Zur Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands und der Rote Hilfe e.V.

 

München kann als Geburtsstadt der Roten Hilfe angesehen werden. Hier gründeten nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik 1919 Frauen wie die Unabhängige Sozialdemokratin Rosa Aschenbrenner die "Frauenhilfe für politische Gefangenen". Die Frauenhilfe sammelte Gelder und Lebensmittel für die ihrer Ernährers durch Haft oder Tod beraubten Proletarierfamilien. Als nach dem kommunistischen Aufstand in Mitteldeutschland im März 1921 eine Massenrepression gegen die RevolutionärInnen einsetzte, rief der kommunistische Reichstagsabgeordnete Wilhelm Pieck zur Gründung von Rote-Hilfe-Komitees zur Unterstützung der Opfer des weißen Terrors auf. Auch nach den gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 leisteten die Rote-Hilfe-Komitees juristische, materielle und moralische Hilfe für Gefangene oder Untergetauchte und ihre Familien. Ende 1924 wurde die Rote Hilfe Deutschlands als offiziell von der KPD unabhängige zentralisierte Mitgliederorganisation gegründet.

Obwohl eindeutig kommunistisch gelenkt - Vorsitzender war Wilhelm Pieck - war der Anspruch der RHD überparteilich. Das äußerte sich sowohl in der Mitgliedschaft, die neben KommunistInnen auch einige AnarchistInnen, SozialdemokratInnen, Linksliberale und vor allem Parteilose umfaßte. Unterstützt wurden proletarische politische Gefangene ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. So führte die RHD Massenkampagnen für die Freilassung des anarchistischen Dichters Erich Mühsam, des Linkskommunisten Max Hoelz, des von den Nazis zu den Kommunisten übergewechselten Reichswehrleutnants Richard Scheringers und des Bauernführers Claus Heim. Anfang der 30er Jahre unterstützte die Rote Hilfe auch dutzende von sozialdemokratischen Reichsbannerarbeitern, die nach Kämpfen mit der SA angeklagt wurden und von der SPD keine Hilfe erhielten.

Die RHD organisierte Rechtsberatungsstellen, stellte AnwältInnen für politische Prozesse und führte breite Kampagnen für eine Amnestie für politische Gefangene. Ein Bestseller war die von Professor Felix Halle verfasste Broschüre "Wie verteidigt sich der Proletarier vor Gericht" - ein Vorläufer von "Was tun wenn es brennt". Ein illegaler Apparat der Roten Hilfe beschaffte falsche Pässe und leistete Fluchthilfe in die Sowjetunion für Revolutionäre, denen langjährige Haftstrafen drohten. Die Mörder des Nazi-Führers Horst Wessel wurden so außer Landes gebracht. Politischen EmigrantInnen aus anderen Ländern, wie vielen italienische AntifaschistInnen, beschaffte nach Möglichkeit die Rote Hilfe Unterkunft und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Mit Hilfe der KPD-Reichstagsfraktion stritt die Rote Hilfe für ein uneingeschränktes Recht auf Asyl. In großangelegten Winterhilfskampagnen wurden Geld und Lebensmittel für die Familien der politischen Gefangenen gesammelt. Die Rote Hilfe unterhielt in Worpswede und Elgersburg zwei Kinderheime als Erholungsstätten für die Kinder politischer Gefangener und im Klassenkampf gefallener ArbeiterInnen. Die JuristInnen der Roten Hilfe engagierten sich auch für eine Reform des Strafgesetzbuches und Strafvollzuges. In diesem Zusammenhang beteiligte sich die Rote Hilfe auch an Kampagnen gegen den § 218.

Bei ihren Kampagnen wurde die RHD von bekannten Persönlichkeiten wie dem Physiker Albert Einstein, der Malerin Käthe Kollwitz oder den Gebrüdern Heinrich und Thomas Mann unterstützt. Kurt Tucholsky gehörte dem Vorstand der RHD an. International war die Rote Hilfe mit der Internationalen Roten Hilfe verbunden, die weltweit Sektionen mit insgesamt 19 Millionen Mitgliedern unterhielt. In Zusammenarbeit mit der IRH führte die RHD auch in Deutschland umfangreiche Kampagnen gegen den weißen Terror in Mussolinis Italien, den Balkanländern, Polen und dem Baltikum durch. Massencharakter hatte vor allem die Kampagne gegen die Hinrichtung der Anarchisten Sacco und Vanzetti in den USA. An diesen Kampagnen wirkte die RHD im Rahmen der 1922 durch die Kommunistische Internationale geschaffene Internationale Rote Hilfe (IRH) mit.

1928/29 machte sich die Stalinisierung der KPD auch in der Roten Hilfe bemerkbar. FunktionärInnen, die der sogenannten "rechten" Opposition der KPD um Brandler und Thalheimer nahestanden, darunter der RHD Vorsitzende Schlör, wurden trotz der Proteste der IRH-Vorsitzenden Clara Zetkin aus IRIRaus der Roten Hilfe ausgeschlossen und gründeten den eher unbedeutenden Internationalen Hilfsverein. Die RHD verlor viele ihrer linksbürgerlichen UnterstützerInnen wie den Maler Heinrich Vogeler und wurde nun zum reinen Instrument des Thälmann-Kurses der KPD. Die Führung der SPD wurde als "sozialfaschistisch" bezeichnet und die Rote Hilfe sah ihr Ziel in einem "Roten Räte-Deutschland". Doch gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit einer Verschärfung der innenpolitischen Situation, Sondergesetzen, und täglichen Naziübergriffen wuchs die RHD wieder zu einer Massenorganisation mit über einer Millionen Einzel- und Kollektivmitgliedern an.

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde die Rote Hilfe wie alle Organisationen der Arbeiterbewegung verboten und zerschlagen. Führende FunktionärInnen wie Eugen Schönhaar wurden von den Nazis ermordet. Andere, wie Felix Halle fielen im sowjetischen Exil dem Stalinismus zum Opfer.

Dennoch gelang es der Roten Hilfe, sich im Untergrund zu reorganisieren und aktiven Widerstand gegen die NS-Diktatur zu leisten. Zum Teil griff die RHD dabei zur Taktik des "Trojanischen Pferdes", indem sie Organisationen der NS-Wohlfahrt unterwanderten und dort für die Familien der politischen Gefangenen sammelten. Nach der Hinwendung der KPD zur Volksfronttaktik 1935 wurde die Rote Hilfe das wichtigste Instrument zum Bündnis mit Sozialdemokraten. Aufgrund von Beschlüssen der Sopade-Führung im Exil wurde die Zusammenarbeit der SPD mit der KPD offiziell abgelehnt. Für SozialdemokratInnen, die dennoch die Einheitsfront mit KommunistInnen suchten, bot sich die formal unabhängige Rote Hilfe an. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre löste sich die Rote Hilfe in größere Hilfsorganisationen für die Opfer des Faschismus auf, der neben KommunistInnen auch SozialdemokratInnen und ChristInnen angehörten.

 

Anfang der 70er Jahre wurde der Rote-Hilfe-Gedanke von Gruppen aus dem Umfeld der APO sowie verschiedener maoistischer Parteien wieder aufgegriffen. Örtliche Rote- und Schwarze Hilfe Gruppen wurden vor allem zur Unterstützung der Gefangenen aus den Stadtguerillagruppen wie der RAF gegründet. 1974 kam es zum Bruch zwischen denjenigen Gruppen, die eine Beschränkung auf die politischen Gefangenen ablehnten und den Rote-Hilfe-Gruppen der maoistischen KPD-ML. Im Januar 1975 gründeten die kommunistischen RH-Gruppen die "Rote Hilfe Deutschlands". Die neue RHD verstand sich als eine Schutz- und Solidaritätsorganisation für die verschiedenen außerparlamentarischen Bewegungen wie den Hausbesetzern und der Anti-Atom-Bewegung. Gemäß der Theorie der KPD-ML setzte sich die RHD auch für politische Gefangene in der angeblich "sozialfaschistischen" DDR ein. Nachdem die KPD-ML Ende der 70er Jahre an Mitgliedern und Einfluss verlor und in den 80er Jahren die Autonomen zur dominierenden linksradikalen Kraft wurden, wurde die nur noch 600 Mitglieder starke RHD auf einer Bundesdelegiertenkonferenz 1986 in die heutige Rote Hilfe e.V. umgewandelt.

 

Nick Brauns