Aus: antirepression, Beilage der junge Welt vom 06.07.2011
Unter
Terrorverdacht
Der
Paragraph 129b richtet sich immer öfter gegen linke und Befreiungsbewegungen.
Nun zeichnet sich Ausweitung auf mutmaßliche Mitglieder der PKK in Deutschland
ab
Nick Brauns
Bereits kurz nach den Anschlägen vom 11.September 2001 in den USA wurde im
Strafgesetzbuch der Paragraph 129b Strafgesetzbuch über »terroristische
Vereinigungen im Ausland« eingeführt. Damit war es möglich, Exilpolitiker zu
verfolgen, die als Unterstützer von Befreiungsbewegungen ihrer Heimatländer
bislang völlig legal und gewaltfrei in Deutschland aktiv waren. An sich legale
Tätigkeiten wie Spendensammlungen für politische Gefangene, Presseinformationen
über Menschenrechtsverstöße oder die Organisation von Kulturveranstaltungen
können damit zur terroristischen Straftat werden, wenn sie nach Meinung der
deutschen Justiz im Rahmen einer Vereinigung stattfinden, die etwa in der
Türkei, in Afghanistan oder Sri Lanka auch bewaffnet für ihre Ziele eintritt.
Die nur politisch zu beantwortende Frage, ob es sich bei der jeweiligen
Vereinigung um Terroristen oder Freiheitskämpfer handelt, entscheidet das für
die Erteilung einer Verfolgungsermächtigung nach Paragraph 129b StGB zuständige
Bundesjustizministerium. Ausschlaggebend sind dabei offenkundig auswärtige
Interessen der Bundesregierung wie etwa die Beziehungen zum NATO-Partner
Türkei.
Die Zahl von
129-b-Ermittlungsverfahren stieg in den letzten Jahren rapide an. War das
Bundeskriminalamt 2008 mit 57 neuen Verfahren nach Paragraph 129b StGB befaßt, so kamen im folgenden Jahr 95 und im Jahr 2010 gar
123 neue Verfahren dazu. »Eine Vielzahl dieser Ermittlungsverfahren wird im
Zusammenhang mit den Anschlägen gegen die Bundeswehr in Afghanistan geführt«,
begründet die Bundesregierung diesen Zuwachs mit dem Widerstand gegen die Besatzungstruppen.
Während solche Ermittlungsverfahren gegen Taliban wohl mehrheitlich im Sande
verlaufen werden, wurden in Deutschland nahezu alle bislang Angeklagten zu zum
Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt.
In einer
ersten Erprobungsphase richtete sich der Paragraph 129b ausschließlich gegen in
Deutschland lebende Anhänger isolierter islamistischer Organisationen wie der
irakisch-kurdischen Ansar Al-Islam. Dann erfolgte die
Ausweitung auf mutmaßliche Kader der in der Türkei militant kämpfenden marxistisch-leninistischen
DHKP-C und schließlich auf Funktionäre der vom Verfassungsschutz als
DHKP-C-Frontorganisation eingeschätzte aber legal in
Deutschland tätige Anatolische Föderation. In Düsseldorf läuft zur Zeit ein Verfahren gegen vier Tamilen, die beschuldigt
werden, Kader der Tamil Tigers aus Sri Lanka zu sein. Da die LTTE, der die
Angeklagten laut Staatsanwaltschaft Spenden und Ausrüstungsgegenstände zukommen
ließen, auch auf der Terrorliste der EU aufgeführt wird, erfolgte eine
zusätzliche Anklage wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz.
Jetzt
zeichnet sich eine Ausweitung der Anwendung des Paragraphen 129b StGB auf die
bislang bereits durch das PKK-Verbot verfolgte kurdische Befreiungsbewegung ab,
die im Nahen Osten über Millionen Anhänger verfügt und auch in Deutschland
Zehntausende zu Großdemonstrationen mobilisieren kann. So steht ab Mitte August
erstmals ein mutmaßlicher Kader der Arbeiterpartei Kurdistans PKK wegen
»Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« vor einem
deutschen Gericht. Aufgrund seiner Kadertätigkeit im Bundesgebiet soll er nach
der Logik des Terrorparagraphen zugleich für Guerillaaktionen in Kurdistan
verantwortlich gemacht werden.
In einem
Revisionsverfahren gegen den zuvor vom Frankfurter Oberlandesgericht wegen
Mitgliedschaft in einer inländischen kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129
StGB bereits verurteilten Aktivisten hatte der Bundesgerichtshof das nach den
»Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung ausgerichtete« Urteil aufgehoben, da die
PKK-Strukturen in Deutschland als »unselbständiger Teil der
Auslandsorganisation« einzustufen seien. Ausdrücklich bezieht sich der Senat
dabei auf vorangegangene Pilotverfahren gegen mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder.
Nur weil die Arbeiterpartei Kurdistans eine größere öffentliche Aufmerksamkeit
genieße und eine deutlich höhere Anzahl von Mitgliedern habe, sei keine
ungleiche Bewertung gerechtfertigt.
Das
Bundesjustizministerium hat die für eine Strafverfolgung notwendige
Einzelermächtigung im Falle des ab August vor Gericht stehenden kurdischen
Aktivisten inzwischen erteilt. Ob eine generelle Ausweitung dieser
129b-Verfolgungsermächtigung auf alle laut Verfassungsschutz 11500
PKK-Mitglieder in Deutschland folgt, hängt wohl auch vom Ausgang dieses Pilotverfahrens
ab.