Der türkische Actionfilm »Das Tal der Wölfe« von Serdar
Akar hat in der BRD eine bemerkenswerte Rezeption erfahren. Der bayrische
Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte ein Verbot des Films, sein
Innenminister, Günther Beckstein, appellierte an die Kinobetreiber, das Werk
nicht mehr zu zeigen, da es türkisch-nationalistisch, antiwestlich und
antisemitisch sei. Der Bundesverband Regie gab zu bedenken: »Das Grundgesetz
gewährleistet in Art. 5 ausdrücklich die Presse-, Rundfunk- und eben auch die
Filmfreiheit.« Die einzig relevante Frage sei, ob der Film eine
Altersbeschränkung erhalten sollte. Aufgabe der Filmemacher müßte es sein,
»provozierende Fragen« aufzuwerfen.
In einem Beitrag für unsere Zeitung vertrat Jürgen Elsässer die Ansicht, der
Film liefere der Friedensbewegung gute Munition: »Der Aufschrei, der Film sei
hetzerisch, kommt zumeist von Leuten, deren Geschäft die Verharmlosung der
irakischen Realität ist« (jW, 20.2.) Dem folgt heute eine Entgegnung von Nick
Brauns.
Eine Serie von Bombenanschlägen erschütterte letzten Herbst die ostanatolischen
Provinzen Hakkari und Sirnak. Schließlich gelang es der Bevölkerung in der
Kleinstadt Semdinli, die Bombenleger bei einem Anschlag auf eine Buchhandlung
auf frischer Tat zu stellen. In deren Fahrzeug befanden sich neben Todeslisten
und Waffen auch Ausweise, die sie als Offiziere des Militärgeheimdienstes
auswiesen. Einer der Männer war ein PKK-Überläufer, ein anderer nach Aussagen
der Militärführung lange im Nordirak stationiert. Die türkische Konterguerilla
ist berüchtigt für unzählige Morde und Folterungen kurdischer und linker
Politiker, Gewerkschafter und Intellektueller.
Die Helden von »Tal der Wölfe« sind eben keine irakischen Widerstandskämpfer,
sondern Angehörige einer solchen Konterguerillaeinheit. Ihr Motiv ist nicht
Antiimperialismus, sondern die Rettung der nationalen Ehre.
Die »mächtige Botschaft« des Films, sei laut Elsässer, daß die Türkei heute ein
Hindernis für die US-Politik geworden ist. In bezug auf den Irak mag dies
stimmen. Doch durch ihre NATO-Mitgliedschaft ist die Türkei Teil der
imperialistischen Kette mit eigenen expansiven Ambitionen – von Nordzypern und
dem Nordirak über den Kaukasus bis zu moslemisch besiedelten Gebieten Chinas.
Die türkische Armee ist von ihrer Mannschaftsstärke die zweitgrößte NATO-Armee.
Fast 600 Jahre nach der Schlacht auf dem Amselfeld sind seit 1999 wieder
türkische Soldaten im Kosovo stationiert. Türkische Kontingente befinden sich
auch als Besatzungstruppen in Afghanistan.
Bis heute erheben türkische Diplomaten und Militärs Anspruch auf die ehemals
osmanische Provinz Mossul mit ihren Ölquellen. Zudem befürchtet Ankara, daß ein
autonomer kurdischer Staat im Nordirak den Freiheitsbestrebungen der Kurden in
der Türkei Auftrieb geben könnte. Daher hatte auch das zu Beginn des Films von
US-Truppen verhaftete Kommando in der Realität den Auftrag, mit Anschlägen zur
Destabilisierung der kurdischen Landesteile beizutragen.
Seit Anfang der 90er Jahre sind türkische Kommandos – übrigens damals auf
Einladung der zerstrittenen irakisch-kurdischen Parteien KDP und PUK als
Vermittler angefordert – mit mehreren tausend Mann im Nordirak aktiv. Der
PUK-Vorsitzende Jalal Talabani reiste bis zu seiner Einsetzung als »irakischer
Präsident« mit einem türkischen Diplomatenpaß und unterhält bis heute gute
Beziehungen nach Ankara. Daß KDP und PUK heute Kollaborateure der US-Besatzer
sind, ist keine Frage. Aber wo bitte bekommen die Washingtoner Kriegstreiber
Unterstützung durch die PKK oder die Kurdistan-Solidarität in Deutschland, wie
Elsässer behauptet? Vielmehr haben die USA der Türkei für die Überlassung von
Luftwaffenstützpunkten bei einen Angriff auf den Iran grünes Licht für die
Bombardierung iranischer PKK-Lager angeboten. Elsässer schreibt richtig, »die
Menschen zwischen Istanbul und Diyarbakir wollen offensichtlich nicht weiter
das Kanonenfutter der US-Armee sein«. Doch genau diese Menschen in Diyarbakir
sind großenteils Anhänger Abdullah Öcalans und der PKK.
»Tal der Wölfe« ist Teil einer nationalistischen Welle, die seit rund einem
Jahr die Türkei durchflutet. Während der auf der Gefängnisinsel Imrali
gefangene Abdullah Öcalan seine Anhänger zur Besonnenheit mahnt und die
Brüderlichkeit der Völker beschwört, rüsten die rechtsextremen Grauen Wölfe und
Konterguerillabanden zum ethnischen Bürgerkrieg. In diesem Klima wurden
türkische Übersetzungen von Hitlers »Mein Kampf« und der »Protokolle der Weisen
von Zion« zu Bestsellern, während die Bücher Orhan Pamuks auf dem
Scheiterhaufen landeten. Mehrfach kam es zu Lynchversuchen an Kommunisten und
Kurden durch einen nationalistischen Mob.
»Ein ausgezeichneter Film, der Geschichte machen wird«, lobte der türkische
Parlamentspräsident Bülent Arinc nach der Premiere. Und First Lady Emine
Erdogan zeigte sich ebenfalls angetan von dem Streifen. Schließlich propagiert
»Tal der Wölfe« kohärent die türkisch-islamische Synthese. Wenn in der
Anfangsszene die türkische Armeeführung das umzingelte Spezialkommando vom
Kampf gegen die US-Soldaten abhält und später US-Verwalter Sam den Türken
vorwirft, lieber zu verhandeln als zu kämpfen, wird das kemalistische
Establishment als Werkzeug des US-Imperialismus entlarvt. Doch am Ende brauchen
auch die islamischen Pazifisten die Hilfe der türkischen Rambos. Hier schließt
sich der Kreis der türkisch-islamischen Synthese, die in der türkischen
Realität zunehmend den reinen Kemalismus ablöst.
Hauptdarsteller Necati Sasmaz und sein Bruder, Produzent und Drehbuchautor Raci
Sasmaz, sind führende Mitglieder der islamischen Kadiri-Sekte, der auch der
irakische »Präsident« Talabani angehört. Die Lehre der Sekte verbreitet der
Film in der Person des Scheichs Abdurrahman Halis Kerküki. Gleichzeitig sind
die beiden Brüder im nationalistischen Milieu verwurzelt. Ihr Vater war Berater
eines von der faschistischen MHP gestellten Kultusministers, der Onkel
Abgeordneter dieser Partei. Raci Sasmaz hat zudem gute Kontakte zu Killern der
Grauen Wölfe wie Oral Celik.
Elsässer will dem von neoliberaler Seite ausgelösten »Kampf der Kulturen«
gegensteuern. Das ist unterstützenswert. Doch »Tal der Wölfe« mit seiner
holzschnittartigen Frontstellung aus edelmütigen Muslimen und mutigen Türken
gegen diabolische Christen und geldgierige Juden bleibt genau auf dieser Ebene
des Kulturkampfes.
Es braucht nicht erst diesen Film, um über die Verbrechen der USA und ihrer
Verbündeten im Irak in Wut zu geraten. Da reichen schon die täglichen
Fernsehbilder von Abu Ghraib. In Reaktion auf die neuen Kolonialkriege ist »Tal
der Wölfe: Irak« kein Aufruf zum antiimperialistischen Widerstand. Stattdessen
sollen sich die Zuschauer an einem mit Antijudaismus angereicherten
chauvinistischen Cocktail berauschen.