junge Welt 22.10.2007 / Politisches Buch / Seite 15



Traum vom Ölimperium

Der marxistische Historiker Dietrich Eichholtz untersucht die Erdölpolitik des deutschen Imperialismus bis 1945

Von Nick Brauns

Mit dem Übergang der britischen und deutschen Kriegsmarine von Kohle auf Ölfeuerung vor rund 100 Jahren begann das moderne Ölzeitalter. Das schwarze Gold wurde zum Treibstoff der mechanisierten Kriegsführung und zugleich zum vorrangigen Kriegsziel. Der marxistische Wirtschaftshistoriker Dietrich Eichholtz hat mit der Untersuchung »Die Bagdadbahn, Mesopotamien und die deutsche Ölpolitik bis 1918 – Aufhaltsamer Übergang ins Erdölzeitalter« jetzt den dritten Band zur Erdölpolitik des deutschen Imperialismus vorgelegt. 2005 und 2006 erschienen bereits die mit Quellentexten unter anderem aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes ergänzten Einzeluntersuchungen »Deutsche Politik und rumänisches Öl (1938–1941)« und »Krieg um Öl – Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel (1938–1943)«.

Öl und Bagdadbahn

Die Deutsche Bank verfolgte mit dem 1903 begonnenen Bau der Bagdadbahn vorrangig das Ziel der wirtschaftlichen Durchdringung des Osmanischen Reiches, während Kaiser Wilhelm II. und das Auswärtige Amt weitreichende imperialistische Ziele mit dem als deutsch-nationale Sache verstandenen Projekt verbanden und das britische Imperium an seiner Achillesferse auf dem Landweg nach Indien treffen wollten. Erdöl spielte anfangs nur eine untergeordnete Rolle. Zwar bekam die Bagdadbahngesellschaft das Recht, entlang einer Breite von jeweils 20 Kilometern rechts und links des Schienenstranges nach Rohstoffen zu schürfen. Doch die Deutsche Bank ließ eine 1904 vergebene Ölkonzession für die mesopotamischen Ölfelder ungenutzt, da ihr das finanzielle Risiko zu groß erschien. Zudem war die Mindestvoraussetzung für die industrielle Ölförderung die Fertigstellung der Bagdadbahn bis ins Ölgebiet um Mossul. Der Bahnbau hatte absolute Priorität für den deutschen Imperialismus. So erkaufte sich die Deutsche Bank durch Zugeständnisse an Großbritannien in der Ölfrage grünes Licht für den Weiterbau der Bahn bis zum Persischen Golf und übertrug ihre Ölkonzessionen an die 1912 gegründete Türkische Petroleumgesellschaft. Trotz einer nur 25prozentigen Kapitalbeteiligung handelte die Deutsche Bank als faktische Vertretung des deutschen Staates aus, daß die deutsche Marine ebenso wie die britische jeweils Anspruch auf ein Drittel des Ölexportes hätte. Der Ausbruch des Krieges verhinderte allerdings den Abschluß des Konzessionsvertrages.

Die deutsche Unterlegenheit gegenüber den Entente-Streitkräften drückte sich bei längerer Dauer des Krieges im Mangel an Treibstoff aus. Der auf der Alliierten Petroleumkonferenz in London im November 1918 getätigte Ausspruch des konservativen britischen Außenpolitikers Lord George Curzon, die Entente sei auf einer Woge von Öl zum Sieg geschwommen, entsprach durchaus der Wahrheit. Mit der deutschen Kriegsniederlage gingen die Anteile der Deutschen Bank an der Türkischen Petroleumgesellschaft an Frankreich über, das mesopotamische Öl war im neugeschaffenen Staat Irak mehrheitlich unter britischer Kontrolle.

Zweiter Weltkrieg

Daß im Zweiten Weltkrieg die Eroberung eines Erdölimperiums Kriegsziel war, lag nicht nur an Revanchegelüsten deutscher Wirtschaftsführer, die den Verlust ihrer Mesopotamienkonzession nicht verkraftet hatten. Vielmehr wurde nach der Annexion Österreichs und dem Münchner Diktat die Herrschaft über das Öl des Kaukasus neben der »Kornkammer« Ukraine erklärtermaßen zur logistischen Voraussetzung für den neuen »Griff nach der Weltmacht«. Die Sudetenkrise im Sommer 1938 sowie die Erkenntnisse aus dem Abessinien- und Spanienkrieg hatten deutlich gemacht, daß das bisherige Versorgungskonzept gescheitert war und die Zahlen für den Kriegsbedarf erheblich nach oben korrigiert werden mußten. Die Eroberung von Ölvorkommen wurde so bald zum wichtigsten deutschen Kriegsziel.

Reichsmarschall Hermann Göring schuf im Januar 1941 im Hinblick auf den geplanten Überfall auf die Sowjetunion die »Kontinentale Öl AG«, die als Global Player die »Deutschland jetzt und künftig aus dem Besitz der Feindmächte und der Neutralen anfallenden Ölinteressen übernehmen« sollte. In der Konti Öl als Monopolunternehmen des deutschen Großkapitals hatten sich unter anderem die IG Farben, Deutsche und Dresdner Bank, Deutsche Erdöl AG, Preußag, Babag und Wintershall AG mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Ölförderung und Verarbeitung in den deutsch beherrschten und noch zu erobernden Gebieten zu betreiben.

Das Oberkommando des Heeres entwarf Hand in Hand mit den deutschen Wirtschaftsführern Pläne, um durch schnelles Zufassen das Erdölgebiet des Kaukasus unzerstört in die Hand zu bekommen. Die britische Position im Nahen Osten sollte »durch konzentrierten Angriff … aus Libyen durch Ägypten, aus Bulgarien durch die Türkei und unter Umständen auch aus Transkaukasien heraus durch den Iran« ausgehebelt werden und der Suez-Kanal so von Osten und Westen her in Besitz genommen werden. Der Plan, von Südrußland und von der ägyptischen Grenze aus zugleich die UdSSR zu zerschlagen und das britische Weltreich von der Peripherie her in die Knie zu zwingen, zerplatzte durch die Niederlagen der Nazi-Wehrmacht in Stalingrad, am Kaukasus und in Nordafrika. Die »Kaukasus-Zange« entpuppte sich als Phantasterei, keines der bedeutenden Ölfelder konnte erobert werden. Lediglich die nicht sehr effektiven rumänischen Ölfelder dienten als Hauptenergiequelle der deutschen Kriegsführung.

Heute ist die Energieversorgung und Rohstoffsicherung erneut in den Mittelpunkt der deutschen Außen- und Kriegspolitik gerückt. So erklärte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Februar 2006 auf der Münchner Sicherheitskonferenz: »Globale Sicherheit im 21. Jahrhundert wird untrennbar auch mit Energiesicherheit verbunden sein Und die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, das verstehen Sie, muß sich dieser strategischen Herausforderung stellen. Wir sind ein rohstoffarmes Land.«

Bei der von den USA begonnenen Neuaufteilung der Welt will sich der deutsche Imperialismus ein Mitspracherecht sichern. Die zentralasiatischen Energieressourcen sind dabei für die Versorgungssicherheit Deutschlands von herausragender Bedeutung. Wer Afghanistan beherrscht, kann im Konfliktfall die Transportwege des zentralasiatischen Öls und Gases kappen. Das ist der Grund, warum die deutsche Regierung so energisch auf eine Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch drängt. Der neue Krieg um Öl hat längst begonnen. Über seine Vorgeschichte im 20.Jahrhundert liefern die Untersuchungen von Eichholtz wertvolle Erkenntnisse.

Dietrich Eichholtz: Deutsche Politik und rumänisches Öl (1938-1941). Eine Studie über Erdölimperialismus. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2005, 71 Seiten, 15 Euro

Dietrich Eichholtz: Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel (1938-1943). Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, 141 Seiten, 15 Euro

Dietrich Eichholtz: Die Bagdadbahn. Mesopotamien und die deutsche Ölpolitik bis 1918. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2007, 103 Seiten, 15 Euro