Junge Welt 16.03.2013 / Geschichte / Seite 15
Sachsen als Schlüssel
Im März 1923 unterstützt die KPD eine
linkssozialdemokratischen Minderheitsregierung
Von Nick
Brauns
Auf ihrem Parteitag Ende Januar 1923
in Leipzig hatte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Rahmen ihrer
Einheitsfrontpolitik die Unterstützung von »Arbeiterregierungen« mit linken
Sozialdemokraten beschlossen. Eine Arbeiterregierung sei »weder die Diktatur
des Proletariats noch ein friedlicher, parlamentarischer Aufstieg zu ihr«,
heißt es in der Resolution. »Sie ist ein Versuch der Arbeiterklasse im Rahmen
und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf
proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu
treiben.«
Die Möglichkeit zu einer solchen Arbeiterregierung ergab sich in Sachsen, einem
Land mit starker Industrialisierung und einer traditionell kämpferischen
Arbeiterbewegung. Vor dem Hintergrund der durch galoppierende Inflation und
Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen gekennzeichneten
reichsweiten Krise hatte sich ein starker linker Flügel innerhalb der
Sozialdemokratie herausgebildet. Sozialdemokraten wie Erich Zeigner
und Max Seydewitz standen in offener Opposition zur
Burgfriedenspolitik der Parteiführung, die angesichts der Ruhrkrise jede
Opposition zur aus Vertretern des Großkapitals gebildeten Reichsregierung von
Kanzler Wilhelm Cuno eingestellt hatte.
Nachdem der sächsische Ministerpräsident Wilhelm Buck (SPD) am 30. Januar
aufgrund eines von der KPD angestrengten Mißtrauensantrags
zurückgetreten war, setzte sich der rechte SPD-Flügel für eine
Koalitionsregierung mit der liberalen Demokratischen Partei Deutschlands ein.
Doch der Landesparteitag der SPD beschloß am 4. März
mit 93 gegen 32 Stimmen, mit den Kommunisten über die Bildung einer
Arbeiterregierung in Verhandlungen zu treten. Eine vom Parteitag eingesetzte
Kommission unter Vorsitz von Georg Graupe handelte nun mit der KPD ein Abkommen
über die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung aus.
Das am 15. März geschlossene Abkommen enthielt die von der KPD aufgestellten
Bedingungen der Schaffung proletarischer Abwehrorganisationen gegen das
Anwachsen faschistischer Verbände, der Einrichtung von Kontrollausschüssen zur
Bekämpfung des Preiswuchers sowie einer Amnestie für politische Gefangene.
Rechte Sozialdemokraten
Am 21. März wurde der erst 37 Jahre alte ehemalige Landgerichtsrat Erich Zeigner zum Ministerpräsidenten einer von der KPD
tolerierten sozialdemokratischen Minderheitsregierung in Sachsen. Beim
SPD-Parteivorstand stieß dieser Schritt auf vehemente Ablehnung. Insbesondere
Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) hatte eine Aversion gegen den erst 1918
der SPD beigetretenen Zeigner, dem der Stallgeruch
des altgedienten Funktionärs fehlte.
Das sozialdemokratisch regierte Preußen hatte als größter Einzelstaat des Reiches
im Mai die »Proletarischen Hundertschaften« auf Wunsch der Reichsregierung
verboten. Daß diese von der KPD initiierten, aber
überparteilichen und weitgehend unbewaffneten Selbstschutzmilizen in Sachsen
weiter bestehen konnten, brachte den Freistaat in Opposition zum Reich. Zeigners offene Kampfansage an die alten Eliten, vor deren
»Maulwurfsarbeit« gegen die Republik er warnte, und seine Ankündigung,
Dokumente über die Verbindung der Reichswehr zu antirepublikanischen Verschwörergruppen zu veröffentlichen, ließen ihn in den
Augen der nationalen Rechten zum bestgehaßten Mann
werden. Eine zentrale Rolle bei der Diskreditierung der Zeigner-Regierung
spielte die Vereinigung sächsischer Industrieller, die bereits im Juli ein
Eingreifen der Reichsregierung forderte.
Im August 1923 verpaßte die Kommunistische
Internationale – und mit ihr die KPD-Führung – die revolutionäre Situation in
Deutschland, als eine Massenstreikwelle die Cuno-Regierung
stürzte und die KPD zur führenden Arbeiterpartei aufgestiegen war. Doch nun
wurde am grünen Tisch in Moskau von den Kominternstrategen
der Aufstandsplan für einen »deutschen Oktober«
gezeichnet, in dem Sachsen eine Schlüsselstellung zukam. »Das Proletariat
marschiert auf in Sachsen, aus der Verteidigung der Arbeiterregierung heraus,
in die wir eintreten; und es wird in Sachsen versuchen, die Staatsgewalt
auszunutzen, um sich zu bewaffnen und in diesem engmaschigen proletarischen
Bezirk Mitteldeutschlands einen Wall zu bilden zwischen der Südkonterrevolution
in Bayern und dem Nordfaschismus. Gleichzeitig wird die Partei im ganzen Reiche
eingreifen, die Massen mobilisieren«, erläuterte Komintern-Vertreter Karl
Radek.
Die Weisung der Komintern zum Regierungsbeitritt der KPD traf sich mit einer
entsprechenden Aufforderung Zeigners an die
Kommunisten. Zeigner hoffte so, die
Verteidigungsposition der sächsischen Arbeiterklasse angesichts des Drucks aus
dem Reich und der Einmarschdrohungen der in Bayern konzentrierten
faschistischen Verbände zu stärken.
Reichswehr marschiert ein
Am 10. Oktober traten die Kommunisten Heinrich Brandler,
Fritz Heckert und Paul Böttcher der Zeigner-Regierung in Sachsen als Ministerialdirektor und
Minister bei und sechs Tage später wurden die KPD-Mitglieder Karl Korsch,
Theodor Neubauer und Albin Tenner Minister und
Staatsräte in der Regierung des linken Sozialdemokraten August Frölich in Thüringen. Bedingungen hatte die KPD keine
gestellt. »Da wir die Lage so einschätzen, daß der
entscheidende Moment nicht später als in vier, fünf, sechs Wochen kommt, so
halten wir es für notwendig, jede Position, die unmittelbar nützen kann, sofort
zu besetzen«, begründete der Kominternvorsitzende
Georgi Sinowjew diesen von KPD-Chef Brandler anfangs noch angezweifelten Schritt. Die zentrale
Aufgabe der kommunistischen Regierungsmitglieder wäre es gewesen, die
gewonnenen Machtpositionen zur Entfaltung einer außerparlamentarischen
Massenbewegung sowie zur Bewaffnung der Arbeitermilizen aus staatlichen
Beständen zu nutzen. Doch »die von den Arbeiterorganisationen an die Spitze der
Ministerien gestellten Regierungsmitglieder« verhielten sich – wie der
marxistische Historiker Wolfgang Ruge bemerkte – »wie gewöhnliche, vor allem
auf die Einhaltung der ›Spielregeln‹ bürgerlicher Koalitionspolitik bedachte
Minister«. Mit zu den »radikalsten« Schritten des kommunistischen
Finanzministers Böttcher in Sachsen gehörte eine Verordnung, die Erwerbslosen
das Fischen in öffentlichen Gewässern erlaubte.
Obwohl sich die Arbeiterregierungen strikt verfassungsgemäß verhielten, waren Großkapital
und Reichswehr nicht bereit, diese weiter zu dulden. Reichspräsident Ebert
beauftragte am 14. Oktober General Alfred Müller mit der Herstellung der
Ordnung in Sachsen. Nachdem sich Zeigner weigerte,
einer Weisung des Generals nach Auflösung der Proletarischen Hundertschaften
nachzukommen, marschierte die Reichswehr am 20. Oktober in den Freistaat ein.
An mehreren Orten kam es dabei zu Kämpfen mit Arbeitern.
Der Revolutionsplan der KPD sah vor, den Vorstoß der Reichswehr mit einem
Generalstreik zu beantworten und diesen zum bewaffneten Aufstand
weiterzutreiben. Doch anstatt die Initiative dafür zu ergreifen, versuchte
KPD-Chef Brandler auf einer Betriebsrätekonferenz am
21. Oktober in Chemnitz die Verantwortung den sächsischen SPD-Ministern zuzuschieben.
Deren Weigerung, über einen Generalstreik auch nur zu reden, bedeutete nicht
nur das unrühmliche Ende der Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen,
sondern zugleich das Scheitern des »deutschen Oktober«.
Quelle. Die KPD über die Aufgabe von
Landesarbeiterregierungen
Landesarbeiterregierungen können nur
entstehen in zugespitzten politischen Situationen, in denen der Druck der
Massen so stark ist, daß ein Teil der
sozialdemokratischen Führer veranlaßt wird, sich auf
den Boden einer proletarischen Klassenpolitik zu stellen. Die
Landesarbeiterregierung ist eine Regierung von Sozialdemokraten und
Kommunisten, die sich stützt auf die proletarischen Klassenorgane. Die
politische Stütze dieser Arbeiterregierung ist nicht das bürgerliche Parlament,
sondern die außerparlamentarischen Klassenorgane. Die KPD beteiligt sich an den
Landesregierungen, um sie zu Stützpunkten im Kampfe um die Arbeiterregierung im
Reiche auszubauen. Der Kampf gegen die reaktionäre Reichspolitik, die
Bewaffnung der Arbeiter, die Übergabe aller Machtmittel (Polizei, Verwaltung,
Justiz, Schule) an das Proletariat, die Sicherung aller sozialen Positionen
sowie die ausreichende Ernährung, Bekleidung und Behausung der arbeitenden
Klasse zu Lasten der Besitzenden sind die wichtigsten unmittelbaren Aufgaben
einer Landesregierung.
Aus: Leitsätze des 8. Parteitags der KPD zur Taktik
der Einheitsfront und der Arbeiterregierung