Junge Welt 06.10.2001
Neben den »Experten«meinungen à la Peter Scholl-Latour oder
Gerhard Konzelmann, die derzeit Talkshows und Feuilletonseiten füllen, erscheint
das schon im letzten Jahr erschienene Buch des ostdeutschen Orientalisten
Eberhard Serauky »Im Namen Allahs« wohltuend seriös. Zwischen 1968 und 1974 war
der Autor Hauptreferent im Außenministerium der DDR und arbeitete danach an der
Akademie der Wissenschaften bzw. der Humboldt-Universität. Seit 1995
unterstützt Serauky Forschungs- und Publikationsvorhaben der
Ain-Shams-Universität in Kairo. Schon sein beruflicher Werdegang in der DDR und
heute in Ägypten unterscheidet Serauky von jenen »Fachleuten«, die im »Kampf
der Kulturen« eine Fortsetzung des Kalten Krieges zu erblicken scheinen.
Viel von dem, was in den letzten Wochen als neue Erkenntnis über das
Terrornetzwerk des Osama bin Laden präsentiert wurde, hat Serauky bereits im
vergangenen Jahr in seinem Buch detailliert beschrieben. Er untersucht darin
vor allem die islamistische Bewegung in Ägypten. Mit dem spektakulären Attentat
auf Staatschef Sadat im Oktober 1981, mit einer Vielzahl tödlicher Angriffe auf
Vertreter des Staates, auf Intellektuelle und in den 90er Jahren bevorzugt auf
westliche Touristen wurde Ägypten zum Versuchslabor für die Islamisten. In
Osama bin Ladens Al Qaida bringen die Ägypter Kampfpraxis ebenso ein wie
langjährig entwickelte theoretische Gedanken und die Erfahrung mit der
Repression des Staates. Die mutmaßliche Nummer zwei der Al Qaida hinter bin
Laden, der Arzt Aiman az-Zawahiri, Führer der »Bewegung islamischer Heiliger
Krieg«, ist ein Ägypter.
Detailliert beschreibt Serauky Strategie und Taktik der islamistischen Bewegung
in Ägypten, beginnend mit der in den 20er Jahren gegründeten
Moslembrüderschaft. Aus den Dokumenten von Organisationen wie der »Islamischen
Gemeinschaft« und der mit Bin Laden verbündeten »Bewegung islamischer Heiliger
Krieg« wird deren Strategie zur Machteroberung in islamischen Ländern deutlich:
Ausschaltung der prowestlichen Regierungen durch Ausnutzung einer Staatskrise
oder deren Herbeiführung durch Terroranschläge, Auslösung einer Massenbewegung,
Machtübernahme und Ermordung von Regierungsmitgliedern sowie Führern der
Linksparteien.
Serauky argumentiert politisch-soziologisch. Religiöse Fragen bleiben bei ihm
im Hintergrund, Begriffe wie »Heiliger Krieg« werden kaum analysiert. Der Autor
verwendet den Begriff »Terroristen« für alle Angehörigen der radikal
islamistischen Bewegungen – unabhängig davon, ob sie nur propagandistisch oder
auch bewaffnet vorgehen. Dies verwundert, da Serauky den ägyptischen Staat eben
wegen dessen Gleichbehandlung aller Islamisten kritisiert, weil dies deren Organisationen
neue Mitglieder zutreibe.
Serauky zeigt auf, wie Mubarak Ägypten zum Nährboden des islamischen
Terrorismus werden ließ. Das äußerst harte Vorgehen der Militärs gegen die
islamische Bewegung verschaffte den zumeist jugendlichen Aktivisten einen Märtyrerbonus,
gleichzeitig wurden diese in den Gefängnissen durch den Kontakt mit
inhaftierten Kadern der Bewegung weiter radikalisiert. Die allgegenwärtige
Korruption ermöglichte es den Terrororganisationen, problemlos Geld zu
requirieren bzw. zu waschen. Die moralische Verkommenheit der ägyptischen
Oberschicht sowie die enge politisch-militärische Zusammenarbeit Mubaraks mit
den USA lassen in breiten Kreisen des Volkes den Wunsch nach einer sittlichen
Reinigung und Rückkehr zu alten Werten wachsen, wie sie der Islam verkündet.
Von Nick Brauns
* Eberhard Serauky: Im Namen Allahs – Der Terrorismus im Nahen Osten.
Karl Dietz Verlag, Berlin 2000, 302 Seiten, DM 29,80