junge Welt
31.12.2013
Der Puppenspieler
Der Prediger Fethullah Gülen
verkörpert den »tiefen Staat« in der Türkei. Seine politische Karriere begann
er in einer CIA-Zweigstelle zur Bekämpfung des Kommunismus
Von Nick
Brauns
In
Deutschland war der Name Fethullah Gülen bis zum
offenen Ausbruch des derzeitigen Machtkampfes zwischen der millionenstarken
Gemeinde (Cemaat) des pensionierten Imam und der
religiös-konservativen AKP-Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan kaum bekannt. Das US-amerikanische
Nachrichtenmagazin Time wählte den Prediger dagegen im April 2013 auf seine
jährliche Liste der 100 einflußreichsten
Persönlichkeiten. Gülens Laudator,
der ehemalige Türkei-Korrespondent der New York Times, Stephen Kinzer, nannte den Imam einen der »faszinierendsten
religiösen Führer«, der mit seiner »Botschaft der Toleranz Bewunderer in aller
Welt« erreiche. Gleichzeitig charakterisierte Kinzer
Gülen als »schattenhaften Puppenspieler«, der aufgrund seines immensen
Einflusses in seiner türkischen Heimat, wo seine Schüler Spitzenpositionen in
Regierung, Justiz und Polizei errungen haben, von ebenso vielen Menschen
gefürchtet wie geliebt werde.
Putschunterstützer
Tatsächlich
symbolisiert der 1938 im ostanatolischen Erzurum geborene Gülen die Kontinuität
des »tiefen Staates« in der Türkei seit den 50er Jahren. Schon als junger Mann
gehörte Gülen zu den Gründern der Erzurumer
Zweigstelle der »Vereine zur Bekämpfung des Kommunismus«, einer vom
US-Geheimdienst CIA aufgebauten Gladio-Struktur zur
Sammlung türkischer Faschisten. Ein fanatischer Haß
auf alles Linke ist bis heute ein ebenso prägendes Element von Gülens Weltanschauung wie sein großtürkischer Chauvinismus.
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre rief Gülen seine Anhänger zur Unterwanderung
der Polizei auf. Durch die zunehmende Kontrolle der Abteilungen zur Bekämpfung
von Korruption und organisierten Verbrechen sowie später auch der politischen
Polizei konnten die Gülenisten Belastungsmaterial zur
Ausschaltung ihrer Gegner sammeln oder diesen manipulierte »Beweise«
unterjubeln.
Gülen befürwortete die Militärputsche von 1971 und 1980 als notwendige
Säuberung der türkischen Nation von fremdländischen und unislamischen
Elementen. Die Militärs dankten es dem 1981 aus dem Staatsdienst ausgeschiedenen
Imam, indem sie dessen Gemeinde als Gegengewicht zur radikalen Linken
protegierten. Die politische Kaste – vom konservativen Staatspräsidenten Turgut
Özal über Ministerpräsidentin Tansu Ciller bis zum kemalistischen
Sozialdemokraten Bülent Ecevit – hofierte Gülen in den 1990er Jahren als
gemäßigt-religiöses Gegengewicht zur stark anwachsenden radikal-islamischen
Wohlfahrtspartei von Necmettin Erbakan. Als die Militärs am 28. Februar 1997
bei einem postmodernen Putsch den zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen
Erbakan zum Rücktritt zwangen, kam ihnen Gülen in einer Fernsehansprache zur
Hilfe. Anschließend geriet allerdings auch Gülen ins Fadenkreuz der Militärs.
Vor einem Ermittlungsverfahren floh er in die USA. Dort bekam Gülen dauerhaftes
Aufenthaltsrecht. Alte CIA-Kontakte dankten es ihm so, daß
er ihnen in den 80er Jahren bei Operationen in den zentralasiatischen Turkrepubliken der Sowjetunion geholfen hatte. Obwohl alle
Verfahren in der Türkei eingestellt wurden, lebt Gülen bis heute in Pennsylvania.
Politische Differenzen
In der
Türkei konnte die um alle antiwestlichen Programmpunkte ihrer islamistischen
Vorgängerinnen gereinigte Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) in
Folge einer schweren Wirtschaftskrise Ende 2002 eine Alleinregierung bilden.
Doch der AKP fehlte es am nötigen Personal, um die Stellen im Staatsapparat zu
besetzen. Nun kam es zu dem Bündnis mit der Cemaat,
die bereits über Einfluß bei Polizei und Justiz
verfügte und rund ein Drittel der Wählerstimmen für die AKP beigesteuert haben
soll. Mit Massenverhaftungen und Schauprozessen entmachteten Erdogan und die Gülenisten ihre laizistischen Gegner in der Militär- und
Staatsbürokratie. Zum Gülen-Netzwerk gehörende Zeitungen wie Zaman und Taraf sorgten für mediale Unterstützung dieser Hexenjagd
auf AKP-Gegner, denen mit offenkundig gefälschten Beweisen die Bildung einer Putschistenloge namens Ergenekon
vorgeworfen wurde.
Nach der gemeinsamen Ausschaltung ihrer Gegner kommt es seit rund zweieinhalb
Jahren zu wachsenden Spannungen zwischen Erdogan und der Cemaat.
Es geht dabei um Posten und Pfründe wie lukrative öffentliche Aufträge im
boomenden Bausektor, aber auch um die politische Linie. So wollen die Gülenisten verhindern, daß
Erdogan sich 2015 zum nächsten Staatspräsidenten wählen läßt.
Politische Differenzen bestehen bezüglich der kurdischen Frage, wo Gülen zwar
durchaus kurdischsprachigen Unterricht an seinen
Privatschulen befürwortet, aber Verhandlungen des Staates mit der PKK ablehnt.
Von Gülen-Juristen besetzte Sonderstaatsanwaltschaften haben seit 2009 rund
8000 kurdische Politiker einschließlich Bürgermeistern und Parlamentariern
verhaften lassen. Im Februar 2011 erließen Staatsanwälte sogar einen Haftbefehl
gegen Geheimdienstchef Hakan Fidan wegen Landesverrats, weil dieser in Erdogans Auftrag Gespräche mit der PKK geführt hatte. Im
Oktober 2011 rief Gülen dann in einer Fernsehansprache die Armee im Namen
Allahs und der nationalen Einheit zum Massenmord an kurdischen Aktivisten auf.
Erdogans Ankündigung zur Schließung Tausender
privater Nachhilfeschulen, die eine wichtige Einnahmequelle und zentraler Ort
der Nachwuchsrekrutierung für die Cemaat sind, kam im
November einer offenen Kriegserklärung gleich. Die Antwort der Gülenisten sind die öffentlichen Korruptionsermittlungen
gegen führende AKP-Politiker aus Erdogans direktem
Umfeld einschließlich mehrerer inzwischen zurückgetretener Minister. Deutlich
wird dabei, daß sich die Cemaat
und Erdogan immer mißtraut hatten. Während Erdogans Geheimdienst Dossiers über die Gülenisten
anlegen ließ, sammelten diese im Polizei- und Justizapparat Belastungsmaterial
gegen korrupte AKP-Politiker.
Junge Welt 31.12.2013
Rote Linien überschritten
Von Nick
Brauns
In der
Türkei findet derzeit ein Justizputsch gegen die Regierung von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan statt. Im
Hintergrund ziehen die USA und die Israel-Lobby die Fäden. Das ausführende
Werkzeug ist die Gülen-Gemeinde, die mit ihren Kadern im Polizei- und
Justizapparat einen Parallelstaat gebildet hat. Neuer Vertrauensmann für den
Westen ist der von der Gülen-Gemeinde unterstützte, ebenfalls der regierenden
AKP angehörende Staatspräsident Abdullah Gül. Die weltweit operierende Gülen-Cemaat mit ihrer neoliberalen Ausrichtung, ihrer
Frontstellung zum schiitischen Iran bei gleichzeitiger wohlwollender Toleranz
gegenüber Israel erscheint dabei als natürlicher Verbündeter der US-Regierung.
Der Türkei war von den USA im Rahmen ihres Projektes »Größer Mittlerer Osten«
die Aufgabe einer prowestlichen Führungsmacht für die islamische Welt
zugedacht. Nachdem im Zuge des »Arabischen Frühlings« in Tunesien und Ägypten
Parteien der Muslimbruderschaft an die Regierung
kamen, wuchs der Einfluß der ebenfalls dieser
politischen Tradition entstammenden AKP. Vor diesem Hintergrund sahen die USA
auch über Erdogans antiisraelische Ausfälle etwa beim
Wirtschaftsforum in Davos 2009 oder nach dem Angriff Israels auf die »Free
Gaza«-Flotte 2010 hinweg.
Doch als Erdogan im Sommer mit Massenprotesten konfrontiert war, gab es bereits
deutliche Kritik der US-Regierung und der EU an seinem harten Vorgehen. In den
Augen des Westens entpuppte er sich zunehmend als Gefahr für die Stabilität der
geopolitisch wichtigen Türkei. Mittlerweile wurden in Ägypten die Muslimbrüder vom Militär wieder von der Macht verdrängt,
während es im syrischen Bürgerkrieg bislang nicht gelungen ist, Präsident Baschar Al-Assad durch eine von den syrischen Muslimbrüdern gebildete Regierung zu stürzen. Gleichzeitig
leistete die AKP massive logistische Unterstützung für Tausende über die Türkei
nach Syrien strömende Gotteskrieger des Al-Qaida-Netzwerkes, um mit ihrer Hilfe
die Etablierung einer kurdischen Selbstverwaltungsregion entlang der türkischen
Grenze zu verhindern. In den Augen der USA und Israels ist diese Al-Qaida-Präsenz,
die sich auch gegen die prowestlichen Einheiten der Freien Syrischen Armee
wendet, zu einem massiven Problem angewachsen.
Eine weitere von den USA gesetzte rote Linie überschritt Erdogan, als die
staatliche Halkbank mit Hilfe dubioser Geschäftsleute
das von Washington verhängte Embargo gegen Iran mit Goldtransaktionen
unterlief. Bereits im Frühjahr hatten türkische Medien berichtet, daß die Israel-Lobbby AIPAC und
47 US-Senatoren von der US-Regierung deswegen Sanktionen forderten. Am 17. Dezember
wollte der türkische Wirtschaftsminister Zafer Caglayan zu Gesprächen in den
Iran fliegen. An diesem Tag begannen die Razzien gegen die der Korruption
beschuldigten AKP-Politiker und Geschäftsleute.