Spiel auf Zeit

Gespräche über Entwaffnung der PKK

Von Nick Brauns

Zwischen dem inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, und türkischen Regierungsvertretern wird über ein Ende des bewaffneten Kampfes und die Entwaffnung der Guerilla verhandelt. Daß die islamisch-konservative AKP-Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nun wieder das Gespräch mit Öcalan sucht, ist als Eingeständnis dafür zu werten, die Guerilla entgegen aller Ankündigungen von ihrer baldigen Vernichtung auch nach fast 25 Jahren des bewaffneten Aufstandes militärisch nicht besiegen zu können. So waren bei der stärksten Guerillaoffensive seit den 90er Jahren im vergangenen Jahr über 1000 Soldaten und Polizisten getötet und große Gebiete im Bergland unter Guerillakontrolle genommen worden.

Doch derzeit ist noch völlig offen, inwieweit die Regierung substantielle Zugeständnisse wie eine weitgehende Autonomie für die kurdischen Landesteile und die Einführung kurdischsprachigen Schulunterrichts machen will. Offenbar setzt die AKP darauf, Öcalans Autorität gegen die PKK-Führung im nordirakischen Kandil-Gebirge auszuspielen, um so die Guerilla unter Zugzwang zu setzen. Dies wird deutlich in der Aussage des Erdogan-Beraters und AKP-Abgeordneten Yalcin Akdogan am Montag im Sender NTV: »Abdullah Öcalan ist weiterhin der wichtigste Akteur für eine Lösung. Wir wissen, daß die Organisation ihn frustriert, seinen Namen benutzt und immer wieder davon profitiert

Seinen Einfluß hatte Öcalan im November unter Beweis gestellt, als auf sein Wort hin Tausende PKK-Gefangene einen seit 67 Tagen andauernden Hungerstreik in türkischen Gefängnissen beendeten. Die zentrale Forderung der Hungerstreikenden war die Aufhebung der Isolationshaft Öcalans, der seit Juli 2011 keinen Besuch seiner Rechtsanwälte mehr empfangen darf. Doch den Anwälten wird weiterhin die Überfahrt zur Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer verweigert. Wenn es die Regierung ernst mit Friedensverhandlungen meinen sollte und nicht lediglich die PKK in einem neuen Spiel auf Zeit ruhigzuhalten versucht, müßte sie zuerst einmal eine Verbesserung von Öcalans Haftsituation einschließlich direkter Kontakte zur PKK-Führung ermöglichen.

Die kurdische Seite hat ihre Bereitschaft zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts seit langem deutlich gemacht. Doch die seit den 1920er Jahren bestehende kurdische Frage ist kein Mißverständnis, das in Geheimverhandlungen beseitigt werden kann. Ein Friedensprozeß erfordert vielmehr sichtbare Zeichen dafür, daß der Staat zur Anerkennung der kurdischen Realität bereit ist. Doch auch zu Jahresbeginn setzte die Armee ihre Angriffe auf Guerillakämpfer fort, während bei Razzien Studenten unter demVorwurf der PKK-Mitgliedschaft festgenommen und kurdischsprachige Bücher beschlagnahmt wurden. Solange diese Repression andauert, wäre eine Entwaffnung der Guerilla glatter Selbstmord nicht nur der PKK sondern aller Kurden in der Türkei.

junge Welt 03.01.2013 / Ansichten / Seite 8