Junge Welt 21.02.2009 / Geschichte / Seite 15

»Rache für Eisner!«

Vor 90 Jahren: Die Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten und die Schüsse im Landtag

Von Nick Brauns

Es ist der 21. Februar 1919. Um kurz vor zehn verläßt der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner in Begleitung seines Sekretärs Felix Fechenbach, eines Mitarbeiters des Außenministeriums und zweier Leibwächter seine Dienstwohnung im Münchner Palais Montgelas. An der Ecke des Gebäudes wartet der 22jährige Leutnant Anton Graf Arco. Er nähert sich Eisner von hinten, zieht eine Pistole aus der Manteltasche und schießt dem Ministerpräsidenten direkt ins Genick. Eisner ist sofort tot. In seiner Tasche befindet sich das Manuskript für seine Rücktrittserklärung, die er an diesem Tag im Landtag verlesen wollte. Damit endeten »die hundert Tage der Regierung Eisner«, die – so Heinrich Mann – »mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die fünfzig Jahre vorher«.

Am 7.November 1918 hatte der Vorsitzende der Münchner Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), Kurt Eisner, auf einer Friedensdemonstration von 80000 Arbeitern, Soldaten und Bauern auf der Münchner Theresienwiese zum Sturz des Königs aufgerufen. Die kriegsmüden Massen schlossen sich diesem Ruf an, die Soldaten aus den Kasernen liefen zu den Revolutionären über, und König Ludwig III. ergriff die Flucht. Noch in der Nacht zum 8. November verkündete Eisner als provisorischer Ministerpräsident: »Bayern ist fortan ein Freistaat«. Das Regierungsprogramm von Eisner, der sogar den königstreuen Vorsitzenden der bayerischen SPD Erhard Auer als Innenminister in sein Kabinett nahm, war keineswegs radikal. Ein Rätesystem nach russischem Vorbild lehnte er ab, die Räte sollten lediglich ein Mittel zur Erziehung der Bevölkerung zur Demokratie in Ergänzung zum Parlament sein.

Pressehetze

Doch von Anfang an war Eisner als »Preuße«, Jude und Sozialist dem besonderen Haß aller reaktionären Kräfte ausgesetzt. Er sei ein »ostjüdischer und galizischer Schriftsteller«, der eigentlich »Salomon Koschinsky« heiße und das Bayernvolk aus persönlicher Eitelkeit ins Verderben führen wolle, lautete ein verbreitetes Gerücht. Als Zentrale der Gegenrevolution, die solche auch von der liberalen Presse kolportierten antisemitischen Gerüchte produzierte, diente die völkische Thule-Gesellschaft, die das Hakenkreuz zu ihrem Symbol erwählt hatte. Arco gehörte dem Umfeld der Thule-Gesellschaft an. Mitglied durfte er nicht werden, da er »von der Mutter her Judenblut in den Adern« habe.

Die Pressehetze steigerte sich, als Eisner in der Hoffnung auf einen Verständigungsfrieden mit den Alliierten Dokumente zur deutschen Kriegsschuld aus diplomatischen Archiven veröffentlichte. »Alle, mit denen ich zusammentreffe, rechnen mit einem Attentat auf Eisner«, vermerkte Dr. Herbert Field, US-amerikanischer Repräsentant der Kommission für die Friedensverhandlungen, in seinem Tagebuch.

Auch als Folge der Pressehetze erlitt Eisners USPD bei der Landtagswahl am 12. Januar mit 2,5 Prozent eine vernichtende Niederlage, während die konservative Bayerische Volkspartei auf 35 und die SPD auf 33 Prozent kamen. Die neugegründete und in München von den Anarchisten um Erich Mühsam beeinflußte KPD hatte die Wahlen boykottiert.

Die Wahlniederlage und die Nachrichten von der blutigen Gegenrevolution in Berlin führten zu einer Radikalisierung Eisners. Am 16. Januar, einen Tag nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, fuhr der noch amtierende Ministerpräsident an der Spitze einer von der KPD und dem Revolutionären Arbeiterrat initiierten Massendemonstration »der revolutionären Wachsamkeit« im offenen Wagen mit. Trotz aller Proteste aus der SPD distanzierte sich Eisner nicht von den dort getragenen Transparenten »Hoch die Räterepublik! Hoch die Bolschewiki!« In seiner letzten Rede am 20. Februar rief Eisner vor den Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten zur Fortführung der Revolution auf. »Die zweite Revolution wird kein Plündern und kein Straßenkampf sein, die neue Revolution ist die Sammlung der Massen in Stadt und Land, die ausführt, was die erste Revolution begonnen hat.«

Ausgerechnet Eisners Ermordung sollte das Fanal der zweiten Revolution werden. »Wir waren wie vernichtet. Diese Schüsse galten nicht dem einen Manne, sie galten der Freiheit, der Revolution«, heißt es in den Aufzeichnungen des 1887 in Niederbayern geborenen Metzgers Alois Lindner, einem Mitglied des Revolutionären Arbeiterrates, der als Matrose die Welt bereist und als Cowboy in den USA gearbeitet hatte. »Wer war der geistige Urheber dieses Mordes? Her mit dem Schuldigen. Viele Namen schwirrten durch die Luft. Der Name eines Mannes tauchte immer und immer wieder auf, ging unter in dem erregten Meer, sprang wieder auf wie ein Ball aus der Tiefe, alles sichtbar, der Name Auer!«

Der Gedanke war naheliegend. Als Innenminister hatte Auer nichts unversucht gelassen, das Wirken der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte zu sabotieren. Das Weihnachtsfest 1918 feierte er mit Arco und weiteren Gegenrevolutionären. Noch zwei Tage vor Eisners Ermordung war Auer in einen Putschversuch verwickelt. Und dem nach seinem Mordanschlag von Eisners Leibwächtern verletzten Eisner-Mörder hatte Auer gar Blumen ins Krankenhaus schicken lassen.

Radikale Gegenwehr

»Wie einen Posaunenstoß hörte ich eine Stimme: ›Räche den Ermordeten!‹, so Lindner, dem ein gerichtsärztliches Gutachten später eine »erregbare psychopathische Persönlichkeit« unterstellte. Mit einem Browning bewaffnet, stürmte er in den Plenarsaal des Landtags, wo Auer gerade die Nachricht von Eisners Ermordung verkündete. »Eine verzehrende Flamme brannte in mir. Die Tränen des Zorns, die nach Innen stürzten, schlugen Flammen in meiner Seele. Ich hob den Arm. Die aufzuckenden Blitze aus der Pistole zerrissen den Schleier vor meinen Augen.« Auer brach schwer verwundet zusammen, ein weiterer Abgeordneter und ein Offizier waren sofort tot. »Ruft und schreit nicht mehr nach Rache! Ich habe den Toten gerächt!«

Die Landtagsabgeordneten waren in Panik auseinandergerannt. Die Macht lag nun bei einem von SPD, USPD und KPD gebildeten Zentralrat der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte unter dem Vorsitz von Ernst Niekisch. Ein dreitägiger Generalstreik wurde ausgerufen, Waffen an die Arbeiterschaft wurden verteilt und die Redaktionen bürgerlicher Zeitungen besetzt.

Eisners Bestattung am 26. Februar wurde zu einer revolutionären Kundgebung von 100000 Trauernden. »Als Attentat auf die Revolution wurde die Bluttat denn auch vom Proletariat bewertet, und es war nur natürlich, daß im Augenblick nach seiner Ermordung sich alle Sympathien Eisner wieder zuwandten. Er war mit seinem Tode zum Symbol der bayerischen Revolution geworden«, schrieb Erich Mühsam.

Arco, dessen »patriotische« Tatmotive vor Gericht gewürdigt wurden, wurde 1920 zum Tode verurteilt, das Urteil aber schon am nächsten Tag in Festungshaft umgewandelt. 1924 wurde er begnadigt. Lindner unterstellte das Gericht dagegen eine »niedrige Gesinnung« und verurteilte ihn zu 14 Jahren Zuchthaus. Nach einer Kampagne der Roten Hilfe kam er 1928 durch Amnestie frei. Er emigrierte Anfang der 30er Jahre in die Sowjetunion, wo er als Agitator arbeitete und in der Roten Armee kämpfte. Dort verlieren sich 1943 seine Spuren.

Oskar Maria Graf über die Stunden nach Eisners Ermordung

Man schrieb den 21. Februar. Der Landtag sollte heute eröffnet werden. Es war klarkalt. Ich rannte, so wie ich war, ohne Hut und Mantel weiter. Alles in mir war durcheinandergewühlt. Die Glocken von allen Türmen fingen zu läuten an, die Trambahnen hörten mit einem Mal zu fahren auf, da und dort stieß jemand eine rote Fahne mit Trauerflor zum Fenster heraus, und eine schwere, ungewisse Stille brach an. Alle Menschen liefen mit verstörten Gesichtern stadteinwärts. Je weiter ich kam, desto aufgeregter wurde die dumpfe Hast. Vor dem Landtag ballte sich ein schwarzer Menschenknäuel, Soldaten und bewaffnete Zivilisten waren darunter. Ich stürmte weiter in die Promenadestraße, an den Mordplatz. Da hatten sich Hunderte schweigend um die mit Sägespänen bedeckten Blutspuren Eisners zu einem Kreis gestaut. Fast niemand sagte ein lautes Wort. Frauen weinten leis und auch Männer. Etliche Soldaten traten in die Mitte und errichteten eine Gewehrpyramide. Dem einen rannen dicke Tränen über die braunen Backen herunter. »Unser Eisner! Unser einziger Eisner!« klagte eine Frau laut auf, und jetzt wurde das Weinen vernehmbarer. Viele legte Blumen auf den Platz, immer mehr und immer mehr. Plötzlich fuhr vorne am Promenadenplatz ein vollbesetztes Lastauto mit dichten Fahnen und Maschinengewehren vorüber, und laut schrie es herunter: »Rache für Eisner!«

Aus: Oskar Maria Graf: Wir sind Gefangene, Berlin 1928, 256 f.