junge Welt 26.01.2008 / Geschichte /
Seit Dezember 1917 verhandelten die durch die Oktoberrevolution an
die Macht gekommenen russischen Bolschewiki in Brest-Litowsk mit dem
deutschen Kaiserreich und seinen Verbündeten über einen
Separatfrieden. Doch die deutsche Delegation forderte von Rußland
große Gebietsabtretungen, um die Kriegsziele des deutschen
Imperialismus im Osten zu verwirklichen. Der Volkskommissar für
das Äußere Leo Trotzki nutzte die Friedensverhandlungen
als Tribüne für flammende Appelle an die Arbeiter Europas.
Diese Rufe verhallten nicht ungehört. Am 15. Januar 1918 begann
in Wiener Neustadt ein politischer Massenstreik für Frieden und
Demokratisierung, der sich über die ganze Habsburger-Monarchie
bis nach Budapest und Prag ausdehnte.
Die österreichische
Streikwelle fand Mitte Januar ein Echo in Deutschland. Die aus
Gegnerschaft zu deren Kriegspolitik von der SPD abgespaltene
Reichstagsfraktion der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD,
gegründet im April 1917) erließ eine Deklaration an die
Arbeiterschaft, in der sie sich allerdings nicht traute, offen zum
Streik aufzurufen: »Es ist keine Zeit zu verlieren. Nach allen
Schrecken und Leiden droht neues schwerstes Unheil unserem Volke, der
gesamten Menschheit. Nur ein Frieden ohne Annexionen und
Kontributionen, auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der
Völker, kann uns davor retten. Die Stunde ist gekommen, eure
Stimme für einen solchen Frieden zu erheben. Ihr habt jetzt das
Wort.«
Die Initiative lag nun bei der Bewegung der
radikal-sozialistischen »revolutionären Obleute« in
den Großbetrieben. Auf Antrag von deren Vorsitzendem Richard
Müller beschlossen Delegierte der Berliner Betriebe am 27.
Januar die Ausrufung des Generalstreiks. Am folgenden ersten
Streiktag konstituierten sich 414 gewählte
Betriebsvertrauensleute im Gewerkschaftshaus am Engelufer als
Groß-Berliner Arbeiterrat. Unter Vorsitz Richard Müllers
wurde ein elfköpfiger Aktionsausschuß gebildet, zu dem die
USPD-Reichstagsabgeordneten Hugo Haase, Georg Ledebour und Wilhelm
Dittmann sowie von der SPD Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und
Otto Braun hinzugezogen wurden. Die marxistische Spartakus-Gruppe
innerhalb der USPD kritisierte den Beitritt von SPD-Vertretern zu den
Streikkomitees scharf. »Sorgt dafür, daß die
Gewerkschaftsführer, die Regierungssozialisten und andere
›Durchhalter‹ unter keinen Umständen in die
Vertretungen gewählt werden. Heraus mit den Burschen aus den
Arbeiterversammlungen! Diese Handlanger und freiwilligen Agenten der
Regierung, diese Todfeinde des Massenstreiks haben unter den
kämpfenden Arbeitern nichts zu suchen.«
Von
Groß-Berlin, wo eine halbe Million Arbeiter die Arbeit
niedergelegt hatte, griff die Bewegung auf Kiel, Hamburg, Leipzig,
Braunschweig, Köln, Breslau, München, Nürnberg,
Mannheim, Magdeburg, Halle, Bochum, Dortmund und andere Städte
über. Eine Million Arbeiter insbesondere der Rüstungsbetriebe,
Werften und Zechen standen im Streik gegen Krieg und Militärdiktatur.
Ihre Forderungen waren die schnelle Herbeiführung eines Friedens
ohne Annexionen, die Hinzuziehung von Arbeitervertretern aller Länder
zu Friedensverhandlungen, eine tiefgreifende Demokratisierung des
Staates, die Aufhebung des Belagerungszustandes und des
Hilfsdienstgesetzes zur Arbeitsverpflichtung in der
Rüstungsindustrie, politische Amnestie und bessere
Lebensmittelversorgung.
Auf Druck der Obersten Heeresleitung
unter General Ludendorff lehnte die Regierung jegliche Verhandlungen
mit den Streikenden ab und verlangte deren vollständige
Unterwerfung. Berittene Polizei ging in Berlin mit blankem Säbel
gegen Demonstranten vor und schoß in die Menge. Am
Alexanderplatz, in Charlottenburg und in Moabit kam es zu blutigen
Auseinandersetzungen mit mehreren Toten. Am Abend des 31. Januar
wurde über Berlin der verschärfte Belagerungszustand mit
außerordentlichen Kriegsgerichten verhängt. Der
kommandierende General stellte am 1. Februar sieben Berliner
Großbetriebe, darunter Borsig und AEG in Hennigsdorf, unter
militärisches Kommando und befahl die Wiederaufnahme der Arbeit
bis zum 4. Februar um sieben Uhr früh. Es kam zu
Massenverhaftungen, darunter des Führers der Spartakus-Gruppe
Leo Jogiches sowie des Reichstagsabgeordneten Dittmann. Die Leitungen
der Großbetriebe stellten Namenslisten politisch aktiver
Arbeiter zusammen, die anschließend zu Tausenden zum
Kriegsdienst an die Front geschickt wurden.
Die Reichstagsmehrheit um die SPD kuschte vor den Stiefeln des
Militärs, anstatt sich mit ihrer Friedensresolution an die
Spitze der Streikbewegung zu stellen. Während die zahlenmäßig
noch schwache und nicht als eigenständige Partei organisierte
Spartakus-Gruppe das Weitertreiben des Streiks bis zum Aufstand
forderte, verhinderten die SPD-Vertreter in den Streikkomitees eine
Ausweitung und die Radikalisierung der Forderungen. Insbesondere war
es so nicht möglich, die Truppe auf die Seite der Streikenden zu
ziehen.
Am 3. Februar beschloß der Aktionsausschuß
den Abbruch des sechstägigen Massenstreiks. Der marxistische
Historiker Arthur Rosenberg urteilte später: »Wäre
der Kampf nur von Spartakus und USPD, unter bewußter
Ausschaltung der Mehrheitssozialisten geführt worden, so hätte
sich sein Charakter völlig geändert. Es wäre dann eine
proletarische Klassenaktion sozialistischen Charakters und keine
Friedensbewegung mit bürgerlich-demokratischen Zielen gewesen.
Aber Spartakus konnte sich nicht durchsetzen. Im Aktionsausschuß
saß die SPD und nicht der Spartakusbund. So sind die
Grundfragen der Novemberrevolution bereits im Januarstreik
enthalten.«
Vorerst hatte General Ludendorff gesiegt.
Doch zahlreiche Arbeiter zogen aus dieser Generalprobe für die
kommende Revolution die Lehre, im Kampf um Frieden und
Demokratisierung nicht mehr auf die Reichstagsparteien, sondern
allein auf die eigene Kraft zu vertrauen. Der als »geistiger
Leiter und Organisator der Ausstandsbewegung« beim Münchner
Munitionsarbeiterstreik zu neun Monaten Haft verurteilte bayerische
USPD-Vorsitzende Kurt Eisner gelangte damals zu der Erkenntnis, daß
die Sozialdemokratie »eine bis zur Komik getreue Volksausgabe
des Staates, in dem sie lebt«, darstellt und ihre Funktionäre
eine »beispiellos unfähige und verdächtig zersetzende
Führung, die sich unmäßig weise in ihrer
illusionsfreien Realpolitik dünkt«. Notwendig sei eine
Emanzipation der Arbeiter von diesen Führern und ihre
Selbstorganisation auf Betriebsebene, forderte Eisner, der vor dem
Krieg dem rechten Parteiflügel der SPD angehört hatte. »Sie
dürfen sich nicht vertreten lassen, von niemandem.«
Wie
recht Eisner hatte, belegen die Äußerungen führender
Sozialdemokraten nach dem Krieg. Er sei mit der Absicht in die
Streikleitung eingetreten, den Streik zum schnellsten Abschluß
zu bringen und eine Schädigung des Landes zu verhüten,
versicherte Reichspräsident Friedrich Ebert 1925 vor Gericht,
nachdem er von einem rechten Journalisten wegen seiner Teilnahme am
Januarstreik des Landesverrats bezichtigt worden war. Und Philipp
Scheidemann ergänzte: »Wenn wir nicht in das Streikkomitee
hineingegangen wären, dann wäre der Krieg und alles andere
nach meiner festen Überzeugung schon im Januar erledigt
gewesen.«