junge Welt
17.09.2011 / Ausland / Seite 6
Trojanisches Pferd
Von Nick
Brauns
Mit
Necmettin Erbakan wurde 1996 erstmals ein Vertreter des politischen Islam
Ministerpräsident der Türkei. Erbakan trat verbal für den NATO-Austritt und den
Bruch der Zollunion mit der EU ein und bereiste demonstrativ auch solche vom
Westen als Terrorunterstützer gebrandmarkten islamischen Bruderländer wie Iran
und Libyen. Doch als Erbakan vom laizistischen Militär am 28. Februar 1997 aus
innenpolitischen Gründen zum Rücktritt gezwungen wurde, war die Türkei
keineswegs von ihrer Westorientierung abgekommen. Vielmehr war unter Erbakan
das bislang weitreichendste Militärabkommen mit Israel unterzeichnet worden,
das eine intensive militärpolitische Zusammenarbeit einleitete. Mit seiner
antiwestlichen Rhetorik hatte Erbakan die damalige gegen Syrien, Iran, Irak
sowie die kurdische PKK gerichtete Allianz mit dem zionistischen Staat gedeckt.
Parallelen werden deutlich, wenn sich heute Erbakans
früherer Gefolgsmann Recep Tayyip Erdogan als Held
der arabischen Straße feiern läßt. Während Erdogan
rechtzeitig vor Beginn seiner Reise durch die arabischen Länder mit der
Ausweisung des israelischen Botschafters ein Fanal setzte, wurde am Mittwoch in
Ankara der Vertrag über die Stationierung einer US-Radaranlage in der
südostanatolischen Provinz Malatya als Teil des vor allem gegen Iran
gerichteten NATO-Raketenschirms unterzeichnet.
Auffällig ist die Zurückhaltung der US-Regierung angesichts der geradezu
kriegerischen Töne Erdogans in Richtung Israel. Die
an die Türkei und Israel gerichteten Ermahnungen von Außenministerin Hillary
Clinton klingen eher nach einer Schelte für ungezogene Kinder als nach
ernsthafter Sorge über ein dauerhaftes Zerwürfnis ihrer beiden engsten
Verbündeten in Nahost. Auch unterstützen die USA weiterhin türkische
Luftangriffe auf kurdische Guerilla-Lager im Nordirak.
Tatsächlich findet die neo-osmanische Politik der islamisch-konservativen
AKP-Regierung in enger Abstimmung mit der US-Administration statt. Der frühere
US-Präsident George W. Bush und die hinter ihm stehenden Neokonservativen
hatten noch auf den nicht zu gewinnenden »Krieg gegen den Islam« mit Israel als
ihrem zentralen Verbündeten gesetzt. Dagegen benannte Barack
Obama in seiner Kairoer Rede im Juni 2009 den
gemäßigten Islam als strategischen Partner der USA im Nahen Osten. Zentraler
Akteur dieser US-Strategie ist die Türkei, mit deren Hilfe Kräfte wieder
eingebunden werden sollen, die sich aufgrund der israelischen
Aggressionspolitik von den USA distanziert hatten. Vor dem Hintergrund der
arabischen Revolution ist diese Bedeutung der AKP als Schirmherrin der
Moslembrüder in Ägypten und Syrien weiter angewachsen. Indem sich der
NATO-Staat Türkei als scheinbar bester Verteidiger palästinensischer Interessen
präsentiert, soll der iranische Einfluß
zurückgedrängt werden. Was praktisch davon zu halten ist, beweist die Sabotage
der diesjährigen Gaza-Flotte durch Ankara. Bei aller antiisraelischen Rhetorik
bleibt die Türkei das trojanische Pferd der NATO in der islamischen Welt.