Siedlermythen

 

Eine Ausstellung über den „friedlichen Kreuzzug“ deutscher Christen in Palästina

 

Schon vor der großen jüdischen Einwanderungswelle um 1880 kamen zahlreiche Christen als Siedler und Missionare ins „Heilige Land“. Die Motivation vieler Protestanten fußte auf der millenarischen Vorstellung, daß das „Königreich der tausend Jahre“ zur Jahrtausendwende bevorstände. Ihnen folgten Katholiken und orthodoxe Christen. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges übertraf die Zahl deutscher Bürger mit rund 2500 alle anderen ausländischen Staaten in Palästina. Deutsche Bauten wie das Auguste-Viktoria-Hospiz, die katholische Dormitiokirche und die evangelische Erlöserkirche prägen noch heute die Silhouette Jerusalems. Die deutsche „Mission Palästina“ ist Thema einer vom 2002 verstorbenen israelischen Historikers Alex Carmel konzipierten Wanderausstellung, die noch bis zum 15. September im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zu sehen ist.

 

Schon der Untertitel der Ausstellung „Der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau Palästinas im 19.Jahrhundert“ spiegelt den kolonialen Mythos vom verwahrlosten und verlassenen Land, das die Siedler im 19. Jahrhundert vorgefunden hätten. Erst durch die Errichtung zahlreicher christlicher Institutionen habe sich Palästina langsam vom früheren desolaten Zustand erholt, bis dann ab 1882 die massive jüdische Einwanderung beträchtlich zur Modernisierung des Landes beigetragen habe. Dies ist die bis heute wiederholte Rechtfertigungslegende für kolonialen Landraub, wonach Palästina vor Beginn der systematischen jüdischen Besiedlung „öde, rückständig und menschenleer“ gewesen war.

 

„Palästina hat sich durch das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch entwickelt und das Meiste dieser Entwicklung selbst nach 1880 muß der einheimischen arabischen Bevölkerung zugeschrieben werden“, erkannte dagegen der israelische Wirtschaftshistoriker Haim Gerber. Und der ehemalige Wochenpostredakteur Klaus Polkehn zitiert in seinem kürzlich im Kai-Homilius-Verlag wieder veröffentlichten Buch „Damals im Heiligen Land“ zahlreiche Reiseberichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die von einer reichen Kultur, vom Fleiß arabischer Handwerker und Bauern und von der Fruchtbarkeit der Äcker Zeugnis geben.

 

Die koloniale Arroganz der Ausstellungsmacher wird deutlich, wenn es in einem Begleittext von Yaron Perry von der Universität Haifa heißt, daß Deutsch am Vorabend des Ersten Weltkrieges „zur am häufigsten in Palästina gesprochenen Sprache“ wurde. Hatte die arabische Bevölkerungsmehrheit etwa keine eigene Sprache?

 

Christen bauten im Rahmen ihres „friedlichen Kreuzzuges“ Krankenhäuser, Schulen und landwirtschaftliche Kolonien. Daß sie nicht nur karitative und religiöse Motive hatten, erkannte schon Karl Marx im Jahr 1854: „Alle die verschiedenen christlichen Sekten, die sich um das Heilige Grab gruppieren, verbergen hinter ihren religiösen Forderungen ebenso viele politische und nationale Nebenbuhlschaften.“ Zunehmend wandelten sich sie christlichen Einrichtungen in nationale Institutionen, mit denen die europäischen Großmächte um Einfluß im niedergehenden Osmanischen Reich kämpften.

 

Ab 1868 wanderten die ersten württembergische Templer nach Palästina aus. Die Tempelgesellschaft war eine den heutigen rechtsgerichteten evangelikalen Sekten in den USA vergleichbare Abspaltung der württembergischen Landeskirche. Zwischen 1869 und 1907 errichteten die Templer ihre Kolonien oder besser Wehrdörfer in Haifa, Jaffa, Sarona, Jerusalem, Wilhelma, Bethlehem und Waldheim. Am Vorabend des ersten Weltkrieges betrug ihre Zahl in Palästina rund 2200 Personen. „Dank ihres festen Glauben und Fleiß konnten diese wenigen Siedler noch vor der Alija Rischona, der ersten großen jüdischen Einwanderungswelle ab 1882, einen bedeutenden Beitrag zur Modernisierung Palästinas leisten“, heißt es in der Ausstellung. Die Templer konnten „als erste beweisen, daß eine moderne europäische Besiedlung in Palästina unter türkischer Herrschaft möglich war.“ Während die Kulturleistungen der religiösen Eiferer herausgestellt werden, schweigt die Ausstellung über deren politische Motive. So nannte die Satzung des Tempelordens nicht nur den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels als Ziel, sondern auch die territoriale Inbesitznahme Palästinas durch die Deutschen. Der erste Paragraph, den eine Synode des Ordens annahm, lautete deutlich: "Die geistigen und materiellen Interessen des deutschen Volkes finden ihre Erfüllung in der Umwandlung und Besetzung des Orients."

 

Um den Bau der Bagdadbahn als Hauptprojekt des deutschen Imperialismus im Osmanischen Reich nicht zu gefährden, unterließ die Reichsregierung zwar alles, was nach einer offiziellen Unterstützung des Landraubes durch die deutschen Siedler aussah. Eine mit dem württembergischen König verbundene "Gesellschaft zur Förderung der deutschen Ansiedlungen in Palästina m.b.H." übernahm aber 1899 deren finanzielle Unterstützung. Solidarität erfuhren die Templer zudem von Kolonialvereinen wie dem Alldeutsche Verband, jener Propagandatruppe der Kohle-, Stahl-, und Rüstungsmonopolisten, die völkischen Nationalismus mit utopischen Expansions- und Siedlungsprojekten verband. Die Alldeutschen besaßen Zweigstellen unter den Templern in Jaffa und Jerusalem und die Werbung für ein deutsches Palästina bildete einen Schwerpunkt ihrer Propaganda. Templer-Siedler waren dann in den 30er/40er Jahren, als rund ein Drittel ihrer Mitglieder der NSDAP angehörte, die besten ortsansässigen Verbündeten der Nazis,.

 

Symbolträchtigen Höhepunkt deutsch-imperialer Politik im Nahen Osten stellte die Orientreise Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1898 da. Als moderner Kreuzritter zog der Kaiser mit Pickelhaube hoch zu Roß in Jerusalem ein, um dort die deutsche evangelischen Erlöserkirche einzuweihen. Politische Bedeutung habe die Kaiserreise kaum gehabt, heißt es in der Ausstellung. Zeitgenossen sahen dies anders. „Ganz abgesehen von allem, was er sagt und tut, ist das Auftreten unseres Kaisers in Jerusalem ein politischer Vorgang. Der Sultan der Germanen imponiert dem Morgenländer mächtig“, schilderte der Theologe und Vordenker imperialistischer Politik Friedrich Naumann seine Eindrücke. Allerdings sei „die Zeit, wo wir große Griffe in die Weltgeschichte hinein tun können, ... noch nicht da. Überall aber und besonders in der Osthälfte der Mittelmeerländer müssen wir uns auf diese Zeit vorbereiten und dürfen keinen Mann für verloren halten, den wir an den Jordan oder an die Maritza werfen. Wir können es jetzt England und Rußland nicht gleich tun, aber wir besetzen Stationen für die Zukunft. Dieses muß planmäßig geschehen.“

 

Heute engagieren sich viele der noch bestehenden christlichen Einrichtungen in Palästina gegen die israelische Besatzungspolitik. Das 1910 nach der deutschen Kaisergattin benannte Auguste-Victoria-Krankenhaus auf dem Ölberg bietet als einziges Hospital der Westbank Dialyse für Kinder und ein modernes Strahlenbehandlungszentrum für Krebserkrankungen an. Doch immer mehr Ärzte, Schwestern und Pfleger wollen die zeitaufwendigen und demütigenden Straßensperren in der Westbank nicht mehr passieren und geben auf. Bald wird das Krankenhaus durch eine die Westbank umschließende acht Meter hohe Trennmauer ganz von seinen Patienten abgeschnürt sein.

 

Ergänzt wird die Ausstellung von einer Auswahl von Luftbildern, die die bayerische Fliegerstaffel 304 im Rahmen der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft während des ersten Weltkrieges über Palästina schoß.

 

Nick Brauns

 

Mission Palästina – Der deutsche Beitrag zum Wiederaufbau Palästinas im 19.Jahrhundert

Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Schönfeldstraße 5 München

Noch bis zum 15. September 2006

Öffnungszeiten: Mo-Do 8.00-18.30, Frei. 8.00-17.30.

 

Gekürzt unter dem Titel „Man spricht deutsch“ in der jungen Welt vom 28.7.06