Junge Welt 22.07.2014
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Teile und herrsche
Vor 40 Jahren besetzten türkische Truppen den Norden
Zyperns. Im Hintergrund zog die NATO die Fäden
Von Nick
Brauns
Die
türkischen Streitkräfte haben heute morgen einen
Friedenseinsatz auf Zypern begonnen, um dem jahrzehntelangen Zwist ein Ende zu
bereiten, der durch extremistische und irredentistische1 Elemente provoziert
worden ist«, erklärte der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit am 20. Juli
1974 in einer Ansprache. Während die von der türkischen Kriegsflotte am »Five Mile Holiday Beach« bei Kyrenia
abgesetzten Panzer ins Innere der Insel vorstießen und Fallschirmjäger über dem
Flughafen der Hauptstadt Nikosia absprangen, behauptete Ecevit, »dies ist keine
Invasion, sondern eine Maßnahme gegen eine Invasion«. Der griechisch-zyprischen
Bevölkerungsmehrheit der Insel versicherte er, »wir wollen euch helfen, nicht
verletzen. Wir kommen aus Liebe, nicht aus Haß.« Weder die völkerrechtlich als Garantiemacht für Zyperns
Integrität bürgende frühere Kolonialmacht Großbritannien mit ihren
Militärstützpunkten auf der Insel noch die USA mit ihrer im Mittelmeer
stationierten 6. Flotte hinderten den türkische NATO-Partner daran, einen
souveränen Staat zu überfallen und ein Drittel von dessen Territorium zu
besetzen. Schließlich handelte es sich bei der türkischen Invasion um die
logische Konsequenz aus der von London und Washington über Jahrzehnte gegenüber
Zypern betriebenen Teile-und-herrsche-Politik.
Reaktionärer Hellenismus
Zypern
gehörte seit 1571 zum Osmanischen Reich. Im Gegenzug für die Zusicherung
militärischer Unterstützung gegen Rußland verpachtete
der Sultan die Insel 1878 an Großbritannien als Marinebasis zum Schutz des
Suezkanals, dessen Kontrolle das Empire seit 1888 ausübte. 1923 erkannte die
Türkei im Lausanner Vertrag rückwirkend die Annexion Zyperns durch
Großbritannien während des Weltkrieges an. 1931 wurde während einer Revolte der
rund 80 Prozent der Bevölkerung ausmachenden griechischsprachigen
christlichen Zyprer der britische Gouverneurspalast niedergebrannt. Die
Aufständischen forderten Enosis – die Vereinigung der
Insel mit dem griechischen »Mutterland«. Da die traditionell in der
Staatsbürokratie beschäftigten muslimischen Zyprer davon Nachteile
befürchteten, stimmten sie in dem nur beratend tätigen und nach
Religionszugehörigkeit gewählten Parlament stets für eine Aufrechterhaltung der
Kolonialherrschaft. Dies ließ sie in den Augen ihrer christlichen Nachbarn als
Hindernis einer wirtschaftlichen und politischen Emanzipation erscheinen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die britischen Kolonialherren, für die
Zypern nach dem Verlust ihrer arabischen Stützpunkte in der ölreichen
Nahostregion erheblich an Bedeutung gewonnen hatte, nicht mehr nur durch die
von der orthodoxen Kirche geführte Enosis-Bewegung
herausgefordert, sondern auch durch das Anwachsen der kommunistischen
»Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes« (AKEL). Am 1. April 1955 trat zudem
mit der »Nationalen Organisation der Zypriotischen Kämpfer« (EOKA) eine Guerilla auf den Plan. Führer dieser von der Kirche
logistisch unterstützten Untergrundbewegung war Oberst Georgios Grivas, ein Nationalist, der für ein »Großgriechenland«
kämpfte. Er rühmte sich, während des griechischen Bürgerkriegs zahlreiche
Kommunisten getötet zu haben.2 Gemeinsam mit der EOKA verboten die
Kolonialherren die AKEL. Damit war letztere vom antikolonialen Kampf
ausgeschlossen, der durch den von Grivas vertretenden
reaktionären »Hellenismus« eine antitürkische Stoßrichutung
bekam.
Auf die Anschläge der EOKA, die sich nicht nur gegen britische Einrichtungen,
sondern auch gegen Kommunisten und muslimische Zyprer richtete, reagierten die
Briten mit der Aufstellung einer aus türkischsprachigen Zyprern gebildeten
Sonderpolizeitruppe.
Von Zypern aus konnte der einzige nicht durch griechische Gewässer führende
Zugang der Flotte Ankaras zum Mittelmeer kontrolliert werden. Die knapp 70
Kilometer vor der Südküste der Türkei gelegene Insel bildete einen natürlichen
Riegel vor den türkischen Kriegshäfen Mersin und Iskederum.
Nach einem vom Geheimdienst der Türkei inszenierten Bombenanschlag auf das
Geburtshaus von Staatsgründer Mustafa Kemal in Thessaloniki kam es im November
1955 zu einem Pogrom gegen die in Istanbul lebenden Griechen. Auf türkeiweiten
Demonstrationen wurde »Taksim« – die Teilung Zyperns
in einen türkischen und einen griechischen Teil – gefordert. Dem Ziel Ankaras,
durch das Schüren nationalistischer Gegensätze die Unmöglichkeit eines
Zusammenlebens der beiden Volksgruppen auf Zypern zu beweisen, diente die
Gründung der »Türkischen Verteidigungsorganisation« (TMT) unter Führung von
Rauf Denktas. Nachdem eine von ihr selbst gelegten
Bombe im türkischen Informationszentrum von Nikosia explodierte und TMT-Männer
»Vergeltungsaktionen« im griechischen Viertel starteten, kam es im Sommer 1958
zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit Dutzenden Toten. Der Terror
der TMT, die den Grauen Wolf der türkischen Faschisten in ihrem Logo trug,
richtete sich auch gegen Befürworter eines Zusammenlebens der Volksgruppen. Auf
Zypern wurden türkischsprachige Gewerkschaftsführer und Kommunisten ermordet
und Arbeiter in rein türkische Verbände gezwungen.
»Castro im Priesterrock«
Nach dem Verlust der Kontrolle über
den Suezkanal 19563 stand die britische Regierung vor der Überlegung, auch die
kostspielige Kolonialherrschaft über Zypern aufzugeben. Doch die USA wollten
die Insel als Horchposten und Sprungbrett der NATO für militärische
Interventionen im Nahen Osten erhalten. Zudem befürchtete die US-Regierung eine
von der Türkei für den Fall einer Abtretung Zyperns an Griechenland angedrohte
kriegerische Auseinandersetzung zwischen NATO-Staaten. Die auf einer NATO-Tagung
unter Aufsicht Großbritanniens begonnenen Verhandlungen zwischen Griechenland
und der Türkei endeten im Februar 1959 mit dem Londoner Zypern-Abkommen, an
dessen Zustandekommen die Zyprer ebenso wenig beteiligt waren wie an der
Ausarbeitung ihrer zukünftigen Verfassung. 1960 wurde Zypern in die
Unabhängigkeit entlassen. Der politische Führer der griechischen Zyprer,
Erzbischof Makarios III, der im August 1960 mit 67
Prozent der Stimmen zum ersten Präsidenten der neuen Republik gewählt wurde,
akzeptierte das Angebot einer Unabhängigkeit der Insel statt sofortiger »Enosis«. Damit wurde er in den Augen des faschistischen
Flügels der EOKA um Grivas zum Verräter. Die
Unabhängigkeit blieb zudem völkerrechtlich eingeschränkt. So gehören bis heute
die Exklaven Akrotiri und Dekelia,
in denen 10000 britischen Soldaten stationiert waren, noch immer
völkerrechtlich zu Großbritannien, das ebenso wie Griechenland und die Türkei
zur Garantiemacht mit Interventionsrecht ernannt wurde. Die Verfassung
behandelte griechisch- und türkischsprachige Zyprer als zwei getrennte
Nationen. Den 18 Prozent der Bevölkerung ausmachenden türkischen Zyprern
standen der Vizepräsident, 30 Prozent der Parlamentssitze und 40 Prozent der
Streitkräfte zu. Mit dieser überproportionalen Vertretung und einem umfassenden
Vetorecht wurde die Führung der türkischen Zyprer so zu einer strategischen
Minderheit gemacht, die als Hüterin der NATO-Interessen zu fungieren hatte.
Da Beschlüsse der griechischen Mehrheit regelmäßig durch ein türkisches Veto
blockiert wurden, schlug Makarios 1963 eine
Verfassungsänderung zu Ungunsten der türkischen Minderheit vor. Dies war der
Auslöser eines monatelangen Bürgerkriegs, der nach einem Massaker der Polizei
in den türkischen Vierteln von Nikosia während der »blutigen Weihnacht« 1963
zum Tod von 1000 türkischen und 200 griechischen Zyprern führte. Eine 6000 Mann
starke UN-Friedenstruppe sollte weitere Kämpfe verhindern. 20000 türkische
Zyprer verließen – auch auf Druck der TMT – ihre Dörfer, um sich in befestigten
rein türkischen Enklaven zu verschanzen. Nach einem von Grivas
– mittlerweile zum Oberbefehlshaber der zyprischen Streitkräfte, der
Nationalgarde aufgestiegen – auf eigene Faust befohlenen Angriff auf
türkischsprachige Zyprer in Kokkina bombardierte die
türkische Luftwaffe am 8. und 9. August 1964 Dörfer bei Paphos
und Polis. 33 griechische Zyprioten wurden getötet. Makarios
bat in dieser Situation – wenn auch vergeblich – die Sowjetunion, Syrien und
Ägypten um militärischen Beistand. Das ließ in Washington und bei der strikt
antikommunistisch ausgerichteten griechischen Regierung die Alarmlampen
leuchten.
Die USA
sahen ihre Interessen gefährdet durch den schwelenden Konflikt zwischen ihren
griechischen und türkischen Verbündeten, das Anwachsen der kommunistischen AKEL
und Makarios’ antiimperialistische Außenpolitik im
Rahmen der Bewegung der Blockfreien Staaten. Das Gespenst vom »Cuba im
Mittelmeer« und dem »Castro im Priesterrock« machte die Runde. Ein im Sommer
1964 vom Zypern-Sonderbeauftragten des US-Präsidenten, dem früheren
US-Außenminister Dean Acheson, vorgelegter Plan sah die Liquidierung Zyperns
als eines unabhängigen Staates durch eine »doppelte Enosis«
– also den Anschluß der Insel an Griechenland bei
Abtretung eines Teils an die Türkei – vor. Um sich Makarios’
zu entledigen, setzte Washington auf die im April 1967 mit Unterstützung der
CIA in Athen an die Macht geputschte Obristenjunta.
Unter Grivas als Vertrauensmann der Junta ging eine
vom US-Geheimdienst gesteuerte und über Israel mit Waffen versorgte
Terrororganisation namens EOKA-B blutig gegen griechisch-zyprische Linke und
Anhänger von Makarios vor. »Ich habe schon mehr als
einmal die unsichtbare Hand gespürt, die von Athen aus nach mir ausgestreckt
wurde und meine menschliche Existenz auszulöschen versuchte«, erklärte Makarios, nachdem mehrere Attentate auf ihn verübt worden
waren.
»Türken-Killer«
Seine
Forderung nach Abberufung von 650 griechischen Offizieren aus der zyprischen
Nationalgarde kam einer Kriegserklärung an die Athener Junta gleich. Deren
starker Mann, Geheimdienstchef Dimitrios Ionnidis,
ließ am 15. Juli 1974 seine Getreuen auf der Insel gegen Makarios
putschen. Die AKEL hatte ihre Anhänger angesichts des von ihr erwarteten
Staatsstreiches fatalerweise dazu aufgerufen, der Polizei zu vertrauen. So
konnten die Kommunisten trotz ihrer Massenbasis in der Bevölkerung den
Putschisten nichts entgegensetzen. Dagegen lieferte sich eine Miliz der
kleineren Sozialistischen Partei, die von Vasso Lyssarides, dem Leibarzt und Berater des Staatspräsidenten,
geführt wurde, erbitterte Kämpfe mit den Putschisten. Während Makarios, dessen angeblicher Tod im Rundfunk bereits
gemeldet worden war, in eine britische Luftwaffenbasis entkommen konnte, setzte
die Junta den EOKA-Mann Nikos Sampson, der sich der eigenhändigen Ermordung
von 200 türkischen Frauen und Kindern rühmte, als Präsidenten ein. Zwar
richtete sich der Terror der Putschisten vorerst nur gegen griechisch-zyprische
Linke und Makarios-Anhänger. Doch für die türkische
Regierung war die Einsetzung des »Türken-Killers« der erhoffte Anlaß, um unter Berufung auf ihr Recht als Garantiemacht
die Invasion Zyperns einzuleiten.
Nachdem die türkische Armee sich einen Brückenkopf auf der Insel gesichert
hatte, wurde am 25. Juli ein Waffenstillstand ausgehandelt und eine neue
Gesprächsrunde der Garantiemächte über die Zukunft des 9250 Quadratkilometer
großen Eilands vereinbart. Wäre es nur um den Schutz der türkischen Zyprer
gegangen, hätte der »Friedenseinsatz« jetzt beendet werden können. Statt dessen setzte am 14. August die nächste Invasionswelle
unter dem Namen »Attila II« ein. Die mit Gewehren aus dem Weltkrieg
ausgerüstete Nationalgarde konnte der mit Panzern und Kampfflugzeugen
vorrückenden NATO-Armee nichts entgegensetzen. Die türkischen Soldaten begingen
systematische Grausamkeiten einschließlich organisierter Vergewaltigungen, um
die griechische Bevölkerung in die Flucht zu jagen. Nach zwei Tagen stoppte der
Vormarsch an der vom Generalstab beschlossenen Attila-Linie. Das besetzte
Gebiet umfaßte 36,4 Prozent der Inselfläche mit 65
Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen und 56 Prozent der Bergwerke
und Steinbrüche. 80 Prozent des Bodens hatte zuvor griechischen Zyprern gehört.
So wurde die bislang rein griechische Stadt Kyrenia
nach Vertreibung ihrer Einwohner zur türkischen Stadt Girne.
Östliche Flanke intakt
Die Invasion
kostete 6000 griechischen Zyprern das Leben. »Im Laufe von nur einem einzigen
Monat, vom Putsch der Junta bis zum Ende von Attila II, wurden 1,5 Prozent der
griechisch-zypriotischen Bevölkerung getötet oder verletzt«, führte der
Sozialist Lyssarides aus. »Das ist ein Blutzoll, den
Deutsche und Russen in den fünfjährigen Kämpfen des Zweiten Weltkriegs im
selben Verhältnis entrichten mußten. Jeder dritte von
uns verlor unwiderruflich sein Zuhause.« 1456 Menschen
gelten bis heute als vermißt – der Europäische
Menschenrechtsgerichtshof verurteilte die Türkei deswegen im Mai 2014 zu einer
Entschädigungszahlung. Die Zahl der durch die türkische Besetzung vertriebenen
griechischen Zyprer beträgt 123000. Zirka 43000 türkische Zyprer flohen
ihrerseits aus Angst vor Anschlägen in den Nordteil.
Die griechische Militärjunta wurde von den Ereignissen völlig überrascht. Die
Obristen hatten sich auf Zusagen der US-Regierung verlassen, niemals eine
türkische Invasion zuzulassen. So mußte die Junta
aufgrund ihres Versagens in der Zypernfrage am 23. Juli zugunsten einer
Zivilregierung abtreten – ebenso wie ihre Marionette Sampson auf Zypern. Der
für Washington entstandene Schaden durch die Brüskierung der Griechen hielt
sich in Grenzen. Griechenland trat zwar vorübergehend aus den militärischen
Strukturen der NATO aus und schloß seinen Hafen
Piräus für die US-Flotte, doch der befürchtete Krieg zwischen zwei
NATO-Alliieren war abgewendet. Letztendlich habe die US-Regierung ihr
wichtigstes Ziel erreicht, rechtfertigte sich US-Außenminister Henry Kissinger
als graue Eminenz, die hinter der Teilung der Insel stand, in seinen Memoiren,
»die östliche Flanke der NATO blieb trotz aller Anspannungen intakt«. Eine im
Auftrag des Justizausschusses im US-Senat erstellte Lagestudie des »Komitees
für die Untersuchung von Flüchtlingsproblemen« konstatierte dagegen zwei Monate
nach der türkischen Invasion, daß »das wehrlose Volk
von Zypern (…) im Stich gelassen« wurde. Die von vielen Beobachtern beklagte
Parteinahme der USA zugunsten der Türkei in diesem Konflikt habe »in der
Unterlassung unserer Außenpolitik« bestanden, »in der offensichtlichen
Billigung der türkischen Invasion, der stillschweigenden Anerkennung eines
durch militärische Gewalt geschaffenen vollendeten Tatbestands«. Bei der
Bewertung der Ereignisse durch Außenminister Kissinger »fehlte in
bemerkenswerter Weise jede Feststellung, daß die
territoriale Integrität Zyperns verletzt worden war, jeder Ausdruck des
Bedauerns oder der Besorgnis über die türkische Invasion auf der Insel«, heißt
es in der Studie.
Spielbank der türkischen Mafia
Der im
Dezember 1974 nach fünfmonatigem Exil in den Präsidentenpalast zurückgekehrte Makarios starb 1977 an einem Herzinfarkt. Rauf Denktas ließ sich im Februar 1975 zum Präsidenten eines
»Türkischen Bundesstaates von Zypern« ausrufen. 1983 wurde die bis heute nur
von Ankara anerkannte »Türkischen Republik Nordzypern« (KKTC) proklamiert, ein
vom UN-Sicherheitsrat als völkerrechtswidrig verurteilter Schritt.
Die Zahl der türkischen Zyprer ist von 120000 zum Zeitpunkt der Invasion durch
armutsbedingte Auswanderung auf heute etwa 90000 zurückgegangen. Zu ihrer
Verdrängung hat die Ansiedlung von über 100000 Festlandstürken beigetragen. Ein
Großteil dieser von den Inseltürken ablehnend als »Schwarzbärte« titulierten
Kolonisten, die gemeinsam mit bis zu 40000 Besatzungssoldaten die dauerhafte
Kontrolle Ankaras über seine Kolonie im Mittelmeer sichern sollen, entstammt
dem neofaschistischen oder religiös-reaktionären Umfeld. Nordzypern wurde mit
seinen zur Geldwäsche genutzten Spielbanken zum Hinterland der türkischen
Mafia.
Ein von UN-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegter und von 65 Prozent der
türkischsprachigen Zypern-Bewohner befürworteter Plan zur Vereinigung der Insel
zu einem aus zwei Teilstaaten bestehenden Bundesstaat scheiterte 2004 an der
Ablehnung durch 76 Prozent der griechischen Zyprer. Das vorgeschlagene Modell
nationaler Quotierung im Staatsapparat hätte die Spannungen zwischen den Volksgruppen
verschärft, anstatt sie zu überwinden und damit den erneut als Garantiemächten
vorgesehenen Staaten Großbritannien, Türkei und Griechenland
Interventionsgründe geliefert. Ein Jahr nach dem Irak-Krieg, für den die
britischen Militärstützpunkte auf Zypern eine wichtige Rolle gespielt hatten,
enthielt die Absage an diesen in London und Washington entworfenen Plan zur
dauerhaften Kontrolle des »unsinkbaren Flugzeugträgers« zudem eine
antiimperialistische Komponente.
Im Mai 2004 wurde die Republik Zypern mit ihrem die ganze Insel umfassenden
völkerrechtlich anerkannten Territorium in die EU aufgenommen. Der faktische
Machtbereich der (von Ankara nicht anerkannten) zyprischen Regierung endet
jedoch an der quer durch Nikosia verlaufenden »Grünen Linie« – auch wenn diese
von UN-Soldaten bewachte Demarkationslinie für die Inselbewohner und Touristen
in den letzten Jahren durchlässig wurde. Die griechischen Zyprer leiden seit
2011 unter einem mit Aufnahme in den Europäischen Stabilitätspakt verbundenen
Spardiktat der Troika. Auch Ankara verordnete dem aufgrund eines EU-Embargos
wirtschaftlich von ihm komplett abhängigen Nordteil der Insel einen rigiden
Sparkurs. Ihre geostrategische Bedeutung für die NATO hat die Insel auch in
Zeiten wirtschaftlicher Erschütterungen aber behalten. Die Gouvernement
Communication Headquarters (GCHQ) auf der britischen
Basis Dekelia in Ayios
Nikolaos sind die Zentrale der anglo-amerikanischen Internetaufklärung im Nahen
Osten. Mehr als ein Dutzend über Zypern verlegter strategisch wichtiger
Glasfaserkabel machen die Insel zu einem Zentrum für
Massenüberwachungssysteme, wie auch die Enthüllungen Edward Snowdens
zeigen.
Schlüsselpartner der USA
In den
letzten Jahren wurden riesige Gasfelder mit schätzungsweise 255 Milliarden
Kubikmeter sowie Öl im Meer vor Zypern gefunden. »Wir verfügen über Ressourcen,
welche die EU unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen«, sieht der
Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiadis,
sein Land als Profiteur der Ukraine-Krise. Der kürzeste und kostengünstigste
Weg für den Abtransport der dort geförderten Ressourcen sowie der daran
grenzenden israelischen Gasvorkommen wäre eine Unterwasserpipeline in die
Türkei. Einer solchen Kooperation zur Sicherung der Energieversorgung steht
allerdings die ungelöste Zypernfrage entgegen. Als erster ranghoher
US-Politiker seit mehr als einem halben Jahrhundert besuchte im Mai
US-Vizepräsident Joe Biden die von ihm als »Schlüsselpartner« in der sich
wandelnden Nahostregion bezeichnete Insel zu Gesprächen mit Anastasiadis
und dem Vertreter der türkischsprachigen Bewohner, Dervis Eroglu, über eine
Beilegung der Zypern-Krise. »Die Amerikaner sind ja nur an Öl- und Gasfeldern
im östlichen Teil des Mittelmeers interessiert«, warnt der langjährige
Bürgermeister (1994 bis Juni 2014) der türkisch-zypriotischen Stadt Famagusta, Oktay Kayalp, vor
Illusionen über die Absichten der USA. »Sie versuchen, die Initiative in die
Hand zu nehmen und eine Schlüsselrolle bei Gewinnung und Transport der
Energieressourcen nach Europa zu spielen.« Auch einen
NATO-Beitritt einer wiedervereinigten Insel hat Anastasiadis
in Aussicht gestellt. 40 Jahre nach der maßgeblich auf US-Pläne
zurückzuführenden Teilung ist damit eine ebenso imperialistisch motivierte
Wiedervereinigung Zyperns auf Druck Washingtons nicht mehr ausgeschlossen.
Anmerkungen
1
Irredentismus bezeichnet eine Ideologie, die auf die Zusammenführung möglichst
aller Vertreter einer bestimmten Ethnie in einem Staat hinzielt. Das Wort
Irredentismus leitet sich ab vom italienischen Begriff Terre
irredente (»unerlöste Gebiete«).
2 Der griechische Bürgerkrieg begann im März 1946 und endete am 9. Oktober
1949. Er bezeichnet den Konflikt zwischen der linken Volksfront bzw. deren
Demokratischer Armee, die logistisch durch Albanien und Jugoslawien unterstützt
wurde, und der konservativen griechischen Regierung, welche von Großbritannien
bis 1947 und ab März 1947 von den USA im Rahmen der Truman-Doktrin militärische
Hilfe erhielt.
3 Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser hatte den Suezkanal am 26. Juli
1956 verstaatlicht.