junge Welt vom 27.05.2005   Feuilleton

Bush macht Regen

»USA! USA!« rufen und auf Minen treten: In »Schildkröten können fliegen« spielen sich kurdische Flüchtlinge im Irak selbst

Nick Brauns  

 

Schon Ghobadis erster Kinoerfolg, »Zeit der trunkenen Pferde« handelte von Kinderschicksalen in Kurdistan. Die Akteure von »Schildkröten können fliegen« sind Waisenkinder in einem Flüchtlingslager an der irakisch-türkischen Grenze. Der 13jährige Satellit ist ein kurdischer Daniel Düsentrieb. Seinen Spitznamen hat der mitunter nervige, ständig lautstark rumkommandierende, überzeugend gespielte Junge aufgrund seiner technischen Begabung erhalten. Satellit ist Anführer einer Bande von Waisenkindern, die sich ihr Geld durch Minenräumen verdient. »Schildkröten« nennen die Kinder die zahlreichen rund um das Lager verlegten Minen europäischer und US-amerikanischer Produktion. Viele der Kinder sind bereits verstümmelt und müssen die Sprengsätze mit dem Mund entschärfen. Die Minen werden für wenige Dinare an Unterhändler abgegeben, die sie teuer an die UNO weiterverkaufen oder auf dem örtlichen Waffenbasar verscherbeln.

Grundlos schießen

Das Szenario des im kargen Niemandsland am Rande der Berge gelegenen Flüchtlingslagers weckt Assoziationen zu Endzeitfilmen wie »Mad Max«. Grundlos schießen die türkischen Wachposten auf die Flüchtlinge. Überall stapelt sich Panzerschrott aus vorangegangenen Kriegen. Auch Satellit, dem als Lohn für seine technischen Dienste ein Haus versprochen wird, darf schließlich in ein Panzerwrack einziehen.

Eines Tages begegnet Satellit dem Mädchen Agrin mit ihrem zweijährigen Sohn Digah und Hengov, ihrem verstümmelten Bruder, die aus Halabja kommen. Satellit verliebt sich in Agrin – erfolglos, denn Agrin ist schwer traumatisiert, sie wurde von irakischen Soldaten vergewaltigt. Durch die Existenz ihres Sohnes wird sie daran permanent erinnert. Der zu erwartende Sturz Saddams kann für Agrin keine Befreiung bringen. Sie wünscht sich nur noch ihren Tod und den Tod ihres Sohnes.

Hier im Lager, wo die Familien auseinandergerissen wurden, gelten alte Stammeshierarchien nicht mehr viel. Auch ein Jugendlicher kann Autorität gewinnen, wenn er als einziger in der Lage ist, eine Parabolantenne zu montieren und über den Lautsprecher der Moschee dem Lager die Weltlage deutet. »Bush sagt, daß es morgen Regen gibt«, »übersetzt« Satellit mit seinen wenigen Brocken Englisch eine Ansprache des US-Präsidenten auf CNN. Schließlich kündigt nicht CNN, sondern Agrins von Visionen heimgesuchter Bruder den Kriegsbeginn an.

»Diese Interessensgruppen mit ihren Konzernen und Kriegen benutzen uns wie Spielzeuge und zwingen uns ihren schmutzigen Krieg auf, um noch mehr Geld zu verdienen. Angesichts der Situation, in der sich der Irak befindet, und dem daraus resultierenden Medienecho in der ganzen Welt, ziehe ich jede Form von Information in Zweifel, einschließlich denen der Presse«, meint Regisseur Ghobadi. Es gelang ihm, einige US-amerikanische Soldaten mit ihren Fahrzeugen und Hubschraubern als Laiendarsteller für die Schlußszenen des Film zu verpflichten. »Als ich Ende Dezember 2004 im Irak meinen Film gezeigt habe, haben auch die amerikanischen Militärbehörden zugeschaut. Sie haben sehr unzufrieden den Kinosaal verlassen«, erzählt er. Schließlich zeigt der Film nicht nur, daß viele Kurden die US-Truppen als Befreier empfanden. »Visa. Visa in die USA«, kommentiert Satellit das Eintreffen der ersten Black-Hawk-Helikopter, die Flugblätter über dem Flüchtlingscamp abwerfen. Gleichzeitig macht der Film deutlich, daß es eben die USA waren, die jahrelang das Saddam-Regime unterstützten. »Du sagst immer USA, USA! Nun bist du selber auf eine US-Mine getreten«, sagt einer der Dorfältesten zu USA-Fan Satellit, nachdem dessen Bein von einer Mine zerfetzt wurde.

»Sie beuten uns aus«

Teilnahmslos marschieren die US-Soldaten in den Schlußszenen des Films an den Elenden und Verkrüppelten vorbei in Richtung der nordirakischen Ölquellen. »Am Ende des Films versteht man, daß die Vergangenheit bitter ist, daß die Gegenwart bitter ist und die Zukunft einzig von einem selbst abhängt«, kommentiert Ghobadi. »Die mächtigen Ausländer haben nicht vor, ein Paradies für uns zu schaffen. Sie beuten uns aus, um herrliche Orte für sich selbst zu errichten.«

Der 1968 im iranischen Teil Kurdistans geborene Ghobadi drehte ausschließlich mit Laiendarstellern. So fand er auch die jungen Minensucher in den Flüchtlingslagern: »Ich hoffe, daß die jungen Leute in Zukunft statt Kalaschnikows digitale Kameras in die Hände nehmen und der Welt ihre Geschichte erzählen«. Der Junge, der Satellit spielt, wird übrigens bei seinem nächstem Film Regieassistent sein, während die Darstellerin der Agrin inzwischen bei einem lokalen Fernsehsender in Suleymani arbeitet.

* »Schildkröten können fliegen«, Regie: Bahman Ghobadi, Iran/Irak 2004, 98 Minuten, bereits angelaufen

 

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