execution / Lohn und Warnung

Höret, was jetzo zu München vorgangen

Mit den rebellischen Führern dort,

Deren sehr viele grad eben gefangen!

Viere derselben, die mußten schon fort,

Welchen das Urteil durchs Schwert wurd gefällt.

Dieser ihr Tod, der ward also bestellt:

Erstlich mußte Clanze, der Leutnant, sterben,

Der da vier Streich in den Nacken bekam,

Welcher sich einen Rum wollte erwerben

Und derowegen sich dessen annahm.

Aber sein Prahlen nahm sehr bald ein End,

Dieweil das Blättlein sich nunmehr gewendt.

Aberle hat neben ihm noch gezwungen

Alle die Bauern, die nicht wollten gehen.

Ja, ja, Sie wurden dazu gedrungen,

Sonst hätten sie ihre Häuser brennen gesehn.

Und darum mit ihm der andere mußt dran;

Als Adjutant war er sein Gespann.

(...)

Schaut dann, ihr teuflisch rebellische Sorten,

Schaut, ihr Untreue, was man am Ende gewinnt,

Wenn man rebellisch bald da und bald dorten,

Solche rebellische Sachen anspinnt.

Alle Rebellen, die tragen solch Lohn

Endlich mit Schrecken und Grausen davon.

(Aus: Stadt München: Sendling 1705–1955 – Der Bauernaufstand)

 

Schreiben des Pfarrers Soyer von Sendling an den Bischof von Freising:

»Euer hochfürstliche Gnaden kann ich bei dieser harten und gefährlichen Zeit unberichtet nit lassen, wie daß am nächstverwichenen heiligen Weihnachtstag in der Frue zu Untersendling zwischen denen kaiserlichen Völkern und denen aus unterschiedlichen Gerichten zusammengerotteten Bauren eine abscheuliche Aktion und Blutbad vorbeigegangen, indem in und außer dem Dorf, absonderlich auf dem Feld zunächst hinter dem Dorf, bei 3000 Bauern abscheulich seind niedergehaut, massacriert und plessiert worden. Was mich zunächsten bestürzt, ist, daß sie sogar das St.Margarethae-Gotteshaus nit verschon, dieses mit Blutvergießen und Beraubung der hineingeflüchteten Bauern profaniert, auch auf dem Freithof etliche erschossen und niedergemacht haben. Über das haben sie hernach die drei Sendling samt Thalkürchen schrecklich beraubt, allen Bauren, Söldnern und Tagwerkern all ihr Geld, Fahrnus und Viech, wie auch mir über die 700 Gulden bares Geld, mein beste Hausfahrnus, auch alle meine Pferde hinweggenommen ...«