Ronahi –
Zeitschrift des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan YXK
April 2011
Interview
mit Nick Brauns
Dr.
Nikolaus Brauns, geb. 1971 in München, ist Historiker, Journalist und Autor. Er
arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Bundestagsbüro der
Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE.), schreibt regelmäßig für die linke,
antiimperialistische Tageszeitung junge Welt zu politischen Entwicklungen in
der Türkei und Kurdistan. Er ist im Kurdistan-Solidaritätskomitee Berlin aktiv
und hat im letzten Jahr gemeinsam mit Rechtsanwältin Brigitte Kiechle das Buch
"PKK - Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen
Selbstbestimmung, EU und Islam" veröffentlicht.
Die Fragen:
- Wie wurde das Buch, das du mit
Brigitte geschrieben hast, aufgenommen? Wurdet ihr bisher oft zu Lesungen
eingeladen, hat es sich gut verkauft, wie waren die Kritiken und Reaktionen?
Bevor das Buch auf dem Markt war, zeigte sich unser
Verleger vom Schmetterling-Verlag in Stuttgart sehr skeptisch, ob jemand ein so
dickes und deswegen leider auch teures Buch kauft. Einige Buchhändler hatten
zudem Bestellungen des Buches mit dem Argument abgelehnt, die PKK sei doch
verboten. Doch schon kurz nach Erscheinen des Buches im Mai letzten Jahres
hatten sich bereits mehrere hundert Exemplare vor allem durch Mundpropaganda
unter der kurdischen Community und der
Kurdistan-Solidarität verkauft, so dass nachgedruckt werden musste. Dazu kamen
dann gute Besprechungen unter anderem in den Tageszeitungen jungen Welt, Neues
Deutschland und Yeni Özgür Politika. Besonders
gefreut hat mich, dass im Februar 2011 auch der Westdeutsche Rundfunk in seiner
Fernsehsendung Planet Wissen unser Buch ausdrücklich empfohlen hat – neben Karl
Mays Roman „Durchs wilde Kurdistan“! Von fast allen Rezensenten wurde unsere
kritisch-solidarische Herangehensweise gelobt, mit der wir auch kritische und
für viele deutsche Leser schwer nachvollziehbare Themenkomplexe wie den
ausgeprägten Personenkult um Abdullah Öcalan sachlich dargestellt und
hinterfragt haben. Wir hatten schon eine Reihe gut besuchten Lesungen bei
sozialistischen Organisationen, in kurdischen Vereinen, bei YXK-Gruppen und
einmal sogar mit einem Döner-Imbiss als Veranstalter. Doch wir sehen unser Buch
auch als einen Diskussionsbeitrag zur Lösung der kurdischen Frage. Unserer
Meinung nach müsste eine Lösungsstrategie über ein Bündnis der kurdischen
Befreiungsbewegung mit der Arbeiterbewegung in der Westtürkei verlaufen und
neben der demokratischen auch eine antikapitalistische Agenda enthalten. Wir
hatten gehofft, hier eine Diskussion anzustoßen, doch das ist noch nicht
ausreichend gelungen.
- Zum Buch: Ihr greift in ihm Abdullah
Öcalans Staatskritik an, indem ihr dieser eine mangelnde Kenntnis der
Marxistischen Theorie attestiert. Meinst du nicht, dass Öcalans anarchistische
Kritik an Herrschaft, der Mentalität des Staates, und das von manchen
"radikalen MarxistInnen-LeninistInnen" als
Reformismus abgetane Konzept des Demokratischen Konföderalismus
im gegenwärtigen Kontext der kurdischen Frage eine Notwendigkeit darstellt?
Ich würde nicht sagen, dass wir Apo
angreifen. Es ist eher eine solidarische Kritik unter Genossen. Und es geht
hier um Definitionsfragen. Aus marxistischer Sicht
ist auch ein Rätesystem, wie es der Demokratische Konföderalismus
vorsieht, eine Form des Staates. Auch die Sowjetunion war nach der Revolution
erst einmal so ein Rätesystem. Sowjet heißt ja nichts anderes als Rat. Dass
daraus dann ein absoluter Staat wurde, dessen Bürokratie schließlich die Errungenschaften
der Revolution erdrückte, lag nicht an einer falschen Denkweise der russischen
Revolutionäre oder an einem zu staatskonzentrierten Programm. Lenin und die
Bolschewiki verstanden die Räterepublik schon als einen ersten Schritt zur
Abschaffung des Staates überhaupt. Denn im marxistischen Verständnis hat sich
der Staat in der Geschichte als Unterdrückungsinstrument der jeweils
herrschenden Klasse über die Ausgebeuteten gebildet. Die Voraussetzung für ein
Ende eines jeden Staates ist damit das Ende der Klassengesellschaft im
Kommunismus. Doch solange es noch Klassen mit unterschiedlichen, ja
gegensätzlichen Interessen gibt, wird auch eine Räterepublik noch ein Staat in
dem Sinne sein, dass sie Zwangsmaßnahmen gegen Menschen anwenden muss. Dies ist
die „Diktatur des Proletariats“, die zwar eine weitestgehende Demokratie für
die Mehrheit der Bevölkerung ist, aber gegenüber ihren Feinden sich auch
autoritär zu wehren weiß. Die in den 1920er Jahren einsetzten Fehlentwicklungen
in Russland hatte bestimmte materielle und historische Ursachen wie die
Unterentwicklung Russlands, die Folgen von Krieg und Bürgerkrieg und eine
zunehmende Passivität der durch die revolutionären Kämpfe erschöpften
Bevölkerung. Diese Realitäten werden von anarchistischen Genossen leider häufig
vernachlässigt, wenn sie den Marxismus kritisieren.
Mit Apo sind wir uns völlig
einig, wenn wir in der Pariser Kommune von 1871 das Paradigma für jede
zukünftige freie Selbstorganisation des Volkes von der Basis bis in die Spitze
sehen. Die Kommune war wie Karl Marx damals ausdrückte allerdings auch „die endlich entdeckte politische Form, unter
der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“ Doch gerade
dieser letzte Aspekt kommt bei Apo bislang zu kurz. Dass
durch den demokratischen Konföderalismus eine
Kulturrevolution in Kurdistan ausgelöst wurde, indem ein seit Jahrtausenden im
passiven Verharren gegenüber einem allmächtigen Staat erzogenes Volk sich
demokratisch selbst zu organisieren beginnt, kann gar nicht genug betont werden.
Doch ob der demokratische Konföderalismus als
reformistisch oder revolutionär zu beurteilen ist, kann nicht allein aus seiner
Form abgeleitet werden sondern nur aus seinen Inhalten. Das Konzept des
demokratischen Konföderalismus ist ja in einem
ständigen Fluss des Erprobens und Diskutierens begriffen. Fest stehen lediglich
die Kernelemente demokratischer Selbstorganisation in Räten und
Geschlechtergerechtigkeit. Viele entscheidende Fragen sind dagegen noch offen.
Zum Beispiel gibt es noch keine klaren Vorstellungen über eine zukünftige
wirtschaftliche Entwicklung Kurdistans. Der BDP-Co-Vorsitzende Selahattin
Demirtas hat vor einigen Monaten erklärt, dass ein kapitalistisches
Entwicklungsmodel wie in Südkurdistan für Nordkurdistan ungeeignet sei und auch
Apo hat wiederholt Alternativen zur kapitalistischen
Moderne gefordert. Doch wie diese konkret ausschauen können, ob
Genossenschaften aufgebaut werden sollen und inwieweit es demokratisch
beschlossene landesweite Pläne für eine industrielle Entwicklung geben soll,
bleibt bislang unklar. Wir halten zum Beispiel eine Bodenreform in Kurdistan
für unverzichtbar. Das Agha-Land muss an die landlosen Bauern, an perspektivlos
in den Elendsvierteln der Städte lebende Flüchtlinge und auch an ehemalige
Dorfschützer verteilt werden, die ein neues Einkommen brauchen, wenn sie keine
Staatsmilizen mehr sind. Doch freiwillig werden die Aghas ihr Land nicht
hergeben – auch nicht, wenn dies in den konföderalen
Räten so demokratisch beschlossen wird. Noch nirgendwo in der Geschichte hat
eine herrschende Klasse freiwillig auf ihr Eigentum und ihre Privilegien
verzichtet. Dazu wird Zwang nötig sein, der Zwang von demokratisch
aufgestellten Selbstverteidigungskräften des demokratischen Konföderalismus.
Dies wäre dann ein revolutionärer Akt.
-
Ihr schreibt weiter, dass "die Diskussion um das Matriarchat stark biologisierend geführt" würde. An dieser Stelle des
Buches haben wir uns in unseren Lesekreisen stark gestoßen. Habt ihr deiner
Meinung nach bei dieser Aussage genau genug zwischen der Annahme der matrizentrischen natürlichen Gesellschaft und ihrem Göttinnenmythos auf der einen und der Vorstellung einer
künftigen geschlechtergerechten Gesellschaft als Leitidee für die aktuelle
Politik auf der anderen Seite differenziert?
Wir haben versucht, zwischen der unserer Meinung nach
unwissenschaftlichen Herleitung der
Frauenbefreiungsideologie innerhalb der kurdischen Bewegung einerseits und der beeindruckenden
politischen Praxis andererseits zu unterscheiden. Die führende Rolle der Frauen
in der kurdischen Revolution wird ja sowohl in Apos
Büchern als auch in den Texten der Frauenbewegung häufig mit angeblich
angeborenen weiblichen Eigenschaften wie Pazifismus im Unterschied zum
kriegerischen Wesen des Mannes begründet oder gar aus einer angenommenen matrizentrischen Urgesellschaft der Meder abgeleitet. Es
wird nicht oder zu wenig hinterfragt, aufgrund welcher gesellschaftlicher
Realitäten es im Laufe der Geschichte zu solchen Charakterzuschreibungen kommen
konnte. Brigitte und ich hatten diese Diskussionen übrigens auch nächtelang mit
Guerillakämpferinnen in den Kandil-Bergen. Unabhängig
von einer solchen Herleitung sehen wir in der
massenhaften Beteiligung von Frauen nicht nur den dynamischsten Teil des
kurdischen Befreiungskampfes sondern auch einen Garanten gegen mögliche
neoliberale oder religiöse Anpassungstendenzen. Wir denken aber, dass
Geschlechtergerechtigkeit nicht nur eine Frage der richtigen feministischen Denkweise,
der Ausbildung und Selbstorganisation der Frauen und der Erziehung der Männer
ist, sondern materielle Grundlagen braucht. So ist uns zum Beispiel
aufgefallen, dass im Flüchtlingslager Maxmur zwar ein
Frauenrat in allen wichtigen Fragen mitentscheiden kann, aber es keine
gemeinsamen Volksküchen gab. So war die Masse der Frauen weiterhin gezwungen,
einen Großteil des Tages mit der individuellen Nahrungszubereitung für ihre
Familien zu verbringen. Die Existenz der Frauenguerilla hat für das Selbstbild
und Selbstbewusstsein kurdischer Frauen unschätzbare Dienste geleistet. Doch
„in die Berge gehen“ kann nicht der Weg der Befreiung für alle Kurdinnen sein.
Notwendig ist die Schaffung von Frauenarbeitsplätzen, um Frauen eine von ihren
Männern oder Familien unabhängige Erwerbsquelle als Voraussetzung ihrer
Freiheit zu bieten. Ein Vorbild ist hier beispielsweise die Frauenbäckerei mit
Kaffee in Dersim. Es reicht auch nicht, die Aghas und
Kapitalisten davon zu überzeugen, dass sie keine vier Frauen haben dürfen. Es
geht darum, ihnen auch die materielle Möglichkeit dazu zu nehmen, sich mehrere Frauen
leisten zu können. Das erfordert allerdings Eingriffe in das Eigentum des Aghas
oder Kapitalisten zugunsten der Allgemeinheit.
- Eine Frage, die dir sicherlich schon
oft gestellt wurde: Wie bist du zu der kurdischen Frage gekommen und warum ist
es für eine deutsche Linke wichtig sich mit ihr auseinanderzusetzen?
Meine ersten Kontakte zu Kurden bekam ich im Golfkrieg
1991. Auf einer Antikriegsdemonstration in München traf ich eine Gruppe von
Demonstranten, die eine mir unbekannte Fahne trugen – die damals noch erlaubte
ERNK-Fahne. Ich kannte diese Fahne nicht und habe lange vergeblich versucht,
das Land zu erraten. Dann hat mir einer dieser Genossen erklärt, dass das die
kurdische Fahne ist, aber es kein Land dazu gibt. Im November 1993 wurde die
PKK vom Bundesinnenministerium verboten. Wir haben dies innerhalb der revolutionär-marxistischen
Organisation, der ich damals angehörte, so eingeschätzt, dass sich dieses
Verbot nicht nur gegen eine Partei, sondern gegen alle Kurden und in der
Konsequenz gegen die Arbeiterbewegung und die demokratischen Rechte in
Deutschland richtet. Als 1994 im Namen des PKK-Verbots nicht mehr nur kurdische
Newroz-Feste verboten wurden, sondern auch eine
1.Mai-Demonstration des DGB, sollte das unsere Einschätzung völlig bestätigten.
Unsere Gruppe beteiligte sich damals gemeinsam mit anderen kommunistischen und
kurdischen Organisationen am Aufbau eines Kurdistan-Solidaritätskomitees, das
neben dem PKK-Verbot auch die deutschen Waffenlieferungen an die türkische
Armee thematisierte und sich für ein Bleiberecht kurdischer Flüchtlinge
einsetzte. Dass wir bald ebenso wie die kurdischen Genossen von der Polizei
attackiert und unsere Wohnungen durchsucht wurden, zeigte uns, dass wir den
deutschen Staat ganz offensichtlich an einem wunden Punkt getroffen hatten.
Schon das PKK-Verbot wird ja mit außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik
begründet. Als Abnahmeland für deutsche Exportgüter und als Brücke zu den
Märkten Asiens, als Energiedrehscheibe für bestehende und geplante Öl- und
Gaspipelines aus dem Kaukasus und Mittleren Osten und als NATO-Partner hat die
Türkei eine geopolitisch enorm wichtige Bedeutung für Deutschland. Den
Profitinteressen der deutschen Wirtschaft werden dabei heute die Menschenrechte
der Kurden geopfert, wie schon im ersten Weltkrieg das Schicksal der Armenier
der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft geopfert wurde. Solange die deutsche
Regierung und Wirtschaft Mittäter bei der Unterdrückung der Kurden in der
Türkei sind, sollte die kurdische Frage auch für die linke Bewegung in
Deutschland zentral sein – dazu kommt, dass in Deutschland mindestens 800.000
Kurdinnen und Kurden leben!
- Wie bewertest du die neu aufkommenden
Solidaritätsarbeiten zu Kurdistan in der BRD (z.B. Kurdistan
Solidaritätskomitees, Kampagne TATORT Kurdistan, Arbeiten zu dem Prozessen
gegen kurdische Jugendliche in Stuttgart)? Ein einseitiger Tropfen auf den
heißen Stein oder eine längst überfällige Wiederbelebung eines gemeinsamen
Kampfes?
Es ist uns innerhalb der letzten Jahre langsam wieder
gelungen, die kurdische Frage im Bewusstsein einer weiteren linken und demokratischen
Öffentlichkeit zu verankern. Ich würde aber nicht von der „Wiederbelegung eines
gemeinsamen Kampfes“ sprechen. Vielmehr ist es so, dass wir erstmals mit einem
solchen gemeinsamen Kampf beginnen. In den 90er Jahren haben sich viele
Kurdistan-Solidaritätsgruppen zu sehr als Anhängsel der kurdischen
Befreiungsbewegung verhalten. Die Aktiven in diesen Gruppen haben sich
zunehmend aus den damals schwachen deutschen linken Strukturen zurückgezogen
und ihre Heimat in der starken kurdischen Bewegung gesucht. Als dann nach der
Verschleppung von Apo der politische Kurs der
Bewegung völlig geändert und statt eines sozialistischen Kurdistan eine
demokratische Türkei gefordert wurde, waren viele Genossen frustriert und haben
sich aus der Arbeit zurückgezogen. Die wenigen, die weiter arbeiteten, blieben
ebenso wie die kurdische Bewegung selber isoliert. Zum Scheitern der
Kurdistan-Solidarität der 90er Jahre hatte allerdings auch ein damals unter
einigen kurdischen Genossen anzutreffendes rein instrumentelles Verhältnis zu
anderen Linken geführt. Genossen fühlten sich verheizt oder als Stohleute missbraucht, wenn sie zwar Demos anmelden sollten
oder in Vereinsvorstände als Alibideutsche gewählt wurden, aber es keinen
Dialog auf gleicher Augenhöhe gab. Erst in den letzten vier, fünf Jahren hat
eine neue Generation von Aktiven aus der Antifa und der
Antiglobalisierungsbewegung die kurdische Frage wieder entdeckt – und einige
derjenigen, die bereits in den 80er und 90er Jahren aktiv waren, sind wieder
oder immer noch dabei. Für diese neue Kurdistan-Solidarität ist der politische
Wandel der kurdischen Befreiungsbewegung ab 2004/5 ganz entscheidend. Mit den
von Abdullah Öcalan zur Diskussion gestellten und von der Befreiungsbewegung
zunehmend realisierten Projekten von Basisdemokratie und Frauenbefreiung können
sich viele linke Aktive identifizieren, die gegenüber nationalen
Befreiungsbewegungen sonst eher eine kritische Distanz hatten. Und auch auf
kurdischer Seite setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass wir einen
gemeinsamen, globalen Kampf für Frieden,
demokratische Selbstbestimmung, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergleichheit
und Umweltschutz führen – in Kurdistan ebenso wie in Deutschland. Wir können in
all diesen Kämpfen von einander lernen und uns gegenseitig unterstützen. Als
Kurdistan-Solidaritätskomitee Berlin versuchen wir, die die kurdische Bewegung
und die verschiedenen sozialen Kämpfe hier in Deutschland zusammenzubringen.
Wir ermutigen die kurdischen Freunde, mit uns an Blockaden gegen
Nazi-Aufmärsche teilzunehmen. Denn es gilt den Faschismus überall zu schlagen -
in Diyarbakir ebenso wie in Dresden. Bei der jährlichen Gedenkdemonstration für
die ermordeten Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin
erinnern wir auch an die gefallenen kurdischen und türkischen Freiheitskämpfer.
Und wir rufen dazu auf, am 1.Mai mit starken kurdischen Blocks an den
Demonstrationen teilzunehmen. Umgekehrt werben wir dafür, dass sich mehr
nichtkurdische Linke und Demokraten an den kurdischen Demonstrationen
beteiligen oder als Menschenrechtsdelegationen nach Kurdistan fliegen um so den
dortigen Freiheitskampf zu unterstützen. Wichtig bei der
TATORT-Kurdistan-Kampagne ist gerade, dass sich Menschen beteiligen können, die
noch Vorurteilte gegenüber der PKK haben oder Guerillakampf aus Überzeugung
ablehnen, aber als Pazifisten oder Umweltschützer gegen Waffenlieferungen oder
den Bau von Staudämmen sind. Und ich bin zuversichtlich, wer sich im Rahmen von
TATORT Kurdistan intensiver mit Kurdistan beschäftigt, wird seine kritische
Haltung zur PKK anhand eigener Erfahrungen überdenken.
- In einer Bemerkung des
Bundesgerichtshofes zu einem Urteil aus dem Oktober 2010 heißt es: "Anhaltspunte dafür, dass bezüglich der Mitgliedschaft in
der Vereinigung (der PKK) zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre bzw.
Kadern einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist, sind den
bisherigen Feststellungen in Ansehung der Struktur der PKK bzw. ihrer
Nachfolgeorganisationen nicht zu entnehmen. ... Es ist jedoch kein
ausreichender sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in
Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser
anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der
Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre
angehört." Als Mitgliedschaft zählt nach diesem Urteil auch Tatigkeiten wie "die Entrichtung von
Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste". Erwartet uns
in den nächsten Jahren nun eine der größten Prozesswellen der Geschichte der
BRD? Immerhin schätzt der Verfassungsschutzbericht die Anzahl der PKK-AnhängerInnen in Deutschland auf 11.500 Personen.
Es geht hier ja um ein Urteil, dass fordert, künftig die
PKK als „terroristische Vereinigung im Ausland“ nach Paragraph 129b StGB zu
verfolgen, wie es jetzt schon mit der türkischen linken DHKP-C und der
tamilischen Befreiungsbewegung Tamil Tigers gemacht wird. Und während bislang
nur mutmaßliche Führungskader als Terroristen bzw. ab Mitte der 1990er Jahre
als Mitglieder einer „kriminellen Vereinigung“ nach Paragraph 129 StGB verfolgt
wurden, soll diese Verfolgung nun auf alle Anhänger der PKK ausgeweitet werden.
Für die Verfolgung nach Paragraph 129b StGB braucht es eine Genehmigung des
Justizministeriums, die im Augenblick – Mitte März 2011 – noch nicht vorliegt.
Sollte es eine solche Genehmigung geben, würde das auf jeden Fall eine noch
größere Willkür bei der Verfolgung politisch aktiver Kurden bedeuten als bisher.
Allerdings bezweifle ich, dass die deutsche Justiz das Personal und die Kraft
hätte, hier gegen 11.500 Personen als „Terroristen“ zu ermitteln. So etwas
würde zum Zusammenbruch des deutschen Justizsystems führen und kann kaum im
Interesse der Herrschenden sein. Ich glaube daher nicht, dass es zu einer
massiven Prozess- und Verurteilungswelle kommt. Vielmehr wird die Justiz gegen
diejenigen, gegen die sie auch bislang ermittelt hat, nun den Gummiparagraphen
129b StGB einsetzten, der den Ermittlern viel mehr Möglichkeiten zur
Überwachung und Verfolgung als das Vereinsgesetz (PKK-Verbot) oder der
Paragraph 129 gibt. Untersuchungshaft ist da viel einfacher möglich und auch
die Strafhöhe würde ansteigen. Denn nach der Logik des Paragraph 129b StGB
könnte ein kurdischer Politiker in Deutschland auch für Guerillaaktionen in
Kurdistan verantwortlich gemacht werden, an denen er überhaupt nicht
teilgenommen hat. Dabei können deutsche Gerichte wie schon in den DHKP-C-Prozessen
auf Informationen türkischer Justizbehörden zurückgreifen, obwohl jeder weiß,
dass diese oft auf erfolterten Aussagen beruhen. Die
sich hier insgesamt andeutende Verschärfung bei der Verfolgung der kurdischen
Bewegung in Deutschland zeigt zugleich das Dilemma des sogenannten
Anti-Terror-Kampfes. Offiziell wurde der Paragraph 129b StGB nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eingeführt, um gegen kleine
Terrorzellen wie Al Qaida zu kämpfen. Doch bei der
kurdischen Befreiungsbewegung handelt es sich eben nicht um kleine Zellen
sondern um eine Volksbewegung. Wie die Bundesregierung kürzlich auf eine
Anfrage der Linksfraktion erklärte, ist die PKK die dominante Kraft unter der
kurdischen Migration in Deutschland. Und wir wissen, dass in der Türkei
Millionen hinter Abdullah Öcalan und der PKK stehen. Ein solcher
Befreiungskampf lässt sich nicht mit den Mitteln des politischen Strafrechts
unterdrückten. Das merkt der türkische Staat und das wird auch der deutsche
Staat merken. Eine Ausweitung der Verfolgung macht so nur die Notwendigkeit
einer politischen Lösung deutlicher.
- Eine letzte Frage: Was war dein
schlimmstes und was dein schönstes Erlebnis auf deinen Reisen nach Kurdistan?
Bei der Vielzahl von Erlebnissen, die ich in den letzten
zehn Jahren in Kurdistan hatte, ist es schwer, einzelne herauszuheben. Es war
auf jeden Fall ein erhebendes Erlebnis, 2007 die
Guerilla in den Kandil-Bergen zu besuchen.
Schockierend war es dagegen im vergangenen Oktober in Diyarbakir zu sehen, wie
die Militärpolizei Bekannte und Freunde
im KCK-Prozess als „Terroristen“ auf die Anklagebank geführt hat. Doch
an diesem Tag konnte ich vor dem Gericht eine Rede zu den versammelten
Demonstranten halten und auf kurdisch rufen: Azadi ji bo Kurdistan! Die Moral der
Menschen in Kurdistan, die trotz Jahrzehntelanger Unterdrückung, Haft und
Folter den Widerstand und die Hoffnung nicht aufgeben, gibt auch mir immer
wieder Kraft. Zu den schönsten Erlebnissen zählen natürlich auch die
zahlreichen Naturreichtümer Kurdistans. So konnte ich vor zwei Jahren endlich den
Berg Ararat sehen und im letzten Jahr war ich an den Quellen des Munzur. Das waren ganz besondere Momente. Und natürlich genieße ich es, mit Freunden in Amed im Kaffee zu sitzen, Nargileh zu rauchen oder
aramäischen Klosterwein zu trinken.
- Magst du uns noch etwas mit auf den
Weg geben oder eine Anmerkung machen?
Ich freue mich, dass die YXK, die ich seit Mitte der 90er
Jahre kenne, seit einiger Zeit wieder einen Aufschwung macht und neue
Ortsgruppen entstehen. Ich wünsche mit, dass Ihr eurer doppelten Verantwortung
als kurdischer Studierendenverband einerseits und sozialistischer
Richtungsverband andererseits gerecht werdet. Der kurdischen Bewegung könnt Ihr
insbesondere im Bereich der theoretischen Diskussionen und wissenschaftlichen
Arbeiten dienen während Ihr gleichzeitig eine wichtige Rolle bei der
Bündnispolitik mit anderen fortschrittlichen demokratischen und sozialistischen
Kräften spielen könnt. Schließlich hoffe ich, dass aus der YXK auch neuer
jugendlicher Schwung in die kurdischen Vereine und in Yek
Kom getragen wird. Denn die kurdische Revolution ist
auch eine Revolution der Jugend. Serkeftin!
Vielen Dank für dieses Interview
und deine wichtige Arbeit. Serkeftin.