Newroz Piroz Be!


Millionen Kurdinnen und Kurden in aller Welt feierten um den 21. März das Frühlings- und Freiheitsfest Newroz.


Den diesjährigen Newroz-Auftakt bildete am 16. März Berlin. In zwei Aufmärschen zogen 50.000 Kurden, die mit Bussen aus ganz Deutschland angereist waren, vom Zoo und vom Alexanderplatz vor die Siegessäule. Auf der Abschlusskundgebung tanzten Tausende zur Musik bekannter kurdischer Sänger auf der Straße des 17. Juni. Neben vereinzelten kurdischen Nationalfahnen und den Fahnen der aus der Arbeiterpartei Kurdistans PKK hervorgegangenen Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans (KKK) dominierten auf der Berliner Feier Bilder des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali lebenslänglich inhaftierten kurdischen Volksführers Abdullah Öcalan. Eine Sprecherin der legalen kurdischen Partei für eine demokratische Gesellschaft DTP aus der Türkei beschwor die Brüderlichkeit der Völker. Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte übermittelte eine Solidaritätsadresse des Parteivorstandes der Linkspartei.PDS. Ein Polizeisprecher lobte die „entspannte Feststimmung“. Dennoch nahm die Polizei 18 Demonstranten wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot oder dem Zeigen von Fahnen verbotener Organisationen fest.


In der Türkei war es bereits im Vorfeld des Newroztages zu massiven Repressionen gegen kurdische Politiker, Medien und Parteien gekommen. Über 250 Mitglieder der legalen kurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft DTP und ihres Jugendverbandes wurden landesweit bei Demonstrationen, Razzien in Parteibüros, Wohnungen von Parteifunktionären, aber auch dem Mesopotamischen Kulturzentrum in Istanbul festgenommen, 72 blieben in Haft. Ihnen drohen aufgrund des neuen Anti-Terror-Gesetzes mehrjährige Haftstrafen. Nachdem bereits das Erscheinen der prokurdische Tageszeitung Gündem für zwei Monate verboten wurde, beschlagnahmte die Polizei auch alle Exemplare der Nachfolgezeitung Yasanda Gündem an den Kiosken und schloss die Druckerei. Der Gündem wurde vorgeworfen, die PKK zu unterstützen, weil sie zehn Tage lang über die mögliche Schwermetallvergiftung Öcalans berichtet hatte.


Hintergrund der aktuellen Repressionswelle sind die anstehenden Präsidentschaftswahlen im April und die Parlamentswahlen im November. Nachdem die Armeeführung und die kemalistische Oppositionspartei CHP der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Erdogan Einknicken gegenüber dem kurdischen Nationalismus in der Türkei und dem Nordirak vorwarf, will die Regierung jetzt Härte demonstrieren.


Die DTP hatte wie im letzten Jahr eine Staffel von Feierlichkeiten an mehreren Tagen angemeldet, doch landesweit wurden fast alle Newroz-Veranstaltungen von den türkischen Behörden verboten, die nicht direkt am Newroz-Tag stattfanden. In den Tagen und Nächten vor Newroz löste die Polizei in Istanbul, Diyarbakir und anderen kurdischen Städten verbotene Demonstrationen mit Tränengasgranaten und Schüssen in die Luft auf und machte Jagd auf zumeist jugendliche Demonstranten, die Newroz-Feuer entzündet hatten. Durch Schüsse von paramilitärischen Dorfschützern wurden in Uludere in der Provinz Sirnak drei Menschen verletzt.


Bereits am Tag vor Newroz beteiligten sich mehrere zehntausend Menschen an einer Newroz-Demonstration in der Stadt Yüksekova. Viele trugen Schilder mit der Aufschrift: „Sayin Öcalan“ (Sehr geehrter Herr Öcalan). Wegen dieser Höflichkeitsform waren kürzlich die Vorsitzenden der DTP zu Haftstrafen verurteilt worden.


Der oberste türkische Heeresgeneral Basbug hatte in Diyarbakir ein hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte angedroht, wenn Newrozfeiern für „Separatismus“ – so der offizielle türkische Ausdruck für den Wunsch der Kurden nach Anerkennung ihrer Rechte – ausgenutzt würde. Offenbar um diesen Drohungen Nachdruck zu verleihen, zog die Armee in der Provinz Sirnak massive Militäreinheiten, darunter Panzer und Kommandokräfte zusammen.


Die Feiern am 21. März blieben trotz dieser Drohungen und einem Großaufgebots der Sicherheitskräfte weitgehend friedlich. Über eine halbe Million Menschen strömten auf dem größten Fest in Diyarbakir zusammen, obwohl der Mittwoch ein Arbeitstag war. Hier waren hunderte Pressevertreter aus dem In- und Ausland sowie Beobachter von Menschenrechtsgruppen und Vertreter des Europäischen Parlaments anwesend. Vermummte Aktivisten zeigten in der Menge ein Großtransparent mit den Bildern der PKK-Gründer Mazlum Dogan, Kemal Pir, M. Hayri Durmus und Abdullah Öcalan.


In anderen Städten der Türkei gingen ebenfalls Zehn- oder Hunderttausende auf die Straße. Feiern gab es unter anderem in den west- und mittelanatolischen Städten Istanbul, Adana, Mersin, Izmir, Bursa sowie den nordkurdischen Städten Van, Antep, Batman, Siirt, Dersim, Malatya, Erzincan, Urfa, Mardin, Dersim, Agri, Hakkari und Sirnak.


Insbesondere in der Westtürkei gehörten neben der DTP auch Vertreter türkischer sozialistischer Organisationen den Vorbereitungskomitees an. In Istanbul skandierten 50.000 Menschen auf dem Kazlicesme-Platz Parolen für die Brüderlichkeit der Völker. Auch zahlreiche Anhänger türkischer sozialistischer Organisationen wie der Sozialistischen Plattform der Unterdrückten ESP, der Partei der Arbeit EMEP, der Sozialistisch-Demokratischen Partei SDP und von Arbeiterkampf beteiligten sich hier am Newrozfest. Immer wieder provozierte die Polizei, hinderte Bewohner der Stadtteile auf der asiatischen Seite Istanbuls an der Teilnahme am Fest und nahm rund 80 Demonstranten sowie das Vorbereitungskomitee fest.


Insgesamt wurden am Newroztag mehr als 350 Personen landesweit festgenommen - weil sie Tücher in den Farben rot-gelb-grün trugen, Reden in kurdischer Sprache hielten oder Parolen zugunsten der PKK und Abdullah Öcalans gerufen hatten.


Im Mittelpunkt stand auf allen Feiern in der Türkei die Haft- und Gesundheitssituation Öcalans. Die Guerilla der kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG hatte in einem Grußwort zu den Festen erklärt: „Das diesjährige Newroz solle als Symbol für die Anerkennung Abdullah Öcalans als Führer des kurdischen Volkes verstanden werden.“


In Diyarbakir sprachen neben dem DTP-Vorsitzenden Ahmet Türk und dem Bürgermeister von Diyarbakir Osman Baydemir auch die langjährig inhaftierte ehemalige Parlamentsabgeordnete Leyla Zana: „Die Kurden haben drei Genossen. Alle drei sind sehr wertvoll und haben ihren besonderen Platz im Herzen der Kurden“, erklärte Leyla Zana, die jetzt dem Parteirat der DTP angehört, auf kurdisch vor der jubelnden Menge. „Da ist zuerst Onkel Jalal, der Präsident des Irak. Er ist ein kurdischer Anführer und glaubt an die Brüderlichkeit, er akzeptiert uns alle. Der zweite ist Onkel Masud, der Leiter der kurdischen Autonomieregion. Und der dritte ist derjenige, den ihr den Führer nennt: er ist der Wille des kurdischen Volkes wie wir alle in unserem Herzen wissen - Öcalan. Alle drei sind unser Stolz, unsere Ohren, Herzen und Hirne. Sie sind tief in unsere Herzen eingraviert.“ In türkischer Sprache fuhr Zana fort: „Die Kurden haben während der Dardanellen- und Zypern-Kriege bewiesen, dass sie die Türken nicht betrügen. Die Kurden müssen Respekt vor den Werten anderer Völker zeigen, währen sie ihre eigenen Werte hochhalten.“ Von der Regierung forderte Zana, eine Volksbefragung der Kurden, ob sie gleichberechtigt mit den Türken gemeinsam oder getrennt leben wollten. „Ich bin sicher, sie würden sich für das Zusammenleben mit den Türken entscheiden.“


Abdullah Öcalan selber hatte Jalal Talabani und Mesud Barzani in einer Botschaft zu Newroz dagegen aufgrund ihrer Kollaboration mit den US-Besatzern kritisiert. Der kurdische Volksführer warnte davor, den USA, die ihn 1999 an die Türkei ausgeliefert hatten, zu vertrauen. Die USA seien nicht im Nahen Osten, um dem kurdischen Volk zur Freiheit zu verhelfen, so Apo. Tatsächlich schwieg Washington, als nach Informationen der Patriotischen Union Kurdistans pünktlich zum Newroztag Einheiten der türkischen Armee zu einer grenzüberschreitenden Militäroperation in den von den USA besetzten Nordirak einrückten, um einen seit langem angekündigten Großangriff auf PKK-Stellungen vorzubereiten.


Nick Brauns


aus: Kurdistan Report Nr. 131, Mai/Juni 2007