Junge Welt 14.07.2012
/ Geschichte / Seite 15
Klassenjustiz
Vor 90 Jahren: Nach dem Mord an Reichsaußenminister
Walter Rathenau wurde das Republikschutzgesetz erlassen
Von Nick
Brauns
Mitten auf der vielbefahrenen
Königsallee im Berliner Villenviertel Grunewald wurde Reichsaußenminister
Walter Rathenau am 24. Juni 1922 in seinem offenen Auto aus einem
vorbeifahrenden Wagen heraus mit Schüssen aus einer Maschinenpistole und mit
einer Handgranate ermordet. Der Industrielle Rathenau, der der liberalen
Deutschen Demokratischen Partei angehörte, war der herausragende Vertreter
einer Entspannungspolitik mit den Westmächten. Aufgrund dieser
»Erfüllungspolitik« bei den Reparationszahlungen, aber auch wegen seiner
Unterschrift unter dem Rappallo-Vertrag mit Rußland und nicht zuletzt als Jude war Rathenau für die
völkische Rechte der meistgehaßte Politiker der
Weimarer Republik. »Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverdammte Judensau!« sang man an den Stammtischen, während der
deutschnationale Abgeordnete Karl Helfferich noch am
Tag vor Rathenaus Ermordung dazu aufrief, die Reichsregierung für ihre
»verbrecherische Politik (…) vor Gericht zu stellen«.
Strategie der Spannung
Der Mord an Rathenau reihte sich ein in eine Kette politischer Morde an
führenden Vertretern der Linken und des republikanischen Lagers, die Anfang
1919 mit der Ermordung der KPD-Gründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch
Freikorps in Berlin und des sozialistischen bayerischen Ministerpräsidenten
Kurt Eisner in München begonnen hatte. Im Juni 1921 wurde in München der
sozialistische Landtagsabgeordnete Karl Gareis
erschossen. Im August desselben Jahres ermordeten zwei ehemalige
Marineoffiziere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger. Die Täter gehörten
meist der Organisation Consul (O.C.) an. Die
Mordanschläge dieser von Korvettenkapitän Hermann Erhardt geführten Geheimloge
waren Teil einer Strategie der Spannung, mit der die Reichsregierung gestürzt
und die Kommunisten zum Aufstand provoziert werden sollten. Dieser sollte dann
von Freikorps niedergeschlagen werden, um einer nationalen Diktatur den Weg zu
ebnen.
Der Anschlag auf Rathenau sorgte parteiübergreifend für Bestürzung. Am Tag nach
dem Attentat hielt Reichskanzler Joseph Wirth von der katholischen
Zentrumspartei eine Rede, die er – in Richtung der deutschnationalen
Abgeordneten – mit den Worten beschloß: »Da steht der
Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind
– und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!«
Während an diesem Tag Millionen Arbeiter in einen Proteststreik gegen die
Konterrevolution traten, einigten sich Vertreter von SPD, Unabhängiger
Sozialdemokratie (USPD) und Kommunistischer Partei (KPD) sowie der Gewerkschaften
auf ein »Berliner Abkommen«. Darin wurden Regierung und Reichstag zum Verbot
und der Auflösung aller monarchistischen und republikfeindlichen Vereinigungen,
zur Säuberung des Staatsapparates von Republikfeinden und zur Einsetzung eines
außerordentlichen Gerichtshofs gegen konterrevolutionäre Umtriebe aufgefordert.
Für diese Ziele gingen am 4. Juli landesweit große Massen auf die Straße. Doch
nachdem am 12. Juli im Reichstag alle entsprechenden Anträge der
Arbeiterparteien von den bürgerlichen Parteien niedergestimmt wurden, warnte
die KPD: »Der Bürgerblock macht aus dem Schutzgesetz der Republik ein Trutzgesetz gegen die Arbeiterklasse.«
Während die KPD auf einen Generalstreik orientierte, befürchteten die
sozialdemokratischen Führer bei einem Weitertreiben der Protestbewegung einen
Bruch mit der Zentrumspartei und den Liberalen in der Reichsregierung.
Mit den Stimmen von SPD, USPD, Zentrum und DVP beschloß
der Reichstag am 18. Juli, zwei nach dem Mord an Rathenau erlassene
Notverordnungen in einem Gesetz zum Schutze der Republik zusammenzuführen. Die
KPD hatte diesem am 21. Juli in Kraft tretenden Gesetz nicht zugestimmt, da es
auch zur Verfolgung der revolutionären Linken dienen konnte. Das Gesetz
bedrohte nicht nur denjenigen mit schweren Strafen, der »an einer Vereinigung
oder Verabredung teilnimmt, zu deren Bestrebungen es gehört, Mitglieder einer
republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes durch den Tod zu
beseitigen«. Auch sonstige Bestrebungen zur Untergrabung der republikanischen
Staatsform und selbst Schmähungen des Staates durch Versammlungsreden fielen
darunter.
Urteile gegen links
Für Anklagen nach dem Republikschutzgesetz wurde ein Staatsgerichtshof zum
Schutze der Republik gebildet. Nur drei der neun vom Staatspräsidenten
ernannten Mitglieder dieses Gerichtes mußten Richter
des Reichsgerichts sein. Dahinter stand die Intention der republikanischen
Parteien, eine Mehrheit gegenüber den noch im Kaiserreich erzogenen
reaktionären Berufsjuristen zu erhalten. Doch schon unter Reichspräsident
Friedrich Ebert (SPD) wurden auch konservative Mitglieder ernannt und sein
Nachfolger Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg erwählte bevorzugt
pensionierte kaiserliche Richter, so daß der
Staatsgerichtshof von einer rechten Mehrheit dominiert wurde.
Anwendung fand das Republikschutzgesetz vor allem gegen die KPD, gegen die sich
1924 Zweidrittel und danach bis zur 1926 erfolgten Auflösung des
Staatsgerichtshofs sämtliche Urteile des Staatsgerichtshofes richteten. Alleine
1925 wurden in nach Schablone gefällten Urteilen aufgrund des
Republikschutzgesetzes 84 Kommunisten zu Zuchthaus und 185 zu Gefängnis
verurteilt. Betroffen waren Parteifunktionäre ebenso wie Plakatkleber;
Buchhändler, die marxistische Literatur vertrieben, ebenso wie Schauspieler,
die revolutionäre Gedichte rezitiert hatten. Der auf völkische Fememörder
zugeschnittene Tatbestand der »Mörderverbindung« des Republikschutzgesetzes kam
lediglich einmal zur Anklage – gegen mutmaßliche Angehörige des geheimen
Militärapparates der KPD. Während Kommunisten wegen Zugehörigkeit zu einer
»geheimen staatsfeindlichen Verbindung« nach Paragraph 129 zu Zuchthaus oder
Gefängnis verurteilt wurden, ignorierte der Staatsgerichtshof bei den rechten
Fememördern ihre Zugehörigkeit zu völkischen Untergrundverbänden. Als scheinbar
individuelle Überzeugungstäter kamen diese in den Genuß
der als »Ehrenhaft« geltenden Festungshaft ohne Arbeitszwang mit
Haftvergünstigungen. Auch die Ermordung Rathenaus wollten die Richter nicht im
Rahmen einer konterrevolutionären Verschwörung sehen. Sie attestierte den zu
Haftstrafen verurteilten Mittätern lediglich »blindwütigen Judenhaß«
als Tatmotiv. Bayern, wo viele gegenrevolutionäre Organisationen eine Heimat
gefunden hatten, verweigerte jede Kooperation mit dem Staatsgerichtshof. So
wurde Adolf Hitler nach seinem Putschversuch im November 1923 von einem
Münchner Volksgericht als »ehrenvoller Hochverräter« zu Festungshaft verurteilt
und nach wenigen Monaten amnestiert.
»Der Staatsgerichtshof und das Gesetz zum Schutze der Republik wurden in der
Praxis genau das, was die Linke befürchtet hatte: neue politische Waffen zur
Bekämpfung der Kommunisten«, heißt es in der bekannten Untersuchung von
Heinrich und Elisabeth Hannover »Politische Justiz 1918-1933«. »Der Feind, der
rechts stand, (…), wurde auch von diesem Gericht in empörend einseitiger
Rechtsanwendung geschont.« Daran gilt es heute zu
erinnern, wenn angesichts neonazistischer Mörderbanden auch von linker Seite
mitunter leichtfertig nach Gesetzesverschärfungen und Verboten gerufen wird,
anstatt auf antifaschistische Selbstaktivität zu bauen.
Quelle: »Scharfe Waffe gegen das Proletariat«
Die Führer der Gewerkschaften und
der beiden sozialdemokratischen Parteien »lehnten es ab, die Arbeiterschaft zum
Kampf aufzurufen, weil sie nicht den Kampf gegen die Koalitionsregierung und
die Burgfriedenspolitik wollten. Und der Druck der Arbeiterschaft auf diese
Führer war nicht stark genug, um sie zum wirklichen Kampf um die aufgestellten
Forderungen zu zwingen. Das Berliner Abkommen ist nicht erfüllt! Gegen die
monarchistischen und gegenrevolutionären Organisationen, Zeitungen und
Kundgebungen ist so gut wie nichts unternommen worden. Keiner der
konterrevolutionären Führer ist verhaftet worden. Eine Säuberung der Reichswehr,
Schupo, Behörden und Gerichte von monarchistischen Elementen ist nicht erfolgt.
(…) Das Gesetz zum Schutze der Republik wird in der Hand der monarchistischen
Bürokratie eine scharfe Waffe gegen das Proletariat werden. Schon werden auf
Grund des Gesetzes Zeitungen der Kommunisten und der Unabhängigen verboten und
Anklagen gegen die Redakteure erhoben.«
Aufruf der Zentrale der KPD vom 23. Juli 1922 zur
Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes zum Schutze der Republik (in: Dokumente und
Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. VII/2, Berlin
1966 S. 122.)