Arbeiter gegen Freikorps  

 

Vor 85 Jahren fand der Kapp-Putsch statt. Ein Generalstreik verhinderte die Wiedererrichtung der Monarchie in Deutschland

 

Unter wehenden schwarz-weiß-roten Reichskriegsfahren besetzten in den frühen Morgenstunden des 13. März 1920 die Landsknechte der Marinebrigade Erhardt das Berliner Regierungsviertel. Die 5000 Mann waren zusammen mit einer Haubitzenkompanie in einem Nachtmarsch vom 25 Kilometer entfernten Truppenlager Döberitz in die Reichhauptstadt eingerückt. „Gruppen alkoholisierter, singender Soldaten, kriegsmäßig ausgerüstet, Gewehrpyramiden, rauchende Gulaschkanonen, Lastwagen standen auf den Straßen um das Brandenburger Tor“, beschrieb der Kommunist Karl Retzlaw als Augenzeuge die Szenerie. Unter der Führung des deutschnationalen Politikers und Großagrarierlobbyisten Wolfgang Kapp aus Pommern betraten Zivilisten im Gehrock und Zylinder die Reichskanzlei und erklärten Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) für abgesetzt. „Die bisherige Reichsregierung hat aufgehört zu sein. Die gesamte Staatsgewalt ist auf den unterzeichneten Generallandschaftsdirektor Kapp-Königsberg als Reichskanzler und Ministerpräsident übergegangen. Zum militärischen Oberbefehlshaber und gleichzeitigen Reichswehrminister wird von dem Reichskanzler der General der Infanterie Freiherr v. Lüttwitz ernannt. Eine neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat wird gebildet.“ Der pensionierte kaiserliche General Ludendorff stieß nach eigener Aussage zufällig beim Morgenspaziergang zu den Putschisten.

 

Der Militärputsch hatte seit Unterzeichnung des Versailler Vertrages im Sommer 1919 in der Luft gelegen.  Die vorgeschriebene Reduzierung von Reichswehr und Freikorps auf ein 100.000 Mann-Heer ließ Hunderttausende Offiziere und Soldaten um ihre Existenz bangen. Unterstützung bekamen sie durch Großagrarier, die sich durch staatliche Zwangswirtschaft um ihre Profite geschmälert sahen. Als Arbeitsgemeinschaften getarnt trainierten die Freikorpssöldner auf ostelbischen Junkergütern den Umsturz. Für die propagandistische Vorbereitung des Putsches sorgten die Rechtsparteien mit einer wilden Pressehetze gegen die Reichsregierung und insbesondere Finanzminister Matthias Erzberger von der Zentrumspartei. „Diese Eiterbeule am deutschen Volkskörper war der Verräter des Vaterlandes!“, schrieb Freikorpsführer Erhardt wegen Erzbergers Zustimmung zum Versailler Vertrag.

 

Die Reichsregierung stand dem Putsch hilflos gegenüber. „Truppe schießt nicht auf Truppe“ weigerte sich der Chef des Truppenamtes General Hans von Seeckt gegen die Putschisten unter dem militärischen Oberbefehl des Generals Lüttwitz vorzugehen. Die Regierung floh daraufhin nach Stuttgart.

 

Der Schutz der Republik lag nun in den Händen der Arbeiterklasse, die sich nicht um die Früchte der bürgerlichen Revolution vom November 1918 bringen lassen wollte. Am 13. März riefen die Vorstände von SPD, USPD und Gewerkschaften den Generalstreik aus. „Es gilt, alle Kräfte des Volkes zum Widerstand zusammenzufassen. Das Volk wäre nicht wert der Freiheiten und Rechte, die es sich erkämpft hat, wenn es sie nicht bis zum Äußersten verteidigen würde. Wir fordern daher alle Arbeiter, Angestellten und Beamten zum einmütigen Protest gegen die Gewaltherrschaft auf, überall sofort in den Generalstreik zu treten. Alle Betriebe müssen stillgelegt werden“, heißt es im Aufruf des ADGB.

 

 

 

Die Zentrale der KPD erklärte dagegen, das revolutionäre Proletariat werde „keinen Finger rühren für die in Schmach und Schande untergegangene Regierung der Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs“. Nachdem vielerorts Kommunisten spontan in den Streikleitungen aktiv waren, korrigierte die KPD ihre Linie am folgenden Tag und rief zur Aktionseinheit aller Arbeiterparteien auf.

 

12 Millionen Arbeiter schlossen sich ab dem 15. März dem Generalstreik an.  Einheitskomitees der Arbeiterparteien übernahmen vielerorts wie in den Tagen der Novemberrevolution die Macht. Teilweise kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Freikorps oder Polizei. Im Vogtland herrschte der Sozialrebell Max Hoelz mit seinem Roten Vollzugsrat und ließ als proletarischer Robin Hood Gelder und Lebensmittel zur Verteilung an die Armen bei Fabrikanten und Kaufleuten beschlagnahmen. Selbst in Mecklenburg, wo sich die konterrevolutionären Kräfte auf den großen Landgütern konzentriert hatten, kam es zu heftigen Kämpfen und der Bildung von Gutsräten durch Landarbeiter.

 

Ihren Höhepunkt erreichten die Kämpfe im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Dort hatten vor allem Syndikalisten und USPD-Anhänger eine Rote Ruhrarmee aus bis zu 100.000 bewaffneten Arbeitern mit gewählten Führern gebildet, deren Eidesformel lautete: „Ich schwöre auf das Programm der revolutionären Arbeiterschaft, daß ich die hohen, heiligen Ideale für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit meinem Herzblut erkämpfen will.“ Nach schwere Kämpfen unter anderem um Dortmund, Remscheid und Essen hatte die Rote Ruhrarmee innerhalb einer Woche das gesamte Ruhrgebiet von konterrevolutionären Verbänden gesäubert.

 

Nur 100 Stunden konnte sich die Putschistenregierung an der Macht halten. Durch die größte Arbeitereinheitsaktion der deutschen Geschichte wurde die Errichtung einer Militärdiktatur und die Rückkehr zur Monarchie verhindert. Am 17. März mußten die Putschisten dem Generalstreik und dem den passiven Widerstand der Ministerialbürokratie weichen und abdanken.

 

Einzig in Bayern, wo sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Johannes Hoffmann gegen den Generalstreik ausgesprochen hatte, verlief der Putsch planmäßig. Militär, Einwohnerwehren und Polizei zwangen Hoffmann zum Rücktritt. Sein Nachfolger wurde der Monarchist Gustav Ritter von Kahr, der  Bayern zur „Ordnungszelle“ der völkischen Verbände ausbaute.

 

Gewerkschaftsführer Carl Legien einigte sich mit der zurückgekehrten Regierung Bauer auf ein Programm zur Auflösung der konterrevolutionären Verbände, der Reinigung der Verwaltung von Reaktionären und der „sofortigen Inangriffnahme der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige“. Reichswehrminister Noske mußte seinen Rücktritt erklären. Obwohl es keinerlei Garantien für die Umsetzung des Abkommens gab, wurde der Generalstreik am 23. März abgebrochen. Die Kommunisten und der linke Flügel der USPD forderten dagegen die Fortsetzung des Streiks, die Bewaffnung der Arbeiter und die Machübernahme durch Arbeiterräte zur dauerhaften Zerschlagung des Militarismus. Legiens auch von der KPD unterstützter Vorschlag zur Bildung einer Arbeiterregierung wiesen die USPD-Führer mit der Begründung zurück, es könne keine Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen „Arbeitermördern“ geben.

 

Tatsächlich machte sich die am 27. März neugebildete Koalitionsregierung unter Hermann Müller (SPD) die Putschistenlosung vom „Kampf gegen den Bolschewismus“ zu eigen. General von Seeckt, der sich geweigert hatte, die Republik zu schützen, wurde neuer Oberbefehlshaber der Reichswehr. In den ersten Apriltagen rückten Reichswehr und Freikorps, darunter auch die Brigade Erhardt mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm, zum blutigen Rachefeldzug ins Ruhrgebiet und nach Mitteldeutschland ein. Tausende Arbeiter, Frauen und Jugendliche wurden massakriert oder in Konzentrationslagern zusammengepfercht.

 

Die Kapp-Putschisten dagegen gingen straffrei aus. Nur ihr „Innenminister“ Traugott von Jagow wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Gegen den nach Schweden geflohenen Kapp leitete das preußische Landwirtschaftsministerium lediglich ein Disziplinarverfahren ein, weil er sich „Mitte März ohne den vorschriftsmäßigen Urlaub von seinem Amte entfernt“ hatte. 

 

Nick Brauns

 

Leicht gekürzt in junge Welt 12.März 2005

 

 

Quellentexte: Widerstand gegen den Kapp-Putsch


* Aus dem Aufruf des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände vom 13. März 1920:


Auf zum Generalstreik!


An alle Arbeiter, Angestellten und Beamten! Männer und Frauen!


Die militärische Reaktion hat ihr Haupt von neuem erhoben und in Berlin die Gewalt an sich gerissen. Pflichtvergessene Reichswehrgruppen sind hier unter Führung meuternder Offiziere einmarschiert und haben sich neben der vom Volk gewählten Regierung eine illegale Gewalt angemaßt. Die Reaktionäre haben die Nationalversammlung und die Preußische Landesversammlung als aufgelöst erklärt und schicken sich an, auch die Errungenschaften der Revolution vom November 1918 zu beseitigen. Die deutsche Republik ist in Gefahr! (...)

Lasse sich kein denkender Arbeiter, Angestellter und Beamter durch zweifelhafte Versprechungen der Putschistenregierung betören! Es gilt, alle Kräfte des Volkes zum Widerstand zusammenzufassen. Das Volk wäre nicht wert der Freiheiten und Rechte, die es sich erkämpft hat, wenn es sie nicht bis zum Äußersten verteidigen würde. Wir fordern daher alle Arbeiter, Angestellten und Beamten zum einmütigen Protest gegen die Gewaltherrschaft auf, überall sofort in den Generalstreik zu treten. Alle Betriebe müssen stillgelegt werden.

* Aus dem Bericht des Bezirks Rheinland-Westfalen an die Zentrale der KPD über die Kämpfe gegen den Kapp-Putsch


Der Generalstreik, bis Dienstag, dem 16., nur als Abwehrstreik gegen den Kapp-Putsch geführt, wächst sich aus zum Generalaufstand gegen Einwohner- und Sicherheitswehren, gegen Reichswehr und Freikorps, als bekannt wird, daß sich größere Teile derselben zur Kapp-Regierung bekennen. (...)



Kleinere Teile des Freikorps Lichtschlag, daß von General von Watter zur Hilfe gesandt wird, werden bereits auf dem Anmarsch von der Arbeiterschaft Wittens, Wetters und Herdeckes mit bloßen Händen entwaffnet, das nachfolgende Gros von seinen Verbindungen abgeschnitten, umzingelt, wird völlig aufgerieben. Die Arbeiterschaft, ohne jede Vorbereitung, ohne jede Organisation, plötzlich in den Besitz aller denkbaren modernen Waffen gelangt, empört über den Verrat des Generals v. Watter, der mit den Kappisten konspiriert, wendet sich nunmehr gegen reaktionäre Truppen jeder Art in allen Orten. Die Bezirke Dortmund, Bochum, Hamm, Essen, Gelsenkirchen und Recklinghausen sind in drei Tagen von der Konterrevolution befreit.

(Zitiert nach: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. 3, Berlin/DDR 1966, S. 584 und 595)